„Suite persane“
Werkverzeichnisnummer: 4255
1. Sharki (Chant d’amour). Allegretto
2. Nihavend. Andantino
3. Iskia Samaïsi. Vivo
André Caplet
Suite persane (1901)
Unter den Zeitgenossen von Ravel und Debussy war André Caplet eine der glänzendsten Begabungen. In Le Havre geboren, gewann er schon mit neun Jahren den ersten Preis des Musikwettbewerbs seiner Heimatstadt, wurde mit zwölf Jahren Geiger im Theaterorchester und mit 18 Student am Conservatoire in Paris.
Als Dirigent war er Schüler von Arthur Nikisch in Berlin und bald international gefragt. So leitete er neben mehreren Konzertreihen in Paris von 1910 bis 1914 auch das Opernhaus in Boston. Als Komponist gewann er 1901 – noch vor Maurice Ravel, der damals nur den 3. Preis errang – den Prix de Rome, den Kompositionspreis des Pariser Conservatoire, der mit einem Romstipendium verbunden war.
Seiner steilen Karriere als Dirigent und Komponist setzte der Erste Weltkrieg ein abruptes Ende: Nachdem er sich als Freiwilliger gemeldet hatte, geriet er in einen deutschen Giftgasangriff. Die gesundheitlichen Folgen waren so verheerend, dass er die Anstrengungen des Dirigentenberufs nicht mehr bewältigen konnte und seine Dirigentenstellen an der Pariser Oper und in den Lamoureux-Konzerten aufgab. Fortan konzentrierte er sich ganz aufs Komponieren und ging – zwischen poetischen französischen Liedern, höchst origineller Kammermusik und Werken eines christlichen Mystizismus – seinen eigenen Weg. Vorbild blieb für ihn zeitlebens sein Freund Claude Debussy, dessen Martyre de Saint-Sébastien Caplet zum Teil instrumentiert hat. Allzu früh starb Caplet, gesundheitlich schwer gezeichnet, 1925.
Seine Suite Persane wurde am 9. März 1901 uraufgeführt, und zwar in der Pariser Société de Musique Moderne des Instruments à vent, die erst drei Jahre zuvor gegründet worden war. Gleich im zweiten Konzert der neuen Gesellschaft hatte Caplet mit seinem Quintett für Klavier und Bläser für Aufsehen gesorgt. Dieser Erfolg ermunterte Georges Barrère, den Soloflötisten der Concerts Colonne, seinem Freund Caplet den Auftrag zu einem weiteren Bläserwerk zu erteilen. Nun verdoppelte Caplet die Besetzung auf ein Doppelquintett aus je zwei Flöten, Oboen, Klarinetten, Hörnern und Fagotten. Die reichen Klangmöglichkeiten dieses Dezetts nutzte er zur Illustration eines exotischen Sujets, zu dem ihn nicht erst die Pariser Weltausstellung von 1900 angeregt hatte. Bereits 1897 hatte Camille Saint-Saëns seine Nuit persane (Die persische Nacht) am Conservatoire vorgestellt – Höhepunkt einer allgemeinen Begeisterung für das alte Persien und seine Mythen, wie sie schon in der Romantik sich entfaltet hatte. Man denke nur an Robert Schumanns persisches Oratorium Das Paradies und die Peri.
Für seine Persische Suite, die er noch im selben Jahr für kleines Orchester bearbeitete, verwendete Caplet nach eigenen Angaben „persische Melodien“. Die drei Sätze zeichnen ein pittoreskes Panorama persischer Landschaft und Musik:
Im ersten Satz ließ sich Caplet vom Sharki inspirieren, vom feucht-heißen Südostwind, wie er im Frühsommer und im frühen Winter die Küsten des Persischen Golfs umweht. Im Untertitel hat er diesen Satz ein Liebeslied genannt. Es geht also auch um eine gänzlich
andere Glut als die des heißen Küstenwinds.
Der zweite Satz benutzt eine klassische Musikart der persischen und türkischen Musik, den Nihavend, den man unter Einbeziehung der orientalischen Mikrointervalle vage mit unseren Tonarten b-Moll und f-Moll vergleichen kann. Das Finale mit dem Titel Iskia Samaisi ist ein schneller Tanzsatz.
Die Uraufführung der Suite war Teil eines reinen Caplet-Abends, den Barrère in der Société veranstaltete. Das Programm begann mit der Wiederholung des erfolgreichen Quintetts für Klavier, Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott und brachte dann zwei Uraufführungen: die fünf Stücke für Flöte und Klavier mit dem Titel Feuillets d’album und eben die Suite persane.