Streichquartett C-Dur, op. 61
Werkverzeichnisnummer:
Violine I
Violine II
Viola
Violoncello
Allegro
Poco adagio e molto cantabile
Scherzo. Allegro vivo
Finale. Vivace
Auch An¬tonín Dvořák hat Stücke geschrieben, die nicht unmittelbar „zünden“, die sich sperrig und experimentell gebärden. Dazu gehört das Streichquartett C-Dur, op. 61. Er hat es am 10. November 1881, zwei Monate und zwei Tage nach seinem vierzigsten Geburtstag, vollendet. Kaum 40 geworden, wandte sich der Komponist von seiner so genannten „Slawischen Phase“ ab und einem neuen, Stilideal zu. Drei Jahre nach seinem Durchbruch mit den Klängen aus Mähren und den Slawischen Tänzen wollte er offenbar dem Klischee entfliehen, nur ein Meister des gefälligen tschechischen „Volkstons“ zu sein. Der Biograph Klaus Döge erklärte diese Wende auch mit „Irritationen und Enttäuschungen“ in den Jahren 1881 bis 1886. Sie bewirkten möglicherweise „seine Hinwendung zu jenem neuen, viel weniger von slawischem Tonfall durchzogenen und anstelle des Unbeschwerten eher dramatisch, düster und trotzig aggressiv sich gebenden Stil“. Zu den Werken dieser Stilphase zählen „andeutungsweise schon das Streichquartett C-Dur op. 61 (1881), partiell das Scherzo capriccioso op. 66 und deutlich dann das Klaviertrio f-Moll op. 65, die Ouvertüre Husitská op. 67 und die siebte Sinfonie op. 70.“
Der erste Satz, Allegro, beginnt mit einem deutlichen Anklang an das C-Dur-Quintett von Franz Schubert: ruhige liegende C-Dur-Dreiklänge, die nach c-Moll umschlagen, ein leiser Schubertscher Marschrhythmus in der Bratsche, dazu Mollwendungen, die sich erst nach 20 Takten wieder nach Dur aufklaren. Aus den zarten Triolen des Anfangs entsteht bald ein kräftiger Aufgang im Cello, dann ein erwartungsvolles Crescendo aller vier Instrumente, das zum ersten Fortissimo führt. Die Triolen beherrschen auch diesen ersten Höhepunkt wie fast die gesamte Entwicklung des Satzes. Das Thema des Anfangs kehrt leise in der Bratsche wieder, bevor das zweite Thema nach As-Dur lenkt. Mit seinem Synkopenrhythmus und seiner chromatischen Harmonik setzt es einen Kontrast zum Hauptthema, der sich auf Durchführung und Reprise auswirkt. Noch in der Coda werden die Triolen des Hauptthemas und die Synkopen des Seitenthemas deutlich gegeneinander gestellt. Insgesamt schwankt der Satz zwischen heroisch kämpferischen Passagen und dem typischen, luftig-leichten Dvořák-Klang. Auch diesen Gegensatz kann man bis in die Schlusstakte hinein verfolgen.
Die Perle des C-Dur-Quartetts ist der langsame Satz. Poco adagio e molto cantabile (Etwas langsam und sehr singend) steht über diesem nie abreißenden Strom schöner Melodien, die auf einem zarten Triolenklang ruhen dürfen wie auf weichem Moos. Das erste Thema in F-Dur wird von der ersten Geige espressivo angestimmt. Punktierte Rhythmen und Nachschläge bestimmen seinen Gesang, den die zweite Geige aufgreift. Das schöne Duett der beiden Geigen leitet langsam zum zweiten Thema in Des-Dur über. Ausnahmsweise pausiert der Primarius; der zweite Geiger stimmt das Thema an, der Cellist darf es aufgreifen, während der erste Geiger und der Bratschist klangfüllende Triolen beisteuern. In diesem Duktus ungetrübten melodischen Strömens könnte der ganze Satz dahin dämmern wie ein Nocturne, hätte Dvořák nicht zwei Unterbrechungen eingebaut: Die Rückleitung zur Reprise führt in strengem Kontrapunkt von as-Moll über E-Dur wieder nach F-Dur zurück. Kurz vor Schluss hört man eine merkwürdig düstere Pianissimo-Stelle, die sich nur dank des zweiten Themas aufhellt, bevor der Satz leise ausklingt.
Das Scherzo verharrt zunächst in Moll. Es beginnt mit einem gespenstischen Allegro vivo in a-Moll, das wieder ganz von Triolen dominiert wird. „Müsste man diesem Quartett einen Beinamen verleihen, so sollte es wohl ‚Triolenquartett’ heißen“, schrieb Alfons Bürger über das Opus 61. Die Triolen im Scherzo werden durch ein lyrisches zweites Thema in Duolen unterbrochen. Dabei handelt es sich noch nicht um das eigentliche Trio, sondern um einen jener trioartigen Einschübe, wie sie Dvořák im Hauptteil seiner Scherzi immer wieder verwendete. Das eigentliche Trio steht dagegen in A-Dur und wird von einer Volksweise der ersten Geige eröffnet – ein Nachklang auf den „slawischen Stil“ in Dvořáks vorangegangenen Werken. Mitten im volkstümlichen Treiben wendet sich die Harmonie von A-Dur nach C-Dur, die zweite Geige wirft einen zweiten Volkstanz in die Runde, und nun wandern beide Tanzthemen in schönster Kammermusik-Manier durch die Stimmen. Was die ständige Steigerung des prickelnden Klangs anbelangt, zählt dieses Trio zu Dvořáks schönsten Einfällen. Fast schade, dass er danach wieder ins grüblerische a-Moll und zum Beginn des Scherzos zurückgelenkt hat.
Im Finale, Vivace reißen die harmonischen Irritationen nicht ab: Es beginnt in der falschen Tonart – in e-Moll statt C-Dur. Obwohl die erste Geige versucht, diesen „Fehler“ rückgängig zu machen und mit kraftvollen Läufen nach C-Dur lenkt, kehrt das Hauptthema doch in e-Moll wieder. Es dauert lange, bis sich der Satz vom Bann der Mollthemen befreit. Dabei hat Dvořák tunlichst vermieden, auf die Triolen der ersten drei Sätze zurückzugreifen. Der ganze Satz geht in einem schlendernden duolischen Rhythmus seinen Weg, ohne dass sich jemals mitreißende Kehraus-Stimmung einstellt. Offenbar wollte er hier ein besonders kunstvolles, etwas bärbeißiges, mürrisches Finale schreiben, was ihm glänzend gelungen ist, besonders in der kunstvollen Durchführung. Erst kurz vor Schluss tritt das Hauptthema als Grandioso endlich in ungetrübtem C-Dur auf. Doch selbst nach diesem Durchbruch musste Dvořák noch einmal zum grüblerischen Moll zurückkehren. Sicher liegt es an diesem eigenwilligen Finale, dass dem Opus 61 breitere Popularität bis heute versagt blieb.