Streichquintett Nr. 1 A-Dur, op. 18 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Felix Mendelssohn-Bartholdy

Streichquintett Nr. 1 A-Dur, op. 18

Streichquintett Nr. 1 A-Dur, op. 18

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro con moto
Intermezzo. Andante sostenuto
Scherzo. Allegro di molto
Allegro vivace

Erläuterung

FELIX MENDELSSOHN-BARTHOLDY

Streichquintett Nr. 1 A-Dur, op. 18

Der junge Mendelssohn in Berlin

Berlin, Leipziger Straße 3, anno 1829. Weite Flügeltüren öffnen sich, Musik von Bach und den Kindern des Hauses ertönt, Berlins Elite lauscht andächtig einer Sonntagsmusik bei Mendelssohns. Zwischen 1825 und 1847 trafen sich die musikliebenden und wohlhabenden Familien der Hauptstadt alle zwei Wochen sonntags zwischen 14 und 16 Uhr zu diesen bald schon legendären Sonntagskonzerten. Die Mendelssohns hatten im Grünen gebaut, was die Spottlust der Berliner herausforderte, denn die heute so städtische Leipziger Straße lag damals noch „vor den Toren“ Berlins. Eduard Devrient, genialer Shakespeare-Darsteller und Hausfreund der Familie, berichtete: „Des Sonntags pflegte sich jetzt der größere Kreis im Mendelssohnschen Hause zu versammeln, der sich im Sommer halb im offenen Gartensaale, halb im parkartigen Garten einrichtete.”

Die Musik stand im Zentrum dieser entspannten Nachmittage. Abraham Mendelssohn war 1823 auf die Idee gekommen, Musiker der Hofkapelle zu Sonntagskonzerten zu verpflichten, die ab 1825 im neuen Gartenhaus stattfanden. Seine musikalischen Kinder Fanny und Felix, viel bewunderte Genies der Berliner Kulturszene, bildeten den doppelten Motor der Reihe, die erst mit dem tragischen Tod der Geschwister 1847 ihr jähes Ende fand. Felix leitete die Konzerte bis zum Beginn seiner großen Reisen 1829, seine Schwester ab 1831 bis zu ihrem Tod.

Das Ambiente bot ideale Voraussetzungen: Der von Efeu umrankte Gartensaal fasste mehrere hundert Besucher. Die große Eibe im Park, die später Fontane in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg besingen sollte, fügte sich vollendet ins pittoreske Panorama, das neben dem Ohr auch das Auge verwöhnte. Und die engagierten Musiker waren von so herausragender Qualität, dass in der Konzertreihe früher oder später alles gastierte, was musikalisch Rang und Namen hatte: Paganini und Liszt, Robert und Clara Schumann, Geiger, Sängerinnen und Klaviervirtuosen. Es war keine Übertreibung, wenn der Dichter und Journalist Ludwig Rellstab die Sonntagsmusiken „ein künstlerisches Fest seltenster Art“ nannte, „wo die classischen Werke der älteren, wie die besten der neueren Zeit in sorgfältigster Ausführung gehört wurden und der Genuss sich durch die Mitwirkung oder Anwesenheit der ausgezeichnetsten Künstler erhöhte, die unserer Stadt angehörten oder sie als Fremde aufsuchten“.

Jugendquintett und Requiem

In diesem festlichen Rahmen erlebte auch Mendelssohns 1. Streichquintett 1826 seine Uraufführung. Das Streicherensemble der Sonntagsmusiken wurde von seinem Jugendfreund Eduard Rietz geleitet. Der Rodeschüler war Felix’ Geigen- und Bratschenlehrer, hatte für ihn die Partitur von Bachs Matthäuspassion kopiert und ganz nebenbei auch die Berliner Philharmonische Gesellschaft gegründet, bevor er im Januar 1832 völlig unerwartet starb. Die Nachricht von seinem Tod erreichte Mendelssohn in Paris, der vorletzten Station seiner großen musikalischen Bildungsreise. Als musikalischen Nachruf auf den Freund komponierte er in Paris einen langsamen Quintett-Satz, das spätere Intermezzo des A-Dur-Quintetts. Dieser aus dem Augenblick heraus entstandene, tief persönliche Satz gab den Anstoß zu einer umfassenden Revision des Quintetts vor der nunmehr angestrebten Publikation. Mendelssohn tauschte den ursprünglichen langsamen Satz, ein Menuett in fis-Moll, gegen den neuen Satz aus, rückte das zuvor an zweiter Stelle stehende Scherzo hinter das Intermezzo und erhielt auf diese Weise die überzeugende Gesamtform, in der das Werk 1833 im Druck erschien.

„Frühlingsquintett“

Dass heutige Musiker viel häufiger das brillante zweite Streichquintett von Mendelssohn aufführen als sein erstes, liegt sicher am weichen Kopfsatz des Opus 18. Er wirkt wie ein Spaziergang in einer herrlich aufblühenden Frühlingslandschaft – ebenso sonnig wie weich und schmiegsam, aber kaum dramatisch. Für dieses Allegro con moto im Dreiertakt nahm sich Mendelssohn Mozarts A-Dur-Quartett KV 464 zum Vorbild, das auch Beethoven so sehr bewunderte. Zudem unterlief ihm gleich im ersten Takt eine Reminiszenz an das Kopfmotiv der Achten Sinfonie von Beethoven. Aus dem Schatten dieser klassischen Vorbilder tritt der Satz jedoch bald heraus, dank einer quicklebendigen Überleitungsfigur, die weite Kreise zieht und sich in großer Steigerung bis in höchste Höhen aufschwingt. Das Seitenthema wirkt kraftvoller und kapriziöser als das weiche Hauptthema. Das dritte Thema spielt mit den chromatischen Farben der Streicher in Form eines federleichten Moll-Intermezzos über gezupften Saiten. Dass danach die Durchführung in wehmütigem Moll einsetzt und das Hauptthema sofort in kunstvollen Kontrapunkt verstrickt, zeigt, wie anspruchsvoll der junge Mendelssohn diesen Satz angelegt hat. Es kommt zu einer gewaltigen Steigerung, die in einem geradezu kämpferischen Höhepunkt gipfelt. Danach ebbt die Bewegung ab und macht den Weg frei für eine jener genialen Rückleitungen zur Reprise, wie sie schon der junge Mendelssohn geschrieben hat. Die Reprise selbst hat er so stark verkürzt, dass man vom Hauptthema gleichsam direkt zum trippelnden Moll-Intermezzo des dritten Themas geleitet wird. Danach lässt die Coda das Hauptthema unverhofft aufblühen in einem von Wohlklang durchtränkten Walzer. Im schönsten, sattesten Streicherklang schließt der Satz – wahrhaft ein „Frühlingsquintett“.

Den langsamen Satz hat Mendelssohn mit Intermezzo überschrieben, wohl in Erinnerung an jene traurige Nachricht vom Tod des Freundes Rietz, die ihn 1832 in Paris erreichte. Innerhalb des sonnigen Quintetts ist dieser Satz ein „Zwischenspiel“ von tiefer Trauer, seine Hommage an den verehrten Berliner Freund. Als Andante sostenuto ist der Satz mit getragenem Ton zu spielen – pathetischer, als es der zarte Beginn vermuten ließe. Tatsächlich dominieren im Verlauf des Satzes schmerzliche Molltöne von einer unverwechselbar Mendelssohnschen Wehmut, getragen von einer unruhigen Triolenfigur. Wie diese schmerzlichen Erinnerungen auf einen dramatischen Höhepunkt getrieben werden, wie sie danach in einem einzigen Akkord zur lichten Durstimmung des Anfangs zurückfinden, wie sich später noch einmal die Triolenfigur zu Wort meldet, um den eigentlichen Höhepunkt des Satzes vorzubereiten – das zählt zu den Wundern der Mendelssohnschen Kammermusik.

Nach all den Klangschönheiten, von denen die ersten beiden Sätze geradezu überfließen, sorgt das Scherzo für willkommene Abwechslung: Es ist eine rasend schnelle Fuge über ein Bachsches Thema, das sich im fünfstimmigen Satz in die typischen Feenklänge Mendelssohns verwandelt. Dass dieses ganze Allegro di molto im Pianissimo zu spielen ist (ein paar brummige Cello-Einwürfe ausgenommen), steigert noch seinen kapriziösen Effekt. Erst gegen Ende ballt sich die aufgestaute Energie zu wenigen Forte-Takten zusammen, bevor die Musik wieder ins Piano zurückfällt und am Ende buchstäblich verhaucht. Unverkennbar ist dieser Satz ein Gegenstück zum berühmten Scherzo aus dem Mendelssohn-Oktett – kaum weniger effektvoll, aber dank der Fugensatzweise noch kunstvoller und kapriziöser.

Ein Marsch aus Vierteln und burschikosen Triolen eröffnet das Finale. Erst danach gewinnt der Satz den weiten Atem eines melodisch strömenden Allegro vivace. Die Triolen des Anfangs geben immer wieder Anlass zu allerhand unbotmäßigen Eskapaden, bis wieder die majestätische Ruhe um sich greift. Am Ende siegt der ironische Marsch mit seinen Triolen. Wie auch im dritten Satz möchte man an ein literarisches Vorbild denken, so plastisch treten hier diverse „Dramatis personae“ vor die Augen des Zuhörers – ein paar „Rüpel“ neben vornehmen Damen wie in einer Shakespeare-Komödie. Leider aber hatte Mendelssohn ein unüberwindliches Vorurteil gegen „Programme“ in der Musik und hat deshalb seine literarischen Inspirationsquellen so gut wie nie offenbart.

Der reife Brahms in Ischl

„So viel Werke für Kammermusik Brahms auch geschaffen hat, keines ist so durchtränkt von Wohlklang wie das Clarinetten-Quintett.“ In diesem Satz aus seiner Berliner Brahmsbiographie von 1900 hat Heinrich Reimann die überragende Rolle des Opus 115 in der Kammermusik umrissen. Brahms komponierte sein Klarinettenquintett im „Kaiserbad“ Ischl im Salzkammergut, wo er seit 1889 alljährlich seine Sommerzelte aufschlug. Obwohl er im Sommer 1890 eigentlich beschlossen hatte, mit dem Streichquintett Opus 111 sein Schaffen zu beenden, wurde er schon im Folgejahr abtrünnig. „Fräulein Klarinette“ verführte ihn zu den beiden hinreißend schönen Klarinettenwerken des Sommers 1891: zum a-Moll-Trio Opus 114 und zum h-Moll-Quintett Opus 115. Der Meininger Soloklarinettist Richard Mühlfeld hatte den Komponisten in seinen Bann geschlagen – und nicht nur ihn.

Die erste bedeutende Persönlichkeit, die von den neuen Werken erfuhr, war Helene Freifrau von Heldburg, die Lebensgefährtin des Herzogs von Meiningen. Mit bürgerlichem Namen hieß sie Ellen Franz, war Klavierschülerin von Hans von Bülow und eine enge Freundin Cosima Wagners. Als Schauspielerin am Hoftheater hatte sie den Meininger Herzog in ihren Bann gezogen, der sie kurz vor der Heirat 1873 zur Freifrau erhob. Später lockte sie ihren früheren Lehrer Bülow als Hofkapellmeister nach Meiningen und ließ auch Brahms von ihren musischen Neigungen profitieren. Mit Anfang 50 war sie immer noch eine sehr attraktive Frau und am Klarinettisten Mühlfeld aus vielerlei Gründen interessiert. Darauf spielte Brahms in seinem Brief aus Bad Ischl an, als er erwähnte, wie sehr sich die hohe Dame für den Klarinettisten interessierte: „Es ist mir nicht entgangen, wie mühsam und ungenügend Ihr Auge ihn an seinem Orchesterplatz zu suchen hatte. Im letzten Winter konnte ich ihn wenigstens einmal vorne hinstellen [als Solist in einem Klarinettenkonzert von Weber] – aber jetzt – ich bringe ihn in Ihre Kemenate, er soll auf Ihrem Stuhl sitzen, Sie können ihm die Noten umwenden und die Pausen, die ich ihm gönne, zu traulichstem Gespräch benützen! Das Weitere wird Ihnen gleichgültig sein, nur der Vollständigkeit halber sage ich noch, dass ich für diesen Zweck ein Trio und ein Quintett geschrieben habe, in denen er mitzublasen hat.“ Das Wort „Mitzublasen“ ist ein typische Brahmssche Untertreibung, wenn man die zauberischen Töne bedenkt, die er in beiden Werken der Klarinette entlockte.

Das Quintett wurde bereits am 12. Dezember desselben Jahres uraufgeführt, allerdings nicht in Wien, sondern in Berlin. Dort unterhielt Brahms’ Geigerfreund Josef Joachim mit seinem Streichquartett einen Kammermusik-Zyklus im Saal der Berliner Singakademie unter den Linden, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater, das vor kurzem auch offiziell wieder ins Eigentum der Singakademie zurückkehrte. Dort saß kein anderer am Klarinettenpult als Richard Mühlfeld. Die Wiener Erstaufführung wurde dagegen im Januar 1892 vom Rosè Quartett mit dem Klarinettisten Franz Steiner (geboren 1839 im Banat) bestritten.

Die Kritik des Wiener Kritikerpapstes Eduard Hanslick fiel überschwänglich aus: „Lange hat kein Werk ernster Kammermusik im Publikum so unmittelbar gezündet, so tief und lebhaft gewirkt“, schrieb Hanslick im Januar 1892 und fügte schelmisch hinzu: „Man darf behaupten, dass jede größere Komposition von Brahms eine heimliche Wohltat in sich birgt, nämlich die, uns zuverlässig beim zweiten Hören mehr Freude zu machen als beim ersten. Nicht jede besitzt aber neben und vor dieser Tugend noch den Vorteil, uns augenblicklich und unbedingt einzunehmen, wie dies der Fall war mit dem Klarinettenquintett.“