Sonate für Violine und Klavier
Werkverzeichnisnummer:
Sonate für Violine und Klavier
1. Allegro moderato
2. Largo
3. Vivace – Andante molto
Der Musik seines Großvaters Edison Denissow ist Fedor Rudin besonders eng verbunden. Aus Tomsk (Sibirien) stammend, wurde dieser erst diplomierter Mathematiker, bevor ihn Dmitri Schostakowitsch zum Kompositionsstudium ermutigte, das er 1956 am Moskauer Konservatorium abschloss. Auf die Frage, ob der Mathematiker in ihm seine Musik beeinflusst habe, antwortete Denissow einmal, auch an der Mathematik interessiere ihn vor allem der philosophische Aspekt. „Gemeint ist die Schönheit des Gedankens, wie sie von Mathematikern verstanden wird, oder wie sie von Bach und Webern verstanden wurde.“
Der Bezug zu den Großen der Vergangenheit, zu Bach und Mozart, Debussy und Webern, war für seine Musik ebenso bedeutsam wie die Verarbeitung neuester westlicher Techniken. Dadurch gehörte er zu den ersten russischen Komponisten seiner Generation, deren Werke im Westen regelmäßig aufgeführt wurden. Besonders seine Solokonzerte fanden rasch Eingang ins Repertoire, wurden sie doch für die damals berühmtesten Solisten komponiert: das Flötenkonzert für Aurèle Nicole, das Oboenkonzert für Heinz Holliger und das Violinkonzert für Gidon Kremer. Durch ihre subtile, eigenständige und spannungsreiche Verschmelzung von Ost und West sorgten sie vor allem in den Achtziger Jahren für Aufsehen. Ein schwerer Autounfall riss den 63-Jährigen 1994 aus seinem Wirken heraus. Bis dahin hatte er als Professor für Instrumentation und Komposition in Moskau eine bedeutendes Schülerschar um sich versammelt. Der Unfall zwang ihn zur Übersiedlung nach Paris, wo er 1996 gestorben ist.
Die Violinsonate ist ein Frühwerk aus dem Jahre 1963, eine Studie in pointilistischen Klängen, die im einleitenden Allegro moderato wie Farbtupfer auf die Leinwand gemalt werden, von beiden Instrumenten im eng verzahnten Dialog entwickelt. Allmählich werden die Klänge massiver, während sich auch die Fünfer-Metren zunehmend wild tänzerisch gebärden – eine Musik auf halbem Weg zwischen Strawinskys Sacre du Printemps und der virtuosen Musik der russischen Geigenschule. Mancher schrill dissonierende Akkord erinnert an Schostakowitsch. Nach zweieinhalb Minuten geht der Satz mit Getöse zu Ende.
Ein sehr ruhiges Largo beginnt, vom Klavier una corda zu spielen, von der Violine mit Dämpfer. Die Akkorde stehen im Raum wie Klangimpressionen von Debussy. Darüber erhebt sich der Sprechgesang der Violine, der zunehmend mit Trillern und schnellen Läufen ausgeziert wird. Später passt sich auch das Klavier dem ornamentalen Duktus an. Die zarte Klangaura und das sehr langsame Tempo verleihen diesem Satz eine wundervolle Wirkung.
Das abschließende Vivace ist ein ironischer Tanz, der wieder mit hingetupften Tönen und Tonrepetitionen beginnt, bis die Violine ihre Stimme zu einer kleinen, klagenden Melodie erhebt. Der ganze Satz bleibt in der Spannung zwischen Klang-Pointilismus und kurz aufleuchtendem Pathos bzw. dissonant hämmernden Klavierakkorden. Am Ende aber lösen sich die disparaten Klänge auf, es kommt zu einem Andante molto, und ein Lauf der Violine leitet zur meditativen Ruhe des Mittelsatzes zurück. In äußerster Ruhe klingt die Sonate aus.