Concerto grosso D-Dur Opus 6 Nr. 4
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Nur die wenigsten der Millionen Touristen, die alljährlich das Pantheon in Rom besuchen, werden wissen, dass dort außer Raffael und zwei italienischen Königen auch der Geiger und Komponist Arcangelo Corelli beigesetzt wurde. Kaum ein Bürger der badischen Stadt Ladenburg wird wissen, dass auf der lateinischen Grabplatte des berühmten Barockmeisters die Römerstadt an der A5 zwischen Weinheim und Karlsruhe verewigt wurde. Posthum nämlich ernannte der Kurfürst Jan Willem von der Pfalz den weltberühmten Corelli zum „Markgraf von Ladenburg“, was in der Sprache römischer Inschriften und im Genitiv dort als „Marchioni de Ladensbourg“ geschrieben steht. Und weil das berühmteste Stück von Corelli neben La Follia sein „Weihnachtskonzert“ ist, findet sich über seiner Grabplatte passenderweise ein barockes Fresko mit der Anbetung der Hirten – gleich in der ersten Seitenkapelle links, für alle, die das beim nächsten Romaufenthalt einmal selbst in Augenschein nehmen wollen.
Für den Geiger aus dem kleinen Städtchen Fusignano bei Ravenna war es ein Aufstieg zu höchsten Ehren, im erhabensten antiken Bau Roms, neben Malern und Architekten beigesetzt zu werden. Zu verdanken hatte er dies seinem treuesten Gönner, dem päpstlichen Vizekanzler Ottoboni, in dessen Palast Corelli lebte. Dort schrieb er seine berühmten zwölf Concerti grossi, Opus 6, deren Druckausgabe er noch selbst vorbereiten konnte, obwohl sie dann doch erst nach seinem Tod im Januar 1713 in Amsterdam erschienen sind.
Wenn Corelli eines dieser Concerti grossi in Rom leitete, als Konzertmeister und Dirigent in einer Person, dann handelte es sich wahrhaft um ein „großes Konzert“. In den Festsälen der römischen Palazzi spielten zwischen 20 und 40 Musikern unter seiner Leitung, bei Freiluftaufführungen auf den berühmten Plätzen Roms konnten es bis zu 150 Musikern sein. Die Piazza Navona, die Piazza di Spagna und das Kapitol hallten wider vom feierlichen Adagio des Meisters, von seinen erhabenen Fugen und rauschenden Allegrosätzen.
Verglichen mit diesem römischen Original eines Concerto grosso können unsere Interpreten nur mit einer Kopie im Miniaturformat aufwarten – mit einem „Piccolo concerto“, wie es schon zu Corellis Zeit überall dort üblich war, wo es keine Kardinäle und Fürsten gab, die mit verschwenderischer Hand Riesenorchester bezahlen konnten. In deutschen Bürgerhäusern oder an kleinen Höfen, in englischen „Taverns“ oder französischen Landsitzen ging es durchaus beschaulicher zu, wenn sich man mit wenigen Musikern ein Concerto grosso des Meisters fürs kleine Format zurecht zimmerte. Dies tun auch unsere Interpreten, ganz im Sinne jener Praktiken, wie sie Corellis zeitweiliger Schüler Georg Muffat beschrieben hat.
Im D-Dur-Concerto Opus 6 Nr. 4 ist dies nicht ganz unproblematisch, warten sein erster und letzter Satz doch mit typischen Streichereffekten auf: Furiose Dreiklangsbrechungen und Tremoli lassen erahnen, was Zeitgenossen meinten, wenn sie den überwältigenden Effekt von Corellis Concerti grossi beschrieben. Dazu gehörte immer auch die Wirkung der feierlichen Adagios: Dem ersten rauschenden Allegro geht eine kurze langsame Einleitung voran. Länger und gewichtiger ist das tiefsinnige Adagio an dritter Stelle, das aus lauter repetierten Achteln mit ausdrucksstarken Vorhaltsdissonanzen in h-Moll zusammengesetzt ist – ein weiterer typischer Streicheffekt Corellis. Die beiden folgenden leichten Tanzsätze eignen sich gut für die kammermusikalische Bearbeitung, während der plötzlich einsetzende, rauschende Schluss wieder eher orchestral gemeint ist.
Karl Böhmer