Sonate Nr. 1 C-Dur (aus den drei Oboensonaten, op. 70) für Klarinette
Werkverzeichnisnummer:
Klarinette
Klavier
Allegro con spiritoso
Adagio
Rondeau. Allegretto
Es gibt kaum ein eindrucksvolleres Musikerbild aus dem 18. Jahrhundert als Jacques-Louis Davids Porträt des Flötisten François Devienne, gemalt gegen 1792. In den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique zu Brüssel hängt es direkt neben Davids berühmtem Gemälde Die Ermordung von Marat. In die Mode der Revolutionszeit gekleidet, setzt sich der junge Virtuose und Komponist selbstbewusst in Szene – Repräsentant einer Epoche Frankreichs, deren Geist er in seinen Konzerten, Kammermusiken und Opern eingefangen hat. Devienne war Virtuose auf der Flöte wie auf dem Fagott. Die Pariser schwärmten davon, wie er mit seinem Spiel die „Seelen der Zuhörer“ verzaubere. Mit Beiträgen zum Genre der Revolutionsmusik war er ebenso erfolgreich wie mit seiner Revolutions-Oper Les Visitandines von 1792. Ihre Musik war so populär, dass sie auch nach der Restauration der Königsherrschaft 1815 mit geändertem Text gespielt wurde.
1798 veröffentlichte Devienne im Pariser Verlag Sieber seine VI Sonates pour Hautbois avec Accompagnement de Basse. Über den Widmungsträger dieser Sonaten, Deviennes Oboistenfreund Sallantin, heißt es in einem zeitgenössischen Musiklexikon: „Sallantin, erster Oboist der Oper, besitzt einen schönen Ton und spielt mit ebenso viel Leichtigkeit wie Grazie.“ Der Oboist Ingo Goritzki hat diese Perlen klassischer Kammermusik vor einigen Jahren für Villa Musica eingespielt.
Der erste Satz ist ein Allegro con spirito (im Originaldruck fälschlich als Allegro con spiritoso bezeichnet) mit einem singenden ersten Thema und einem besonders schönen zweiten Thema, das auch Mozart alle Ehre gemacht hätte. Dazwischen erhält der Bläsersolist ausgiebig Gelegenheit zu langen Passagen, ohne jemals dem Klavier Platz machen zu müssen, denn das Tasteninstrument beschränkt sich in Deviennes Sonaten auf die Ausführung des Basso continuo (im Jahre 1798!).
Immerhin darf der Pianist den langsamen Satz mit einem kurzen klagenden Motiv eröffnen, worauf die Klarinette mit einer larmoyanten Melodie antwortet. Deutlich bewegt sich dieses c-Moll-Adagio im Dunstkreis der Comédie larmoyante, wie sie auf der Pariser Opernbühne schon vor der Revolution populär wurde. Das Schicksal all jener armen, entrechteten, verwaisten jungen Frauen, wie sie Devienne in seinen Opern porträtierte, spiegelt sich in der Klage des Blasinstruments wider. Immerhin ist dieser schöne Satz ein Beleg dafür, wie sich auch in Paris parallel zu den Adagios des frühen Beethoven die Vorliebe für das pathetische Adagio durchsetzte.
Das Finale wirkt dafür umso ausgelassener: ein Rondeau im Rhythmus einer Gigue mit einem fröhlich singenden Thema, das an das Finale so mancher Haydn-Sinfonie erinnert, besonders mit seinem brummenden Bordun-Bass am Ende. Die Couplets sind wieder den virtuosen Passagen vorbehalten, die anno 1798 Monsieur Sallantin auf der Oboe „avec autant de facilité et de grace“ bewältigte.