Violinsonate C-Moll op. 45, Nr. 3 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Edvard Grieg

Violinsonate C-Moll op. 45, Nr. 3

Violinsonate C-Moll op. 45, Nr. 3

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro molto ed appassionato
Allegretto espressivo alla Romanza
Allegro animato

Erläuterung

Ähnlich wie sein deutscher Freund und Kollege Johannes Brahms näherte sich auch der Norweger Edvard Grieg der Gattung „Violinsonate“ vom Klavier aus. Als einer der besten Pianisten seiner Generation trat er immer wieder mit virtuosen Geigern auf, etwa mit dem Russen Adolf Brodsky, der seit 1880 Professor am Leipziger Konservatorium war. Obwohl Grieg an dieses Institut seiner eigenen, dortigen Studien wegen keine guten Erinnerungen hatte, besuchte er Brodsky mehrmals in Leipzig.

Am Neujahrstag 1888 kam es in der Leipziger Wohnung Brodskys zu einer denkwürdigen Begegnung: Johannes Brahms probte mit dem Geiger und einem Leipziger Cellisten sein neues Klaviertrio c-Moll, op. 101. Pjotr I. Tschaikowsky musste notgedrungen zuhören, da er seinen alten Freund Brodsky, den Widmungsträger seines Violinkonzerts, ebenfalls an diesem Tag besuchte. Tschaikowsky mochte Brahms’ Musik nicht, weshalb es nach der Probe des Trios zu einer Verstimmung kam, als man ihn um seine Meinung fragte. Doch Grieg und seine Frau retteten die Situation, so dass der Tag in einem vergnüglichen Essen endete, an das sich Brodsky noch Jahre später erinnerte: „Die drei großen Komponisten saßen beisammen, und alle waren guter Dinge. Ich sehe noch Brahms vor mir, wie er nach einem Schälchen mit Erdbeermarmelade greift und verkündet, dass dies alles für ihn sei und niemand etwas abhaben könne. Es wirkte eher wie ein Kinderfest als wie die Zusammenkunft großer Komponisten.“

Am selben Nachmittag spielten Grieg und Brodsky noch eine weitere Kammermusik-Novität in c-Moll: die dritte Violinsonate des Norwegers. Wenige Wochen zuvor, am 11. Dezember 1887, hatten die Beiden dieses Stück im Leipziger Gewandhaus aus der Taufe gehoben. Es war ein rauschender Erfolg, bald auch in vielen anderen Konzertsälen von Russland bis in die USA, denn Griegs dritte Violinsonate unterschied sich beträchtlich von den früheren in F-Dur, op. 8, und G-Dur, op. 13. Durch ihren ernsten, ja dramatischen Ausdruck und die ausladenden Formen der drei Sätze entsprach sie weit eher den Erwartungen an eine große Konzertsonate als die früheren Stücke.

Griegs Opus 45 ist ganz dem Charakter der „Schicksalstonart“ c-Moll verpflichtet. Wie Beethovens Fünfte Sinfonie schreitet sie „per aspra ad astra“ voran: von einem aufgewühlten Kopfsatz in c-Moll über eine träumerische Romanze im weit entrückten E-Dur bis zu einem stürmischen c-Moll-Finale, in dessen Verlauf endlich das erlösende C-Dur erreicht wird.

Den ersten Satz, Allegro molto ed appassionato, eröffnet die Violine mit einem drängenden Thema auf der G-Saite, das im Gestus dem Anfang von Verdis Macht des Schicksals ähnelt. Das zweite Thema stellt sich ihm tröstlich in den Weg, doch wird die Durchführung ganz vom Appassionato des Schicksalsthemas beherrscht, das sich am Ende des Satzes zu einer wilden Coda im Presto-Tempo steigert.

Die Romanze des Mittelsatzes ist relativ rasch gehalten (Allegretto grazioso). Die Geige überlässt zunächst dem Klavier das Feld. Es stimmt ein 44 Takte langes, himmlisch süßes Thema an, das die Violine zu simpelster Klavierbegleitung wiederholt. Der e-Moll-Mittelteil bringt tänzerischen Scherzo-Tonfall ins Spiel: Ein robuster norwegischer Tanz erinnert entschieden an die Volksmusik von Griegs Heimat, bevor die E-Dur-Romanze wiederkehrt. Dieses Mal aber wird sie von Appassionato-Triolen des Klaviers untermalt, in der Coda gar von einem chromatisch absteigenden Bass, der schon den düsteren Beginn des letzten Satzes andeutet.

Das Finale ist in der Tat ein Allegro animato: belebt durch einen so mitreißenden Rhythmus, das man sich seiner Wirkung nicht entziehen kann. Im zweimaligen Anlauf wird von c-Moll über As-Dur und f-Moll endlich C-Dur erreicht, das sich im Prestissimo bis zu einem Freudentaumel steigert. Damit endet eine Sonate, die François-René Tranchefort zu Recht eine „tragédie de chambre“, eine „Kammertragödie“ genannt hat.

Karl Böhmer