Sonate e-Moll für zwei Violinen op. 3,5 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Jean-Marie Leclair

Sonate e-Moll für zwei Violinen op. 3,5

Sonate e-Moll für zwei Violinen op. 3,5

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Besetzung

Violine I
Violine II

Satzbezeichnung

Allegro ma poco
Gavotta. Grazioso
Presto

Erläuterung

Die Geschichte des kunstvollen Violinduos beginnt im Frankreich des Rokoko, denn weder Arcangelo Corelli noch Antonio Vivaldi haben Werke für zwei Violinen ohne Begleitung geschrieben. Ihre Dialoge zwischen zwei Geigen werden stets vom Basso continuo begleitet, sind also Triosonaten. Erst die französischen Violinvirtuosen des Spätbarock lernten den Wert des Duospiels ohne Begleitung schätzen – als Vehikel für den Unterricht, aber auch für die zwanglose musikalische Konversation, ohne dass erst lange ein Cembalo gestimmt werden musste. Ein findiger Deutscher wies ihnen den Weg: Georg Philipp Telemann veröffentlichte 1727 in Hamburg seine sechs Flötenduos als Sonates sans Basses, à deux Flutes traverses, ou à deux Violons. In Paris wurden diese Duette sofort durch Nachdrucke bekannt. An ihnen lernten die französischen Geiger das Duoschreiben in der modernen Form der italienischen Sonate.

Jean-Marie Leclair, der Exzentriker unter den Pariser Violinvirtuosen, war prädestiniert dazu, Violinduos im italienischen Stil zu schreiben, denn er hielt sich lange Jahre in Italien auf, bevor er sich in Paris niederließ. An der Seine fand sein Leben vor 250 Jahren ein dramatisches Ende: Am 23. Oktober 1764 wurde er vor seiner Wohnung ermordet aufgefunden. Das Gewaltverbrechen wurde nie aufgeklärt, obwohl alle Indizien auf seinen geldgierigen Neffen hindeuteten. Vermutlich verfolgten die Behörden den Fall nicht weiter, weil Leclair als extrem reizbar galt und in einer berüchtigten Pariser Vorstadt wohnte.

1758 hatte er sich aus heiterem Himmel von seiner zweiten Frau getrennt, einer Kupferstecherin, die ihm alle seine gedruckten Noten gestochen hatte. Mit seiner ersten, früh verstorbenen Frau hatte er um 1720 im Ballett seiner Heimatstadt Lyon seine Karriere begonnen. 1722 berief man ihn als Choreographen ans Ballett der Turiner Oper, wo er mit dem Komponieren von Zwischenaktballetten begann. Der tänzerische Rhythmus lag ihm im Blut, was man noch an der schönen Gavotte in seiner e-Moll-Duosonate hören kann.

In Turiner Opernhaus hatte Leclair Gelegenheit, italienische Seria-Opern zu hören und den italienischen Orchesterstil zu studieren. Fürs Solospiel nahm er Unterricht bei dem Corelli-Schüler Somis. Nicht zufällig stellte er sich 1723 in Paris mit einem Opus I aus Violinsonaten im reinsten italienischen Stil vor – für Frankreich damals eine Revolution. Solange der Sonnenkönig noch am Leben war, hatte sich der „goût italien“ an den Ufern der Seine offiziell nicht ausbreiten dürfen. Erst nach seinem Tod brachte die Epoche der „Régence“ –die Regentschaft seines Neffen Philippe von Orléans – eine Entspannung auf allen Ebenen von Kultur und Gesellschaft, auch im rigiden französischen Stil der Musik, die nun zunehmend von italienischen Elementen unterwandert wurde. Als der Urenkel des Sonnenkönigs, Ludwig XV., selbst die Regierung übernahm, brach für die italienische Musik in Paris ein goldenes Zeitalter an. Der neue König liebte italienische Violinkonzerte, besonders den Frühling aus den Vier Jahreszeiten von Vivaldi. 1733 ernannte er Leclair zum Geiger in seinem Hoforchester. Vier Jahre später veröffentlichte dieser sein Opus 7 mit sechs hoch virtuosen Violinkonzerten im Stile Vivaldis.

Mit seinen Violinsonaten und Konzerten hat Leclair französische Musikgeschichte geschrieben, doch durch seinen reizbaren Charakter raubte er sich die Früchte seiner Arbeit. 1737 schied er im Streit aus dem Hoforchester, weil er die Konkurrenz des königlichen Lieblingsgeigers Guignon nicht ertrug. Gekränkt räumte er das Feld und ging für fünf Jahre in die Niederlande, wo er am Hof der Prinzessin von Oranien wirkte. Diese hoch musikalische Hannoveranerin, eine Tochter König Georgs II. von England, war als „Princess Anne“ in London Händels Lieblingsschülerin gewesen. Sie wusste Leclair und dessen Musik zu schätzen, doch auch die glücklichen Jahren in Holland fanden ein vorzeitiges Ende. 1743 kehrte Leclair nach Paris zurück und bewährte sich zunächst in der Leitung diverser Privatorchester, bevor er 1746 den Schritt auf die große Bühne der Königlichen Oper wagte. Seine einzige Volloper, die wundervolle Tragédie lyrique Scylla et Glaucus, war leider ein Misserfolg, was ihrem Wert in keiner Weise entspricht. Frustriert zog sich der Komponist in die Randbezirke der Hauptstadt zurück, wo sein Leben das geschilderte mysteriöse Ende fand.

In seiner e-Moll-Sonate für zwei Violinen, der Nr. 5 seines Opus 3 von 1730, verband Leclair auf elegante Weise italienischen und französischen Stil. Die Ecksätze sind rein italienisch: ein Allegro ma poco im weich singenden, galanten Stil der Zeit um 1730 und ein furioses Presto im Dreiertakt, das Vivaldi alle Ehre machen würde. Für den langsamen Mittelsatz dagegen wählte Leclair eine Gavotte en rondeau, einen eleganten französischen Tanz im Zweiertakt in Form eines Rondeau mit zwei Couplets. Seine Jugend als virtuoser Balett-Tänzer hatte Leclair noch nicht ganz vergessen.