Streichquartett G-Dur, op. 106
Werkverzeichnisnummer:
Violine I
Violne II
Viola
Violoncello
Allegro moderato
Adagio ma non troppo
Molto vivace – Un poco meno mosso
Finale. Andante sostenuto – Allegro con fuoco
In den USA war Dvořáks Stil gewissermaßen „altersweise“ geworden. Die beiden letzten Streichquartette in As und G, Opera 105 und 106, künden davon – in der Schlichtheit ihrer Themen wie in der scheinbar so selbstverständlichen Art ihrer Verarbeitung sind es entwaffnend eingängige Stücke. Das As-Dur-Quartett hat Dvořák noch in New York begonnen, gleichsam als Lebewohl an die Neue Welt. Das G-Dur-Quartett dagegen war sein Willkommensgruß an die Heimat. Die überschwängliche Freude, endlich wieder zuhause zu sein, ist jedem Takt dieses Werkes anzuhören.
Der erste Satz, Allegro moderato, beginnt so böhmisch musikantisch wie nur möglich: drei leise Oktavsprünge der ersten Geige, der dritte mit einem Triller verziert, danach eine Triolenkaskade und ein paar kräftige Synkopen – mehr brauchte Dvořák nicht, um daraus einen Sonatensatz von riesenhaften Ausmaßen zu entwickeln. Dass er hier den tänzerischen Zweivierteltakt wählte, hatte Folgen für die Musik: Alle Themen wirken, als seien sie aus den Slawischen Tänzen abgelauscht. Dabei sorgt das zweite Thema in h-Moll für einen kräftigen Kontrast durch seine schweren Seufzer und den punktierten Rhythmus. Nicht zufällig erinnert es an den ersten Satz des Cellokonzerts in h-Moll. Das eigentliche Seitenthema weicht nach B-Dur aus, so dass der harmonische Radius des Satzes weit gesteckt ist. Die gewaltigen Steigerungen in Durchführung und Reprise hängen damit zusammen. Die dynamische Spanne reicht vom dreifachen Piano bis zum mächtigen Fortissimo. In dieser triumphalen Dynamik schließt der Satz, wenn das düster-schwere h-Moll-Thema endlich als Maestoso in G-Dur leuchtend bestätigt wird.
Zeugt der erste Satz gleichsam von Dvořáks nervöser Aufregung bei der Ankunft in der Heimat, so ist der zweite Satz sein Hymnus an die Wälder Mittelböhmens, in denen er aufgewachsen war. In seinem Sommerhaus in Vysoká schrieb er dieses Adagio ma non troppo gleichsam mitten in der Natur, die in die Musik hineintönt in vibrierenden Tremoli und Vogelstimmen. Entscheidender Motor des Satzes ist das hymnische Hauptthema, das die erste Geige nach acht Takten Einleitung in tiefer Lage auf der G-Saite anstimmt. Unter den zahllosen schönen Streicherthemen, die Dvořák geschrieben hat, ist dies eines der allerschönsten: ein ruhiger Es-Dur-Gesang im Dreiertakt, der sich aus der Tiefe langsam in die Höhe schwingt, bis er auf dem hohen G seinen leuchtenden Höhepunkt erreicht. Im Laufe des Satzes hat Dvořák dieses Thema immer von neuem beleuchtet, einmal cantabile e molto espressivo („singend und sehr ausdrucksvoll“), dann tranquillo („ruhig“) in c-Moll, dann wieder con sentimento („mit Gefühl“), langsam im Tempo anziehend bis zum Fortissimo-Höhepunkt als letzte großen Steigerung, bevor das Thema im Pianissimo sanft ausklingt.
Die Antwort auf dieses schwermütig schöne Adagio ist das Scherzo, Molto vivace in h-Moll, einer jener Tanzsätze Dvořáks, bei denen es Interpreten wie Zuhörer kaum auf den Sitzen hält. Das Hauptthema ist ein Springtanz im Fortissimo mit gezackten Rhythmen und kurzen Vorschlägen. Schon im Hauptteil des Satzes hat Dvořák ein zweites Thema in D-Dur und ein drittes, leises und weiches in As-Dur folgen lassen – nur, damit der Springtanz immer wieder quicklebendig hervortreten und sein etwas Gespenstisches Unwesen treiben kann. Es ist das Böhmen der Hexen- und Spukgeschichten, das hier fröhliche Urständ feiert. Das Trio beginnt dagegen als leise Spieldosenmusik in D-Dur – vielleicht eine Berceuse für ein schlafendes Prinzenkind, das von der Hexe entführt werden soll. Beim späten Dvořák ist jedenfalls mit solcherart Programmmusik zu rechnen. Bekanntlich wandte er sich nach den Neunten Symphonie der Symphonischen Dichtung zu und verarbeitete dort die unterschiedlichsten, auch märchenhaften Sujets – wie in seiner späten Oper Rusalka.
Was Dvořák seinen Landsleuten in einem echten böhmischen Finale schuldig war, wusste er: ansteckend gute Laune. Nach einer ganz kurzen langsamen Einleitung, die das Finalthema schon einmal leise anklingen lässt, setzt das Allegro con fuoco wahrhaft feurig ein. Das G-Dur-Hauptthema mit seiner Synkope und den prickelnden Staccati und Sforzati erhält ein leise raunendes g-Moll-Gegenstück. Später hat Dvořák seinem ersten Geiger ein amerikanisches Thema in die Stimme geschrieben. Ohne Aufhebens von gelehrter Form zu machen, ließ er hier eine Tanzmelodie auf die nächste folgen. Das Perpetuum mobile wird nur durch die Wiederholung der langsamen Einleitung aufgehalten und durch ein kleines Motiv, bei dem sich stets das Tempo ein wenig angehalten wird. Umso orgiastischer wirkt der Schluss.