Suite italienne, Fassung für Cello und Streicher von Benjamin Wallfish
Werkverzeichnisnummer:
Violoncello
1. Introduzione (Allegro moderato)
2. Serenata (Larghetto)
3. Aria (Allegro alla breve)
4.
Tarantella (Vivace)
5. Minuetto e Finale (Moderato – Molto vivace)
Aus den Tänzen seines Balletts Pulcinella formte Igor Strawinsky Anfang der 1930er Jahre seine Suite italienne, zunächst in einer Fassung für Cello und Klavier, die ihm der große Cellist Gregor Piatigorsky einrichtete. Später bearbeitete er die Suite auch für Violine und Klavier. In unserem Konzert erklingt die Cellofassung mit einer Begleitung für Streichorchester, die der englische Cellist Benjamin Wallfish arrangiert hat.
Die Sätze der Italienischen Suite wie auch des Balletts Pulcinella entwarf Strawinsky als Huldigung an das Genie des großen Komponisten Giovanni Battista Pergolesi – so zumindest glaubte er. Denn die italienischen Triosonaten, aus denen er die Themen für beide Werke übernahm, wurden um 1920 noch Pergolesi zugeschrieben. Heute weiß man, dass sie in Wahrheit von Domenico Gallo komponiert wurden, einem Zeitgenossen Pergolesis, der um 1750 in Venedig wirkte. Danach ging er nach London, wo zwei Bände mit Triosonaten von ihm erschienen. Der Sonatenband, den Strawinsky benutzte, kam ebenfalls in London heraus, freilich erst 1780 unter dem Namen Pergolesis – eine Zuschreibung, die damals schon von den Musikkennern Londons bezweifelt wurde. Später aber wurden die angeblichen Pergolesi-Sonaten immer wieder unter dessen Namen herausgegeben, etwa von Hugo Riemann. Strawinsky saß also einem musikhistorischen Irrtum auf, der damals schon 150 Jahre alt war. Denn gerade ein früh verblichenes Genie wie Pergolesi, der mit 24 Jahren anno 1736 in Pozzuoli starb, zog posthum die Gier der Nachwelt an, die ihm weit mehr Werke zuschrieb, als er jemals hätte komponieren können. Tragisch daran ist, dass Strawinsky sein Ballett aus wahrer Liebe zu Pergolesi komponierte. Ob er jemals die Wahrheit erfahren hat?
In der Suite italienne hört man also Themen des Venezianers Domenico Gallo, die Strawinsky für Musik von Pergolesi hielt, in sehr freier Bearbeitung durch den russischen Komponisten. In der Einleitung (Introduktion) verarbeitete Strawinsky noch relativ stilecht den Anfang der ersten Triosonate von Gallo. Auch die folgende Serenade benutzt eine wunderschöne Siciliano-Melodie des Italieners in dezenter Form. Erst ab dem dritten Satz geht die Musik eigene Wege. Diese Aria ist eine sehr freie Abwandlung eines Tanzsatzes von Gallo, wobei gegen Ende noch einmal das Siciliano-Thema aus der Serenade anklingt. Eine Tarantella findet sich unter Gallos Sätzen nicht, da dieser neapolitanische Volkstanz im 18. Jahrhundert nicht als standesgemäß galt. Sein Name erinnert nicht zufällig an die Tarantel: Mit den konvulsiven Bewegungen der Tarantella konnte man angeblich das Spinnengift ausschwitzen, falls man von einer Tarantel gebissen worden war. Entsprechend wild ist der Satz auch bei Strawinsky.
Menuett und Finale sind zu einem Doppelsatz zusammengefasst. Schon die Harmonisierung des Menuetts ist reiner Strawinsky. Auch die Melodie des Cellos verliert sich nach und nach in Wendungen, die den Russen hinter dem Italiener hervortreten lassen. Die Musik wird dissonant und hölzern, von gezupften Saiten und robusten Doppelgriffen geprägt. Nach einer großen Steigerung geht der Dreiertakt des Menuetts unmittelbar in den Zweiertakt des Finales über. Hier hat Strawinsky nur noch melodische Fragmente des Italieners verwendet und ansonsten seiner Vorliebe für perkussive Rhythmen und kantige Klangspielereien freien Lauf gelassen. Beim Hören dieser Musik sollte man nicht vergessen, dass sie ursprünglich dazu diente, Tänzer zu begleiten, die in den Kostümen der Commedia dell’Arte groteskes Straßentheater im pseudo-italienischen Stil zu tanzen hatten.