Violinsonate Nr. 1 A-Dur, op. 13
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„Man findet in dieser Sonate alles, was verführen kann: Neuheit der Formen, Besonderheit der Modulationen, kuriose Klänge, einen gänzlich unvorhersehbaren Gebrauch der Rhythmen; und über all dem waltet ein Zauber, der das ganze Werk umhüllt und der die breite Masse der gewöhnlichen Zuhörer dazu bringt, ungeahnte Kühnheiten als die natürlichste Sache von der Welt hinzunehmen … Monsieur Fauré hat durch diese Sonate mit einem Satz auf dem Niveau der Meister Platz genommen.”
Kaum ein kammermusikalisches Erstlingswerk dürfte so enthusiastisch begrüßt worden sein wie Gabriel Faurés 1. Violinsonate in diesen Zeilen von Camille Saint-Saëns. Im Journal de Musique vom 7. April 1877 hob der Grandseigneur der Pariser Konzertsäle den jungen Kollegen aufs Schild früher Meisterschaft. Vergebliche Versuche, dem „Newcomer“ akademischen Kompositionsunterricht zu erteilen, hatten nicht verhindern können, dass zwischen beiden Komponisten eine tiefe Sympathie entstand. Faurés 1. Violinsonate gab dem älteren Saint-Saëns die Gelegenheit, sich selbstlos für den Jüngeren einzusetzen.
Faurés A-Dur-Sonate traf den Nerv der Zeit an einem Wendepunkt der französischen Geschichte: Nach dem verlorenen Krieg gegen Preußen und dem Ende des Zweiten Kaiserreichs hatte die Franzosen eine nationale Euphorie erfasst, die auch künstlerisch nach Ausdruck rang. Ars gallica” eine typisch französische, von „germanischen“ Vorbildern gereinigte Kunst und Musik, hieß das Gebot der Stunde. Auch die 1871 gegründete Société nationale de Musique hatte sich diese Devise auf die Fahnen geschrieben. Die von Saint-Saëns, Bizet, Franck u.a. gegründete Gesellschaft wurde zum wichtigsten Forum für neue französische Musik im Fin de siècle. Ihr Sekretär war seit 1874 Fauré, der später gestand, die Mitglieder der Gesellschaft hätten seine Musik anfänglich für „laut und dissonant“ gehalten. Mit der A-Dur-Sonate war dieser Bann gebrochen. Ihre Uraufführung in der Société wurde heftig bejubelt, so dass des Komponisten „kühnsten Träume“ gar noch übertroffen wurden. Er selbst spielte bei der Premiere den Klavierpart, Paul Viardot die Geigenstimme. Das Werk verhalf Fauré zum Durchbruch und der Ars gallica zu ihrem ersten Epoche machenden Musikstück. Erstmals konnte man hier einen unverwechselbar französischen Ton in der Kammermusik hören: eine quasi-impressionistische Poesie der Klänge und der verschwebenden Harmonien.
Das Hauptthema des ersten Satzes tritt so unprätentiös auf, es singt in 21 Takten so natürlich vor sich hin, dass man gleichsam Schumann mit Berlioz versöhnt findet. Nach einem kurzen Dialog der Instrumente setzt auch das zweite Thema im subito piano ein: eine sehnsüchtig fallende und wieder ansteigende Gesangslinie der Geige. Die umfangreiche Durchführung und die Coda über einem langen Orgelpunkt schlagen zwar noch die Brücke zu Schumann oder Brahms, in der Klangsprache aber geht die Musik ganz eigene „gallische“ Wege.
Der langsame Satz beginnt im Rhythmus einer Barcarolle, eines Gondelliedes. Über den Staccato-Akkorden der linken Hand (quasi eine Mandolinenbegleitung) erhebt sich zunächst das Mondlicht gebrochener Akkorde in der rechten Hand, dann der Gesang des Gondoliere in der Solovioline. Die Rollen werden getauscht, und mit dem zweiten Thema in F-Dur weitet sich das Genrebild zu lebhaftem Dialog und kraftvollen Klavieroktaven. Auf die variierte Wiederholung des Anfangs folgt noch einmal das zweite Thema, dieses Mal in D-Dur, als tonale Abrundung.
Das Scherzo hat Faurés Freund Florent Schmitt mit der „Leichtigkeit von Schafswolle“ verglichen, so perlend und duftig kommt es in seinen flirrenden Pizzicati daher – ein geigerisches Kabinettstück, das die Zuhörer der Uraufführung stürmisch da capo verlangten. Ein verhangenes fis-Moll-Trio unterbricht den quicklebendigen Satz.
Das Finale ist der energischste der vier Sätze. „Sein zweites Thema, das in Doppelgriff-Oktaven hervorbricht, erinnert in seiner deklamatorischen, fast barbarischen Gewalt an eine Zigeuner-Improvisation“ (Florent Schmitt).