Klaviersonate f-moll, op. 57 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Ludwig van Betthoven

Klaviersonate f-moll, op. 57

Klaviersonate f-Moll, op. 57

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer:

Satzbezeichnung

Allegro assai
Andante con moto
Presto

Erläuterung

Sonate f-Moll, op. 57

Als der Meister 1807 seine f-Moll-Sonate Opus 57 publizierte, die erst sehr viel später den Beinamen „Appassionata“ erhalten sollte, warnte ein Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung die Pianisten unter den Lesern vor diesem schwer spielbaren und schwer verständlichen Stück: „In dem ersten Satze dieser Sonate hat er einmal wieder viele böse Geister losgelassen, wie man dieses aus andern seiner großen Sonaten schon kennet … Wer dieses Allegro ganz so, wie es gespielt werden soll, vortragen kann, verdient wahrhaftig Respekt als Klavierspieler! … Übrigens wird durch die ganze Sonate das Pianoforte, und zwar sehr häufig, bis viergestrichen C gebraucht.“ Diese Ausweitung des Klavierdiskants war damals nicht auf jedem älteren Hammerflügel spielbar, deshalb die Warnung des Kritikers. Dem entsprach beim mittleren Beethoven das Ausnutzen der tiefen Lagen im Klavierbass. Auch dazu hatte der Rezensent eine Empfehlung für das Andante der Appassionata: „Spiele dir diese unscheinbare Zeile hübsch bedeutend, ohne alle Härte, die Töne gehörig gebunden, getragen, zu- und abnehmend durch, lass dabey ja alles hübsch austönen, so lange es austönen will, … und wenn du nicht fühlst, sag’ ich, solche Musik gehe von Herzen zu Herzen, so – hat Einer von uns beyden keins.“ Das „von Herzen zu Herzen gehen“ wurde beim mittleren Beethoven immer mehr eine Frage der subtilen Klanggestaltung und der Ausweitung des Klangraums am Klavier. Die f-Moll-Sonate Opus 57 ist dafür ein Musterbeispiel.

„Beethoven selbst hielt diese Sonate für seine größte (bis zu der Zeit, als er Op. 106 komponiert hatte).“ So hat es sein Schüler Carl Czerny überliefert. Joachim Kaiser bemerkte dazu in seinem Standardwerk Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten: „Ehrfürchtig scheint die klavierspielende Welt Beethovens Meinung zu teilen. Seit diese von stürmischen Verläufen und Prozessen ungeheuerlich erfüllte f-Moll-Sonate existiert, seit ihr der Titel Appassionata anhaftet, gilt Opus 57 als leidenschaftlichstes klassisches Drama, das je für Klavier komponiert wurde.“ Wie so viele berühmte Klaviersonaten Beethovens hat freilich auch diese ihren Beinamen nicht vom Meister selbst erhalten. Zwar trägt Beethovens eigene Handschrift auf dem Umschlag den Titel La Passionata, doch wurde dieser nicht in die gedruckte Ausgabe übernommen, die im Februar 1807 in Wien erschien. Erst 31 Jahre später kreierte der Hamburger Verleger Crantz den Titel Sonata appassionata, als er das Werk in einer Bearbeitung für Klavier zu vier Händen herausbrachte. Beide Titel – der originale vom Komponisten und der posthume des Hamburger Verlegers – meinen im Grunde das Gleiche: „die leidenschaftliche Sonate“.

Wohl keine andere Klaviersonate Beethovens musste so lange auf den Tag ihrer Veröffentlichung warten: Zwischen Vollendung und Drucklegung vergingen nahezu drei Jahre. Schuld daran war der Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel, dem Beethoven die Sonate bereits im Sommer 1804 anbot – zusammen mit drei anderen berühmten Werken aus jener Zeit: der „Waldstein-Sonate“, der Eroica und dem Tripelkonzert. Breitkopf war scheinbar interessiert, ließ sich die Manuskripte schicken – und sandte sie ungedruckt wieder nach Wien zurück. Beethoven musste neue Verleger für die drei Werke suchen, was sich in die Länge zog. So kam es, dass die Sinfonia Eroica erst im Herbst 1806 gedruckt wurde, die f-Moll-Sonate und das Tripelkonzert gar erst 1807. Ihre drei Opuszahlen folgen unmittelbar aufeinander: 55, 56 und 57.

Dass es sich bei der f-Moll-Sonate um ein Werk aus dem Jahre 1804 handelt, nicht etwa 1806, ist für ihre Bewertung entscheidend: Man muss sie als pianistische Antwort auf die Eroica verstehen. Auf die „heroische“ Sinfonie sollte die „leidenschaftliche“ Sonate folgen. Noch ein anderes großes Werk jener Jahre hat die Appassionata beeinflusst: Leonore, die Urfassung des Fidelio. Beethovens einzige Oper war bekanntlich seine Hauptarbeit des Jahres 1804. Die Skizzen zur f-Moll-Sonate hat er in das große „Leonore-Skizzenbuch“ eingetragen, das er zur Vorarbeit an der Oper anlegte. Nicht zufällig steht die Sonate in der gleichen Tonart wie Florestans große Szene im Kerker „Gott! Welch Dunkel hier!“.

Der erste Satz ist ein sehr schnelles Allegro assai im 12/8-Takt, doch weder Taktart noch Tempo werden zu Beginn deutlich. Rhythmisch schwer bestimmbare f-Moll-Dreiklänge steigen im Pianissimo in die Tiefe hinab wie in eine Gruft und wieder nach oben, gefolgt von einem Triller. Diese düstere Impression, die man kaum ein Thema nennen kann, wird sofort in Des-Dur wiederholt, der Triller noch zwei weitere Male, bevor pochende Basstöne und ein plötzlicher heftiger Ausbruch zum Fortissimo überleiten. Nun erst hört man den Anfang tatsächlich als Thema, unterbrochen von wilden Synkopen, die wie Orchestereinwürfe wirken. Der ganze Beginn scheint wie Florestan auszurufen: „Gott! Welch Dunkel hier!“ Deshalb verliert sich der kraftvolle Impuls des Themas auch sofort wieder in nebulösen Pianissimo-Bebungen. Erst mit dem Seitenthema hat man festeren Grund erreicht. Es ist nichts anderes als eine Variante des Hauptthemas im tröstlichen As-Dur, gespielt über weichen Triolen – eine Hoffnung auf Licht und Erlösung. Sie wird bald wieder von der Finsternis verschlungen: Wilde Sechzehntel beenden die Exposition. In der Durchführung wird erst das Hauptthema durch die Tonarten geführt, dann das Seitenthema. Die Reprise tritt im Pianissimo ein, über dem repetierten tiefen C in der linken Hand. Dieser Orgelpunkt auf der Dominante verleiht dem wieder erreichten f-Moll-Hauptthema unterschwellige Unruhe. In wilden Fortissimo-Synkopen schlägt die Tonart plötzlich in gleißendes F-Dur um, so als bräche Licht ins Dunkel ein. In der gleichen Tonart steht nun auch das Seitenthema. Die Coda aber vertreibt alle Hoffnung durch wilde Entladungen, seltsam flackernde hohe Passagen und weiträumiges Arpeggio. Der Satz endet wie er begonnen hat: Die f-Moll-Dreiklänge steigen leise, geisterhaft in die Tiefe hinab, nun aber nicht mehr in die Höhe. Es gibt kein Entrinnen aus der Gruft.

Auch der zweite Satz, ein sanft bewegtes Andante con moto in Des-Dur, lässt an Fidelio denken. Wie auf Florestans Szene die tröstliche Arie folgt („In des Lebens Frühlingstagen“), so folgt auf den düsteren Beginn der f-Moll-Sonate das Andante im tröstlichen Des-Dur. Es ist ein Variationensatz über ein zartes Thema in tiefer Lage, mehr Lied ohne Worte denn Arie. Der gleichmäßige Trott des Themas wird im Verlauf der Variationen allmählich in fließende Klänge aufgelöst und in himmlische Harmonien getaucht.

Die Illusion einer himmlischen Tröstung inmitten des Leids wird am Ende des Mittelsatzes brutal zerstört: Scharf dissonante Akkorde in punktierten Rhythmen brechen in den Schluss das Andante ein. Das Finale folgt nämlich attacca, ohne Pause – etwa so wie das Finale der Fünften Symphonie sich an das Scherzo anschließt, nur dass in der f-Moll-Sonate der Durchbruch nach Dur ausbleibt. Dennoch hat Joachim Kaiser zwischen dem triumphalen C-Dur-Finale der Symphonie und dem wilden f-Moll-Finale der Sonate eine Verbindung hergestellt: Beide Sätze seien von geradezu manischen Wiederholungsfiguren geprägt. Tatsächlich sprengt auch das Finale des Opus 57 Grenzen, scheint maßlos in seinem Bewegungsdrang und seiner Emphase. Dabei hat Beethoven gerade hier im unruhigen Klanggrund des Klaviers die Sprache der Romantiker vorweggenommen. Am Ende triumphiert ein wahnwitziges Presto.