Waldszenen, op. 82 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Robert Schumann

Waldszenen, op. 82

Waldszenen, op. 82 Neun Klavierstücke

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Erläuterung

Kreischa bei Dresden, Frühjahr 1849: Während seine Frau Clara in die umkämpfte Stadt zurückkehrt, um zwischen den Fronten des „Maiaufstands“ zu retten, was vom Hausstand zu retten ist, komponiert Robert Schumann draußen auf dem Lande die schönsten Idyllen seines Schaffens. Neben den Waldszenen für Klavier vollendet er in jenem Frühjahr und Sommer die Romanzen für Oboe und Klavier, die Fantasiestücke für Klarinette und Klavier, das Album für die Jugend mit seinen leicht spielbaren, pädagogischen Klavierstücken und die Bilder aus Osten für Klavier zu vier Händen. In diesen Miniaturen, Idyllen und Genrestücken findet der psychisch labile Komponist eine Art Autotherapie gegen die ungeheure innere Spannung, in die ihn das Revolutionsjahr 1848/49 versetzt hat. „Sonst leben wir hier wie im tiefsten Frieden; auch arbeite ich fleißig“, berichtet er zufrieden einem Freund, während sich Clara über die idyllische Musik ihres Mannes wundert: „Merkwürdig erscheint es mir, wie die Schrecknisse von außen seine innern poetischen Gefühle in so ganz entgegen gesetzter Weise erweckt.“ Über seinen Werken jener Monate schwebe „ein Hauch der höchsten Friedlichkeit … Mir kommt alles darin wie Frühling vor, lachend wie die Blüten.“ So hat auch Schumann selbst seine Idyllen jenes Jahres beschrieben: „Zarte, duftende Blumen, die keinen Triumphzug durch den Salon machen wollen, sondern im stillen Kreise das Gemüt erquicken werden.“

Waldszenen nannte Schumann den Klavierzyklus jenes Jahres 1849, vielleicht eine Huldigung an die Wälder in der idyllischen Umgebung Dresdens und an die Sächsische Schweiz, vor allem aber eine poetische Hommage an den deutschen Wald in seiner romantischen Dimension. Neben Naturidylle und tiefem Frieden brechen dabei immer auch düstere Ahnungen hervor. Der Wald als Sehnsuchtsort der deutschen Romantiker („Über allen Gipfeln ist ruh“) ist zugleich ein Raum dunkler Geheimnisse und düsterer Tragödien – man denke nur an Webers Freischütz.

Eintritt heißt das erste Stück. Es zeigt, dass die neun Waldszenen wie ein Spaziergang zu verstehen sind. In B-Dur tritt der Spaziergänger ein, leise, wie auf weichem Moos, um den heiligen Ort nicht zu stören. Plötzlich trifft er Jäger auf der Lauer an. „Höchst lebhaft“ ist ihr d-Moll-Stück vorzutragen. Triolen in Oktaven lassen die Anspannung der Jäger spüren: Sie pirschen sich an, die Flinte im Anschlag. Urplötzlich schlagen sie zu, Hörner gellen durch den Wald, ein abgerissener d-Moll-Akkord markiert das brutale Ende.

Einsame Blumen scheint in die Idylle zurückzuführen, doch der Eindruck täuscht. Das duftige B-Dur der Blumen und Gräser erzählt dem Spaziergänger eine wehmütige Geschichte. Im nächsten Stück gerät der Wanderer an einen verwunschenen Ort im Wald: Verrufene Stelle heißt das d-Moll-Stück, das einem plötzlich Schauer über den Rücken jagt. Denn diese lichtlose Lichtung im Wald hütet ein düsteres Geheimnis, das die Blumen kaum zu lüften wagen: Eine Bluttat hat sich hier ereignet. Barocke Rhythmen und düstere Vorhalten deuten es an. Verse von Friedrich Hebbel haben Schumann zu diesem Stück inspiriert. Er hat sie dem Satz vorangestellt:

„Die Blumen, so hoch sie wachsen,
Sind blass hier, wie der Tod;
Nur eine in der Mitte
Steht da im dunkeln Rot.
Die hat es nicht von der Sonne:
Nie traf sie deren Glut;
Sie hat es von der Erde,
Und die trank Menschenblut.“

Freundliche Landschaft im fünften Stück verheißt endlich freie Aussicht und Befreiung aus der Enge des verwunschenen Waldes. Wogende Triolen in B-Dur deuten das Wiegen der Blätter im Wind an. In der Herberge findet der Wanderer Rast, die anheimelnde Melodie in Es-Dur kündet davon. Freilich haben die Wanderer, die hier einkehren, einiges zu erzählen, und sie tun es in kräftigen, burschikosen Tönen. Aus dem belebten Wirtshaus tritt der Spaziergänger ins Freie hinaus und wird plötzlich vom nächtlichen Ruf eines Vogels überrascht. Der Vogel als Prophet heißt das berühmteste Stück der Waldszenen mit seinem bizarren Vogelruf im Diskant. Diese „verstimmten“ Dreiklangsbrechungen in g-Moll lassen an einen nächtlichen Vogel denken. Vielleicht ist es der Waldkauz wie bei Messiaen, der Bote von Tod und Unheil. Oder doch eher die Heidelerche, die um Mitternacht mit der Nachtigall wetteifert?

Jagdlied heißt das vorletzte Stück, denn natürlich darf der Schall der Hörner in der Jagdtonart Es-Dur in den Waldszenen nicht fehlen. In seinen Dresdner Jahren zollte Schumann den Hörnern so manchen Tribut, und zwar sowohl dem althergebrachten „Waldhorn“ bzw. „Naturhorn“ als auch dem neuartigen Ventilhorn. So voll und orchestral wie sein Konzertstück für vier Hörner und Orchester oder die Fünf Gesänge aus Laube’s Jagdbrevier für Männerchor und vier Hörner tönt auch sein Jagdlied in den Waldszenen.

Abschied nannte Schumann das letzte Stück. Der Wanderer ist am Ende seiner kleinen Reise angekommen und landet wieder dort, wo er begonnen hatte: in zartem B-Dur. Scheinbar gestärkt, mit ruhigem Gemüt, lässt er den Wald hinter sich, immer noch befangen von seinem Zauber. „Immer schwächer“ wird der Klang des Klaviers, je weiter sich der Spaziergänger entfernt.