Zwei Sätze für Streichquintett (1894/1896)
Werkverzeichnisnummer: 4250
1. Allegro
2. Prestissimo, mit Humor
Alexander von Zemlinsky
Zwei Sätze für Streichquintett
Zurück in die Donaumetropole, in die Odeongasse im II. Wiener Bezirk. Dort wurde 1871 Alexander von Zemlinszky (damals noch mit „sz“ geschrieben) geboren, dessen Vater Sekretär der „türkisch-israelitischen Kultusgemeinde“ war, während die Mutter aus einer teils jüdischen, teils muslimischen Familie in Sarajewo stammte. Im Milieu der sephardischen Juden, das jenen Wiener Bezirk damals prägte, wuchs der kleine Alexander heran, von dem niemand ahnen konnte, dass er später neben Mahler zu den geistigen Vätern der Wiener Schule gehören sollte.
Bei den Gebrüdern Fuchs (Robert und Johann Nepomuk) holte sich der Musterschüler am Wiener Konservatorium das Rüstzeug zu einem Meister nach traditionell Wiener Maßstäben. „Sieht überall Talent heraus“ meinte kurz und bündig auch Johannes Brahms, nachdem er die ersten Werke des Fuchs-Schülers studiert hatte, darunter die Ländlichen Tänze für Klavier Opus 1. Nachdem 1896 das Klarinettentrio Opus 3 den
3. Preis beim Wettbewerb des Tonkünstlervereins errungen hatte, empfahl es Brahms seinem Verleger Simrock zur Drucklegung. Damit begann Zemlinskys Komponistenkarriere.
Befreundet mit Hofmannsthal und Korngold, Mahler und Schreker stand er alsbald im Zentrum des Wiener Musiklebens der Jahrhundertwende, als Komponist wie Dirigent. Schönberg bewunderte an ihm die „natürliche, ungezwungene, selbstverständliche Größe“, und Strawinsky meinte später: „Von allen Dirigenten, die ich gehört habe, würde ich Alexander von Zemlinsky als den überragenden Dirigenten wählen.“ Weniger begeistert war anfangs Alma Schindler, als „femme fatale“ bald Mittelpunkt der Wiener Künstlerkreise. Sie nannte Zemlinsky 1900 „das komischste, was es gibt, .. eine Caricatur, kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen“. Dennoch nahm sie bei ihm Unterricht und ließ sich 1901 auf eine heftige Affäre mit ihm ein – bevor Gustav Mahler kam und den Freund verdrängte.
Fünf Jahre vor dieser Zeit stürmischer Jugendlieben komponierte Zemlinsky ein Streichquintett in d-Moll, das im März 1896 vom erweiterten Hellmesberger-Quartett im Wiener Tonkünstlerverein uraufgeführt wurde. Leider haben sich von diesem viersätzigen Werk nur die beiden Ecksätze erhalten: das erste Allegro in der ausufernden Sonatenform des „Fin de Siècle“ und das humoristische Finale.
Während sich Ersteres nur in der Entwurfsschrift findet, besitzen wir vom Finale eine Reinschrift, die auf „11. Jänner 96“ datiert ist. Zemlinsky hatte dieses Prestissimo, mit Humor in D-Dur anstelle des ursprünglichen Finales nachkomponiert. Gerade dieser Satz fand bei der Uraufführung größten Anklang, selbst bei einem Zuhörer, der Zemlinskys frühes Quintett ansonsten eher kritisch prüfte: Johannes Brahms. Er lud den Komponisten nach der Aufführung zur ersten (und einzigen) Kompositionsstunde in seine Wohnung in der Karlsgasse ein, um dem verblüfften Zemlinsky dort Mozarts Streichquintette als unerreichtes Muster der Gattung vorzulegen. Ungeachtet dieser frustrierenden Erfahrung stand der junge Komponist damals ganz im Banne von Brahms: „Ich kannte die meisten Werke von Brahms gründlich und war wie besessen von dieser Musik“, meinte Zemlinsky später über diese frühe Phase. Seine Quintettsätze wirken schon im allgemeinen durch und durch „brahminisch“, was die Harmonik, die Melodiebildung und den Klang anbelangt. Im besonderen war es das 2. Streichquintett op. 111 von Brahms aus dem Jahre 1890, das als Vorbild diente. Von diesem Werk führt ein direkter Weg über Zemlinskys d-Moll-Quintett zum Streichsextett von Schönberg. Denn von 1897 bis 1902 war Schönberg Schüler seines Freundes und späteren Schwagers.