(Fragment, ergänzt von Eduard Melkus)
Werkverzeichnisnummer:
Allegro
Adagio
Rondeaux: Allegro
Mozart in Kirchheimbolanden
Während des langen Winters 1777/78, den Mozart mit seiner Mutter in Mannheim verbrachte, unternahm er mehrere Ausflüge in die linksrheinische Pfalz. Der längste und bedeutendste führte ihn Ende Januar 1778 für sechs Tage nach Kirchheimbolanden zur Fürstin Caroline von Nassau-Weillburg, die Mozart schon aus seinen Kindertagen kannte, als sie noch am Hof ihres Vaters in den Niederlanden lebte. Nun wirkte Caroline als Gattin des Fürsten in der nordpfälzischen Residenzstadt zwischen Schloss, Orangerie und Ortskern. Die Atmosphäre in der kleinen Residenzstadt genoss Mozart in vollen Zügen: Das Hoforchester wurde von fähigen Musikern geleitet, besonders von dem aus Bayern stammenden Konzertmeister Paul Rothfischer. Von ihm schwärmten die Zeitgenossen: „Er zog den schönsten Glaston aus seiner Violine und setzte seine Concerte für dies Instrument ebenso gründlich und geschmackvoll, als er sie mit Empfindung und Ausdruck, ohne alle Grimasse, vorzutragen wusste.“ (Gustav Schilling, Encyclopädie der gesammten musicalischen Wissenschaften, Stuttgart 1838)
Rothfischer beeindruckte Mozart dermaßen, dass er ihn sogar seinem Vater Leopold in Salzburg empfahl. Von der ersten Begegnung berichtete Wolfgang dem Vater im Brief vom 2. Februar 1778:
„das erste ist daß ich ihnen schreibe, wie es mir und meinen werthen freünden in kircheim=Poland ergangen ist. es war eine Vacans=reise, und weiter nichts. freÿtags morgens um 8 uhr fuhren wir von hier ab, nachdem ich beÿ hr: weber das frühstück eingenommen hatte; wir hatten eine galante gedeckte viersitzige kutsche: um 4 uhr kamen wir schon in kircheim=Poland an. wir mussten gleich ins schloss einen zetul mit unsere Näme schicken. den andern tag frühe kam schon der hr: Concert=meister Rothfischer zu uns, welcher mir schon zu Mannheim als ein grundehrlicher Mann beschrieben wurde; und ich fand ihn auch so. Abends giengen wir nach hof, das war samstag; da sang die Mad:selle Weber 3 arien. ich übergehe ihr singen – – mit einen wort vortreflich! – den andern tag giengen wir ein ziemlich stück weege in die kirche, den die Katholische ist ein bischen entfernt. das war sonntag. zu mittage waren wir wieder an der tafel. abends war keine Musique, weil sonntag war. Darum haben sie auch nur 300 Musiquen das jahr … den andern tag Montag war wieder Musique, dienstag wieder, und Mittwoch wieder; die Mad:selle Weber sang im allen 13 mahl, und spielte 2 mahl Clavier, den sie spiellt gar nicht schlecht … ich hab im allen 12 mahl gespiellt, und einmahl auf begehren in der lutherischen kirche auf der Orgel, und habe der fürstin mit 4 sinfonien aufgewartet.“
Mozarts Brief bezeugt, dass die Fürstin jeden Abend außer sonntags Konzert veranstaltete, wobei Mozart sich selbst und seine kostbare Reisebegleiterin entsprechend in Szene setzen konnte: die sechzehnjährige Manneimer Koloratursopranistin Aloysia Weber. Mozart war ihr Gesangslehrer und bald in sie verliebt. Was er selbst in Kirchheimbolanden auf dem Hammerflügel oder dem Cembalo spielte, ist bis heute unbekannt. Man weiß nur von den erwähnten 4 Sinfonien, die er sicher mit der Violine in der Hand dirigierte. Hier nun beginnt die Geschichte der Sinfonia concertante KV 320a.
Konzertante Sinfonien – unvollendet
Die Qualitäten des Konzertmeisters Rothfischer scheinen Mozart in Kirchheimbolanden zu einem neuen Werk inspiriert zu haben, das er in der kurzen Woche aber nicht vollenden konnte: zum Doppelkonzert für Violine, Klavier und Orchester, KV 315f. Es ist mit „Mannheim 1778“ datiert. Als Mozart ein Jahr später, im März 1779, wieder in Salzburg eintraf, nahm er den Faden jenes pfälzischen Doppelkonzerts wieder auf und begann zwei neue Sinfonie concertanti im gleichen Stil für Solostreicher und Orchester. Die eine in Es-Dur KV 364 für Violine, Viola und Orchester vollendete er – sie gehört zu seinen großartigsten Orchesterwerken und wurde im letzten Jahr in Kirchheimbolanden durch junge Solistinnen der Villa Musica mit dem KKO aufgeführt. Die andere in A-Dur für Violine, Viola, Violoncello und Orchester ließ er unvollendet liegen – aus welchem Grund, ist leider nicht bekannt.
Das Papier, auf dem Mozart die A-Dur-Concertante notierte, stammt zweifelsfrei aus Salzburg und wurde von ihm erst 1779 benutzt. Es ist also ausgeschlossen, dass er dieses Werk schon in der Pfalz begonnen hat. Dennoch weisen der mächtige Kopfsatz wie die Virtuosität der drei solistischen Streicher auf Mannheim, Paris und – Kirchheimbolanden.
Sinfonia concertante A-Dur – vollendet
Dass Mozart seine wunderbare Sinfonia concertante für Streichtrio und Orchester nur bis zur Mitte des ersten Satzes vorangetrieben hat und dann unvollendet liegen ließ, wollte der Wiener Geiger Eduard Melkus nicht hinnehmen: Er fand das Fragment des ersten Satzes so bedeutend, dass er es kurzerhand vollendete – im Geiste Mozarts und mithilfe des reichen vorliegenden Materials. In der Mainummer 2010 der Österreichischen Musikzeitschrift begründete er seine Vorgehensweise – unter der bezeichnenden Überschrift „Zur Ergänzung von Mozarts Tripelkonzert-Fragment A-Dur (KV 320e) – Von den Freuden und Schwierigkeiten, ein Genie vervollständigen zu wollen“:
„Wir können annehmen, dass Mozart, als er den ersten Teil geschrieben hatte, feststellen musste, dass der technische Anspruch im Cello-Part für die Salzburger Musiker zu hoch war. Sicher hat er in Paris Cello-Virtuosen gehört, die solche Anforderungen gerechtfertigt hätten – auch in Wien wäre der Eine oder Andere diesem Part gewachsen gewesen –, aber im kleinen Salzburger Orchester fand sich offenbar kein adäquater Spieler. Und so ließ er die angefangene Komposition liegen und wendete sich dann einem neuen Werk zu – unter Weglassung des Cellos: der großartigen, viel weiter ausgebauten Sinfonia concertante für Violine und Viola in Es-Dur KV 364. Das künstlerische Niveau des Fragments, die in der gesamten Literatur seltene Besetzung und auch ihre bedeutsame Stellung im Lebenswerk Mozarts (es handelt sich um die einzige Solo-Komposition für Cello) lassen uns nur zu sehr bedauern, dass er das Konzert nicht weitergeführt hat. Immerhin ist durch die vollständig instrumentierte Orchestereinleitung und die gesamte Exposition der Soloinstrumente mit den acht Anfangstakten der Durchführung die Richtung gegeben.“
Bemerkenswert ist dieses erste Allegro schon wegen des wunderschönen Themas, das die Streicher im Orchestervorspiel ausbreiten – von den Bläsern mit einer Fanfare beantwortet. Über 51 reich instrumentierte Takte coller Kontraste breitet sich die Orchestereinleitung aus, bevor die drei Solostreicher gleich mit einer Trio-Kadenz einsetzen: Triller, ausgehaltene Töne in hoher Lage und virtuose Läufe des Cellisten lassen an Mozarts Absichten keinen Zweifel aufkommen: Diese Sinfonia concertante sollte ein Virtuosenstück für alle drei Solisten werden – im Dialog untereinander und mit dem Orchester. Rund 80 Takte dieses komplexen Trio-Musizierens hat Mozart aufgeschrieben, teils mit, teils ohne Begleitstimmen. Immerhin hat er am Ende sogar noch ein besonders schönes neues Geigenthema notiert, das die Durchführung des Satzes eröffnen sollte. Mit diesem Material konnte Eduard Melkus den ersten Satz überaus wirkungsvoll fertigstellen.
Freilich begnügte er sich nicht mit der Vollendung des fragmentarischen ersten Satzes, sondern fügte ein Adagio und ein Rondo hinzu: das Adagio E-Dur KV 261 und das Rondo B-Dur KV 269. Beide Sätze sind im Original für Violine und Orchester geschrieben. Das E-Dur-Adagio sollte den ursprünglichen langsamen Satz im A-Dur-Violinkonzerts KV 219 ersetzen, weil Letzterer dem neuen Salzburger Konzertmeister Antonio Brunetti zu gelehrt und zu anspruchsvoll war. In ähnlicher Weise könnte KV 269 als nachkomponiertes Finale für das B-Dur-Violinkonzert KV 207 bestimmt gewesen sein. Melkus hat Letzteres nach A-Dur transponiert und beide Sätze wirkungsvoll auf die drei Solisten verteilt. Auf diese Weise hat er nicht nur Mozarts Tripelkonzert-Fragment für die Nachwelt gerettet, sondern auch zwei einzeln stehende, eher selten zu hörende Konzertsätze des Meisters in einen neuen Zusammenhang gestellt, in dem sie regelrecht aufblühen. Gerade das B-Dur-Rondo mit seinem allzu oft von der Geige wiederholten Rondothema gewinnt ungemein, wenn dieses Thema abwechselnd von drei Solisten gespielt wird.