Sonate Cis-Dur für Altsaxophon und Klavier (1943)
Werkverzeichnisnummer:
Altsaxophon
Klavier
Tres modéré, expressif
Noël (Andante)
Fileuse
Nocturne et Rondel
1942, im besetzten Frankreich: Die Komponistin Fernande Decruck zieht aus Toulouse, der Stadt ihrer Jugend, zurück nach Paris, wo sie ihre drei Kinder alleine groß ziehen muss. Von ihrem Ehemann, dem Musikverleger Maurice Decruck, lebt sie getrennt, mit ihren Werken und ihrem Unterricht in Harmonielehre bringt sie sich und die Kinder in den schwierigen Zeiten durch. In dieser bedrängten Situation schreibt sie 1943 eine Sonate für Altsaxophon und Orchester. Diese Cis-Dur-Sonate in vier Sätze genießt im Repertoire der Saxophonisten legendären Ruf, weil sie sich mit der Kunst des unvergessenen Marcel Mule verbindet, des größten Saxophonisten Frankreichs.
Erst 2001 ist Marcel Mule im Alter von hundert Jahren verstorben. Das Saxophon erlernte er im Militärdienst, den er mit größter Begeisterung ableistete. Freilich wurde die Nachfrage nach seinen Konzerten in den Dreißiger Jahren so groß, dass er 1936 schweren Herzens die Garde Républicaine verließ – gerade noch rechtzeitig, bevor die deutsche Wehrmacht Frankreich überrannte. 1940 war Mule also Zivilist, aber noch nicht Saxophonprofessor am Pariser Conservatoire. Dort hatte man nämlich die gerade erst errichtete Saxophonklasse 1870 sofort wieder aufgelöst, nachdem Adolphe Sax, der Erfinder des Instruments, die Hauptstadt verlassen hatte. Erst 1944, nach der Befreiung von Paris, entschied der damalige Direktor des Conservatoire, die Saxophonklasse wieder einzurichten. Natürlich berief er Marcel Mule zum ersten Professor, der auf diese Weise zum Vater der französischen Saxophonschule wurde. Die großen Werke für das Instrument wie Jacques Iberts Saxophonkonzert oder die „Ballade“ von Henri Tomasi spielte Mule in seinen Konzerten, auch bei der legendären USA-Tournee 1958 mit dem Boston Symphony Orchestra unter Charles Münch.
Auch die Saxophonsonate von Fernande Decruck stellte Mule damals dem amerikanischen Publikum vor. Die Komponisten selbst war freilich schon 1954 verstorben. Zum Saxophon hatte sie eine besondere Beziehung: Da ihr Ehemann nicht nur Musikverleger, sondern auch Saxophonist war, hat sie mehr als vierzig Werke für das Instrument geschrieben. Aus dieser Werkgruppe wird bis heute leider nur die Saxophonsonate in Cis von 1943 häufiger gespielt. „Das Werk wirkt in seinen harmonischen Farben und fünftönigen Skalen wie ein Tribut an den Impressionismus. In manchen Passagen kommt auch die ‚Polytonalität’ zu Anwendung, das Spiel in verschiedenen Tonarten gleichzeitig.“ (Joren Cain)
Die Sonate beginnt mit einem sehr ausdrucksvollen Einleitungssatz in Sonatenform, worauf ein Noël folgt, ein französisches Weihnachtslied. Fernande Decruck war ein Weihnachtskind, geboren am 25. Dezember 1896. Deshalb mag ihr das Fest besonders am Herzen gelegen haben. Der dritte Satz mit dem Titel Fileuse („Lied der Spinnerinnen“) tritt an die Stelle des Scherzos. Das Finale wird von einem Nachtstück (Nocturne) eingeleitet und ist im Hauptteil ein Rondel, also ein Rondo.