Arie der Dido | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Niccolò Jommelli

Arie der Dido

Arie der Dido (1763)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Erläuterung

NICCOLÒ JOMMELLI

Arie der Dido (1763)

„Onore dell’armonica famiglia“, die Ehre der Musikerfamilie Europas – so nannte der Wiener Hofdichter Pietro Metastasio den Stuttgarter Hofkapellmeister Niccolò Jommelli. Immer wieder hat Metastasio in begeisterten Worten festgehalten, wie sehr ihn Jommellis Vertonungen der eigenen Verse bewegten, wie er dieselbe Arie „zweitausend Mal“ hören konnte und immer noch von ihr gerührt war. Er fand bei Jommelli einen „nuovo ed armonioso intreccio della voce con gl’instromenti“, eine neue und harmonische Verflechtung der Singstimme mit den Instrumenten, und er gestand in einem Brief aus Wien vom April 1765, dass dieser Stil „sofort und ohne jede Überlegung von meinem Herzen Besitz ergreift“.

Diese Reaktion zeigte auch das Publikum im Stuttgarter Hoftheater, als dort 1763 Jommellis Oper Didone abbandonata aufgeführt wurde – natürlich auf einen Text von Metastasio. Die erste Arie der stolzen Königin Dido von Karthago ist typischer Jommelli: Eine langgezogene Melodie der Geigen, die später der Sopran übernimmt, wird von einem pulsierenden Klanggrund aus kleinen und kleinsten Streicherfiguren getragen. „Jommelli täuscht uns selbst mit Kleinigkeiten, überrascht mit unerwartetem Kunstgewebe“, so schrieb Abbé Vogler in seinen Betrachtungen der Mannheimer Tonschule. Wenn die Sopranistin einsetzt, muss sie über dem „Kunstgewebe“ des Orchesters eine unendliche Melodie von 30 Takten in langen Tönen ausbreiten. Danach setzen sofort mörderische Koloraturen ein. Die Stuttgarter Primadonna Maria Masi Giura musste derlei Maximal-Anforderungen ohne Murren hinnehmen, denn Jommellis Umgang mit seinen Sängerinnen und Sängern war alles andere als freundlich: „Sonst groß, voll Zauberkraft und fortreißender Stärke war er nicht gefällig genug gegen seine Sänger“, kritisierte Abbé Vogler den Meister.

Für das heutige Konzert haben zwei junge Sängerinnen des Studienkollegs Barock Vokal von der Mainzer Musikhochschule die beiden Jommelli-Szenen vorbereitet. Die Einstudierung übernahmen Claudia Eder und Christian Rohrbach, wofür ihnen herzlich gedankt sei. Unsere Solistinnen schlüpfen in die Rolle der unglücklichen Königin Dido, die von Aeneas verlassen wird und sich gegen die Aggression des Numiderkönigs Jarba behaupten muss. Ihm schleudert sie die Worte ins Gesicht: „Son Regina, e sono amante.“ „Ich bin Königin, und ich bin Liebende, und ich will in meinem Reich wie in meinem Herzen die Macht für mich alleine.“

Den Stolz dieser Sätze hat Jommelli in ungeheuer eindrucksvolle Klänge gekleidet, denn wie schrieb schon Abbé Vogler über ihn? „Sein Ausdruck ist Beweis seines Genies – und daß er beide, den Dichter und seine Kunst, verstand – mit beiden vertraut war.“ Mit dieser subtilen Textausdeutung eroberte Jommelli in kürzester Zeit die Opernbühnen Europas. Der Schüler von Francesco Feo in Neapel wurde 1714 im benachbarten Aversa geboren – im selben Jahr wie Gluck und Carl Philipp Emanuel Bach. Mit dem berühmten Oberpfälzer und dem zweitältesten Bachsohn teilte Jommelli den Hang zum Aufwühlenden und Neuen. Die zeigte der Neunzehnjährige schon in seinen ersten Opern. Ein Gastspiel in Wien, die Ernennung zum Kapellmeister des Petersdoms in Rom 1749 und schließlich die Berufung zum Hofkapellmeister in Stuttgart hoben ihn auf das Schild des berühmtesten Italieners unter Europas Opernkomponisten.