Catalogue d'oiseaux | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Olivier Messiaen

Catalogue d'oiseaux

Catalogue d’oiseaux (Dreizehn Vogelgesänge in sieben Büchern für Klavier)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

1. Chocard des Alpes
2. Loriot d’Europe
3. Merle bleu
4. Traquet stapazin
5. La chouette hulotte
6. Alouette lulu
7. Rousserolle effarvatte
8. Alouette calandrelle
9. Bouscarle de Cetti
10. Merle de roche
11. Buse variable
12. Traquet rieur
13. Courlis cendré

Erläuterung

Toul in Frankreich, Juni 1940. Auf dem freien Feld west¬lich von Nancy warten „Tau¬sen¬de von er-schöpften, verratenen Soldaten“ der geschlagenen französischen Armee auf ihren Abtransport in deutsche Kriegsgefangenenlager, wie sich der Dichter Guy Bernard später erinnern wird. Mitten in dem Trubel lauscht ein junger, hagerer Komponist aufmerksam dem Gesang der Vögel: Olivier Messiaen. „Messiaen füllte zahlreiche Notizbücher mit der erstaunlichen rhythmischen und melodischen Virtuosität des Vogelgesangs, den er oftmals in seine Musik einbaute.“ (Guy Bernard) Es ist der Beginn einer lebenslangen Liebe zu den Vögeln, die den glühenden Katholiken Messiaen, den Komponisten tief gläubiger Orgelwerke, später auch zum Ornithologen und zum Fürsprecher der Vögel werden lässt.

Nachdem er seinen gefiederten Freunden schon im Quatuor pour la fin du Temps von 1941 ein Denkmal gesetzt hatte, machte er sich zehn Jahre später an die Ausarbeitung eines regelrechten Katalogs von Vogelstimmen für Klavier solo. Unter dem Titel Catalogue d’oiseaux wurden diese 13 Klavierstücke am 15. April 1954 in der Pariser Salle Gaveau von Yvonne Loriod aus der Taufe gehoben – ein Dreistundenkonzert mit nur einer Pause. In jedem der Stücke huldigte Messiaen einem bestimmten Vogel, seinem Aussehen, seiner natürlichen Umgebung und natürlich seinem Gesang, und zwar im „Konzert“ mit den anderen Vögeln derselben Landschaft. In seiner Einführung zur Uraufführung hat der Komponist dazu folgendes geschrieben:

„Vor inzwischen rund 30 Jahren begann ich damit, Vogelgesang zu notieren. Meine ersten Transkriptionen finden sich verstreut in meinen frühesten Werken. Leider hatte ich damals keine Erfahrung und wusste nicht immer, welchem Vogel ich dies oder jenes Lied zuordnen sollte. Später holte ich mir Rat bei Spezialisten auf diesem Gebiet und lerne sehr viel auf geführten Wanderungen … Nachdem ich das getan hatte, war ich in der Lage, mit meinen eigenen Flügeln zu fliegen (nicht in übertragener Bedeutung oder als Wortspiel gemeint). Und so ziehe ich jedes Jahr im Frühling mit Bleistiften, Radiergummis, Notenpapier, Zeichenblock und einem riesigen Feldstecher bewaffnet los und reise in verschiedene Regionen Frankreichs auf der Suche nach meinen Lehrern. So entstand mein Catalogue d’oiseaux für Soloklavier … Alles stimmt genau: Die Melodien und Rhythmen des Solisten und die seiner Nachbarn, der Kontrapunkt zwischen den beiden, die Antworten, Ensembles und Augenblicke der Stille sowie die Übereinstimmung des Lieds mit der jeweiligen Tageszeit.

Besonders schwierig war es, die Klangfarben zu übertragen, vor allem auf dem Klavier: Wir alle wissen, dass die Klangfarbe sich aus der größeren oder geringeren Anzahl an Obertönen ergibt. Deshalb musste ich ungewöhnliche Tonverbindungen ausprobieren. Andererseits war das Klavier aufgrund seines Tonumfangs und der Unmittelbarkeit der Ansprache das einzige Instrument, das mit so großer Geschwindigkeit und in diesen sehr hohen Lagen sprechen kann, die für einige der virtuoseren Vögel erforderlich sind – wie zum Beispiel die Nachtigall, die Singdrossel, den Schilfrohrsänger und den Teichrohrsänger. Das Klavier ist auch das einzige Instrument, das die rauen, krächzenden und durchdringenden Rufe des Raben und des Drosselrohrsängers imitieren kann, das Scheppern des Wachtelkönigs, das Kreischen des Wasserralle, das Bellen der Silbermöwe, den trockenen und gebieterischen Klang – wie Klopfen auf Stein – des Mittelmeerschmätzers und den sonnigen Liebreiz der Blaumerle oder des Trauersteinschmätzers.

All dies grub sich mit solch poetischer Macht in mein Gehirn ein, dass ich nicht in der Lage war, es ohne Emotion in Musik umzusetzen. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen! Die Vögel alleine sind große Künstler. Sie sind die eigentlichen Komponisten dieser Stücke! Wenn manchmal die musikalische Qualität nachlässt, liegt das daran, dass der Komponist sich draußen in der Natur ungeschickt verhalten oder ein störendes Geräusch gemacht hat, also mit dem Fuß gegen einen Stein gestoßen ist, eine Seite umgeblättert oder einen trockenen Ast abgeknickt hat.“ (Olivier Messiaen)

Die drei Vögel unserer Auswahl hat Messiaen ebenfalls ausführlich beschrieben, und zwar genauso, wie er sie in seinem jeweiligen Klavierstück geschildert hat: als „Solist“ in einem Vogelkonzert und als Teil einer subtilen Landschaftsmalerei.

Was den Waldkauz betrifft, muss man dazu wissen, dass er bei den Bewohnern der mediterranen Länder für gewöhnlich Angst und Schrecken auslöst: Sein Ruf gilt als Todesbote und verheißt Unglück. Entsprechend düster ist Messiaens Beschreibung der nächtlichen Szene, in die sich auch Eule und Uhu mit ihrem grauenvollen Heulen einmischen: „Der Waldkauz hat ein braun und rot gefärbtes Gefieder, ein sehr breites Gesicht, einen feierlichen Blick, geprägt von Mysterium, Weisheit und dem Übernatürlichen. Mehr noch als sein Anblick löst der Ruf dieses nächtlichen Vogels Schrecken aus. Ich habe ihn oft gehört, gegen zwei Uhr nachts, im Wald von Saint-Germain-en-Laye … Finsternis, Angst, ein Herz, das zu schnell schlägt, das Miauen und Kläffen der Eule, Schreie des Uhu und dann der Ruf des Waldkauzes: ebenso schaurig wie schmerzlich, ebenso vage wie beunruhigend (mit einem seltsamen Tremulieren), so zeternd wie der Schrei eines Kindes, das geschlagen wird. Dann Stille und ein Heulen aus weiter Ferne, wie Glocken aus einer anderen Welt.“

Die Heidelerche hat Messiaen nicht im finsteren Wald gehört, sondern in freier Landschaft um Mitternacht, im Dialog mit der Nachtigall: „Ein Pinienwald rechts der Straße, eine Ebene mit Weiden zur Linken. Aus Himmelshöhen, dem Blick verborgen, spult die Lerche ihre Zwei-und-Zwei-Melodien herunter, absteigende Tonfolgen aus lauter fließenden Halbtönen. Verborgen im Gebüsch oder aus Waldlichtungen heraus antwortet ihr die Nachtigall. Kontrast zwischen dem beißenden Tremolo der Nachtigall und jener mysteriösen Stimme aus der Höhe. Unsichtbar kommt die Lerche näher und entfernt sich wieder. Die Bäume und Felder sind schwarz und ruhig. Es ist Mitternacht.“

Von der Blaumerle zeichnet Messiaen in seinen Erläuterungen zum Vogelkatalog ein malerisches Bild, geprägt von der zerklüfteten Küstenlandschaft des Roussillon im Languedoc. An der Südseite der Pyrenäen zieht sich hier die Felsenküste der Côte Vermeille entlang, die man im benachbarten Katalonien Costa Vermella nennt. Dort siedelt Messiaen die Blaumerle an, zu der sich andere Küstenvögel gesellen wie die Mauersegler, die Haubenlerchen oder die Silbermöwen. Diese Vögel werden zum Symbol für die gesamte raue Küstenlandschaft und ihre Farbe Blau: „Im Monat Juni, im Roussillon, an der Côte Vermeille, nahe bei Banyuls, am Kap der Biene (Cap d’Abeille) und Cap Rederis. Auskragende Felswände über dem Meer, das in preußisch Blau und Saphirblau schimmert. Schreie der schwarzen Mauersegler über dem Plätschern des Wassers. Die Kaps greifen ins Meer aus wie Krokodile. In einem Felsenriss, der ihr Echo zurückwirft, singt die Blaumerle. Sie ist von anderem Blau als das Meer: ins Violette hinüberspielend, bleiern und samtig, ein schwarzes Blau. Fast exotisch klingt ihr Ruf, wie Musik aus Bali, und vermischt sich mit dem Lärm der Wellen. Man hört auch die Haubenlerchen, die wie Schmetterlinge durch die Luft streifen, hoch über den Weinbergen und dem Rosmarin. Die Silbermöwen schreien in der Ferne über dem Meer. Die Steilküste ist schrecklich. Die Wasser sterben zu ihren Füßen in der Erinnerung der Blaumerle.“