Suite bergamasque für Klavier
Werkverzeichnisnummer:
Prélude. Moderato (Tempo rubato)
Menuet. Andantino et très délicatement
Clair de Lune. Andante très expressif
Passepied. Allegretto ma non troppo
Zeitlebens war Claude Debussy ein Bewunderer der großen französischen Cembalomeister des Barock. „Nichts kann entschuldigen, dass wir die Tradition der Werke eines Couperin und Rameau vergessen haben, die in der Fülle ihrer genialen Einfälle fast einzigartig ist.“ Heute kann von einer solchen Vernachlässigung der französischen Barockmusik nicht mehr die Rede sein. Im Rameau-Jahr 2014 werden zur Erinnerung an den 250. Todestag des großen Burgunders aus Dijon, der am 12. September 1764 in Paris gestorben ist, etliche seiner Opern aufgeführt, auch in Deutschland. Couperin steht auf den Programmen aller Cembalisten, zahlreicher Barockensembles – und mancher Pianisten.
Um 1900 kannte man diese Musik nicht mehr und noch nicht wieder – nicht einmal in Frankreich. Deshalb plädierte Debussy als patriotisch gesinnter „musicien français“ für eine Renaissance des französischen Barock. Auch ganz konkret dienten ihm die Cembalostücke seiner großen Vorgänger als Vorbilder zu eigenen Klavierwerken wie der Suite bergamasque.
Ihren Titel muss man umständlich erklären: Im Italienischen versteht man unter dem „Bergamasco“ die Gegend um die ehemals venezianische Festungsstadt Bergamo unweit des Comer Sees. Diese Region gilt als Heimat der Commedia dell’arte, der italienischen Stehgreif- und Straßenkomödie mit ihren stets gleichen Charakteren unter auffälligen Masken wie Arleccino, Pantalone oder Columbina. Im 18. Jahrhundert wurde diese typisch italienische Form der Komödie auch in Paris populär, wie man auf Gemälden von Watteau sehen kann. Noch in Debussys Jugendzeit regte sie die französischen Dichter an, unter anderem Paul Verlaine. In einem seiner Gedichte prägte er das Wortspiel „masques et bergamasques“, also „Masken und Bergamasken“. Aus dieser Quelle schöpfte der junge Debussy die Idee zu seiner Klaviersuite.
Ursprünglich 1890 komponiert, wurde sie 1905 überarbeitet. Ihr erster Satz ist ein Prélude in F-Dur, ganz im Sinne der Barockmeister entworfen, „ein bezauberndes frühes Zeugnis für Debussys diatonische Klangvirtuosität, die Chormatismen à la Wagner bewusst vermeidet“ (Cristof Rüger).
Im zweiten Satz, dem Menuet in a-Moll, wird „die Beziehung zur Commedia dell’arte deutlich. Das Thema verbreitet Serenadenstimmung, erzählt von ‚maskenhaftem’ Treiben, auf weite Strecken werten Lautenklänge vernehmbar (gezupftes Staccato).“ (Rüger)
Der mit Abstand berühmteste Satz der Suite ist der dritte, Clair de lune. Debussys poetische Nachempfindung des Mondlichts und seiner Wirkungen auf den nächtlichen Betrachter wurde in unzähligen Bearbeitungen popularisiert, besonders von großen Geigern wie Jasha Heifetz oder David Oistrach. In der Originalfassung für Klavier handelt es sich um ein „sehr expressives Andante“ in Des-Dur, „eine der Perlen innerhalb der Klangpoesie Debussys und der gesamten Klaviermusik überhaupt, denen auch eine Überstrapazierung nichts anzuhaben vermag. Symbolisches Verfließen von Seelischem und Naturhaftem, schwebende Andeutung, aufsteigender Traum … Sanft lassen sich Ruhe und Stille herab.“ (Rüger)
Den Finalsatz nannte Debussy Passepied nach einem besonders populären Tanz des Barock. Seltsamerweise wählte er dafür den Vierertakt, obwohl im 18. Jahrhundert der Passepied stets im Dreiertakt steht, als sehr schnelles Menuett mit Auftakt. Debussys hat sich in seinem Allegretto ma non troppo in fis-Moll eher an den motorisch munteren Charakterstücken eines Couperin orientiert: „Eine heitere Melodie wird geistreich und stets transparent abgewandelt,“ so hat es Cristof Rüger in seinem Führer zur Klaviermusik (Leipzig 1979) beschrieben.