Impromptu Ges-Dur, op. 90,3 für Klavier
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Fast jeder große Romantiker, der auch Pianist war, hat die Klaviermusik um mindestens ein charakteristisches Genre bereichert. Was bei Mendelssohn die Lieder ohne Worte sind, bei Schumann die Fantasiestücke, bei Chopin die Nocturnes, bei Grieg die Lyrischen Stücke und bei Brahms die Intermezzi, das sind bei Schubert die Impromptus: Inbegriff des seelenvollen Gesangs am Klavier, getragen von gebrochenen Akkorden und anderem „Saitenspiel“. Den eigenwilligen Titel Impromptu hat Schubert freilich nicht selbst erfunden. Er übernahm ihn von dem tschechischen Klaviervirtuosen Jan Václav Voříšek. Der sechs Jahre ältere Böhme beeindruckte den jungen Schubert durch sein virtuoses Klavierspiel im Beethovenschen Stil. 1813 war Voříšek nach Wien gekommen und trat auch in Konzerten auf, in denen Schubertsche Lieder erklangen, so dass sich die beiden Komponisten sicher begegnet sind. Bevor Voříšek 1823 zum zweiten Hoforganisten des Kaiserhauses aufrückte, publizierte er seine Klavierstücke Opus 7, denen er den Titel Impromptus gab – abgeleitet von dem französischen Adverb „impromptu“, was soviel bedeutet wie „ohne lange zu überlengen, überraschend, improvisiert“.
Schubert hat Titel und Typus aufgegriffen, als er im Herbst 1827 einen Zyklus von Klavierstücken schrieb und sie selbst „Impromptu’s“ nannte – ganz so, wie wenig später Frédéric Chopin die Gattung des Nocturne von John Field übernehmen sollte. Für Schubert bildeten seine acht Impromptus eine Einheit, was man daran erkennen kann, dass er sie von Nr. 1 bis 8 durchnumerierte. Erst die Verleger trennten die Stücke: Haslinger brachte die ersten beiden Stücke des so genannten „Opus 90“ schon zu Weihnachten 1827 heraus, während die folgenden beiden Stücke erst 30 Jahre später von seinem Sohn veröffentlicht wurden. Dabei transponierte man das Impromptu Nr. 3 von der schwierigen Tonart Ges-Dur ins leichtere G-Dur! Die Stücke Nr. 5 bis 8 hatte inzwischen der Verlag Diabelli veröffentlicht: Sie waren 1839 als Opus posthumum 142 erschienen. Wie so viele Werke Schuberts fanden auch diese, heute so populären Klavierstücke erst nach seinem Tod Verbreitung.
Dem Opus 142 widmete Robert Schumann 1839 eine Rezension in der Neuen Zeitschrift für Musik. Dabei geriet er über Schuberts Klaviersatz ins Schwärmen: „Alles klingt, so recht vom Grunde, aus der Tiefe des Claviers heraus.“ Zugleich deutete er die vier Impromptus als verkappte Sonate: Das erste Stück in f-Moll sei „so offenbar der erste Satz einer Sonate, so vollkommen ausgeführt und abgeschlossen, dass gar kein Zweifel aufkommen kann“. Tatsächlich übertrifft dieses Allegro moderato schon durch seine Ausdehnung von 234 Takten und durch seine Anlage in Sonatenform alle anderen Impromptu an Gewicht. Das erste Thema setzt mit pathetischen punktierten Rhythmen ein, die sich sofort resigniert in die Tiefe wenden. Daran schließt sich eine schillernde Klangfläche an, die in typisch Schubertschen Harmonien oszilliert, bis sich die Spannung zu einem gewaltigen Thema in Oktaven auftürmt. Unversehens mischt sich ein versöhnlicher Gesang ins Geschehen ein, das zweite Thema des Satzes, ein typisches Schubertlied. Es wird variiert und geht nahtlos in einen traurigen Mollgesang über, den Mittelteil des Satzes, der die Furchführung der Themen ersetzt. Etliche Takte lang greift der Pianist mit der linken Hand über die Arpeggi der rechten Hand über, in Harmonien schwelgend, erst träumerisch, dann immer heroischer, bis aus der Tiefe des Klavierklangs das erste Thema mit seinen punktierten Rhythmen wieder auftaucht. Die Reprise der beiden Themen wird harmonisch und klanglich gesteigert, als Coda dienen die schwärmerischen Dreiklangsbrechungen des Mittelteils, am Ende klingt das Stück mit dem ersten Thema resiginiert aus.
Sehr viel lyrischer und kompakter wirkt das Ges-Dur-Impromptu, op. 90 Nr. 3: Weich gebrochene Dreiklänge con pedale tragen die sanft fließende Melodie – ein träumerisches Abend- oder Nachtstück, das erst im Mittelteil tragische Züge annimmt und nach sieben Minuten sanft verklingt.