Fünf Chansons für Bläserquintett (1997) | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Detlef Glanert

Fünf Chansons für Bläserquintett (1997)

Fünf Chansons für Bläserquintett (1997)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Flöte
Oboe
Klarinette
Fagott
Horn

Satzbezeichnung

Air (Luftig)
Heliotrop (Molto rubato, entlegen)
Gambade (Entschlossen und mit Schwung)
Tramonto (ohne Zeitgefühl)
Ariel (leicht und schwungvoll)

Erläuterung

„Fazit: faszinierende Musik, fabelhaft dargeboten“, so resümierte der Musikkritiker Friedrich Dold 1998 eine Aufführung der Fünf Chansons für Bläserquintett von Detlef Glanert. „Hier konnte man mit Freude feststellen: Zeitgenössische Komponisten skelettieren Musik nicht mehr zu Gedankenkonstrukten… Glanert setzt sowohl die Einzelinstrumente als auch das Ensemble absolut ‘artgerecht’ ein, experimentiert aber durchaus mit harmonischen Schichtungen, mit verschlungenen Verläufen, mit Einzeltönen – und auch mit der Stille; also immer mit Elementen, die auf das Rohmaterial zurückgreifen, aus dem Musik entsteht: den Klang.“ Ihre Uraufführung erlebten die fünf Sätze im Mai 1997 im Apollosaal der Berliner Staatsoper, gespielt vom Bläserquintett der Staatskapelle Berlin.

Der Hamburger Komponist Detlef Glanert, 54 Jahre alt, ist ein Meisterschüler von Hans Werner Henze und wie sein Lehrer vor allem ein erfolgreicher Opernkomponist. Caligula, sein schonungsloses Porträt des blutrünstigen römischen Kaisers nach dem Schauspiel von Albert Camus, feierte 2006 an der Oper Frankfurt ihre viel beachtete Premiere. Ebenso großen Erfolg hatte er mit Solaris, seiner Opernversion des Science-Fiction-Klassikers von Stanislaw Lem, uraufgeführt 2012 bei den Bregenzer Festspielen. Für sein musiktheatralisches Schaffen wurde ihm 2009 der deutsche Musikautorenpreis verliehen.

Neben seinem Lehrer Henze hat sich Glanert vor allem zu zwei großen Vorbildern bekannt: zu Gustav Mahler wegen „seiner emotional grundierten Weltschau“ und zu Maurice Ravel wegen dessen „artifiziell-sinnlichen Klanglandschaften“. Mit seinen Idolen gemeinsam hat er die Meisterschaft in der Orchesterbehandlung und die Gabe zum Erfinden eindrucksvoller, musikrhetorischer Gesten. Unverhohlen bekennt er sich zur großen Tradition der Romantik, wenn auch in modernem Klanggewand. 2001 erhielt er den Bayerischen Theaterpreis für seine Vertonung eines zentralen Theaterstücks der deutschen Romantik: Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung von Grabbe. Ellen Kohlhaas schrieb über diese Oper in der FAZ: „Ein Bekenntnis zur Literaturoper ohne Angst vor Tradition. Auch Glanerts Musik ist eminent erzählerisch, in oft klangmalerischen Farben, Lichtern und brillanter Instrumentation – ein Eldorado für das Orchester.“

In die gleiche Richtung zielen die Fünf Chansons für Bläserquintett, die Glanert drei Jahre vor seiner romantischen Oper komponiert hat. Die fünf Sätze tragen programmatische Titel:

Air steht über dem ersten Satz, was im Französischen sowohl „Luft“ als auch „Arie“ bedeutet. „Luftig“ spielt der Klarinettist zu Beginn ein langes Solo ohne jede Begleitung, eine Arie, die sehr leise einsetzt, aber zu großer Intensität anschwillt. Cantando („singend“) hat Glanert unter die Fortsetzung dieses Solos geschrieben, das plötzlich vom leisen Staccato der übrigen Instrumente begleitet wird. Das Horn spielt leise Echos zur Klarinette, dann übernimmt die Oboe die melodische Führung. Allmählich wird ihr Gesang von den luftigen Klängen der anderen Instrumente überlagert.

Heliotrop, der Titel des zweiten Satzes, könnte auf die Blumengattung gleichen Namens anspielen, den wie eine Blüte entfaltet sich zu Beginn eine leise Melodie der vier Holzbläser (molto rubato, „entlegen“). Ihnen tritt das Horn mit einer Variante dieser ornamentalen Melodie gegenüber. Immer wieder kehrt der Satz zu den Blumenornamenten vom Anfang zurück und klingt mit einem ganz leisen Hornsolo aus.

Gambade ist im Französischen ein Freudensprung oder Luftsprung, im übertragenen Sinn auch ein lächerlicher Einfall, eine Kapriole. Davon zeugen im Klang des vierten Stücks vor allem die vielen Sprünge, aber auch die Flatterzunge aller fünf Spieler. An Luftsprünge lassen besonders die bizarren Läufe des Fagottisten denken, der mit seinen Kapriolen nach und nach das ganze Ensemble ansteckt. Mit immer gewagteren „Gambaden“ des Fagotts klingt der Satz aus.

Tramonto steht über dem vierten Satz, also „Sonnenuntergang“. Ein Glissando des Horns eröffnet dieses zarte Klangbild, das von Liegeklängen der übrigen Instrumente geprägt wird, die „ohne Zeitgefühl“ zu spielen sind.

Ariel, der Luftgeist aus Williams Shakespeares Theaterstück Der Sturm, ist der Held des fünften und letzten Stücks. „Leicht und schwungvoll“ sollen die Sechzehntel-Triolen klingen, die in rasendem Tempo und dreifachem Piano durch alle Stimmen wehen. Allmählich wird der Luftgeist wagemütiger, ein wildes Fortissimo aller fünf Instrumente unterbricht den luftig-leichten Schwung der leisen Passagen. Laut, wild und unbotmäßig schließt das Stück.

Was Stefan Keim in der Zeitung Die Welt über Glanerts Opern schrieb, kann auch für die Fünf Chansons gelten: „Glanert bedient sich mit großem Geschick in der Musikgeschichte vom sentimentalen Arioso bis zu expressiven Dissonanzen, von der harmonisch leicht angeschrägten Ballettmusik bis zu tänzerischen Musicalrhythmen.“