Streichquintett F-Dur | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Anton Bruckner

Streichquintett F-Dur

Quintett F-Dur für zwei Violinen, zwei Bratschen und Violoncello

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 433

Satzbezeichnungen

1. Gemäßigt

2. Scherzo. Schnell – Langsamer – Schnell

3. Adagio

4. Finale. Lebhaft bewegt – Langsamer

Erläuterungen

Der katholisch-mystische Sinfoniker Österreichs hat nur ein vollgültiges Kammermusikwerk geschrieben: das Streichquintett F-Dur, komponiert 1878/79, zwischen der 5. und 6. Symphonie. Es war eine Art Auftragsarbeit für den Wiener Dirigenten und Primarius Hellmesberger, der den Komponisten „wiederholt und eindringlich“ darum ersucht hatte und überdies „für meine Sachen schwärmt“, wie Bruckner schrieb. Den Wünschen Hellmesbergers musste sich der Komponist zumindest im Falle des zweiten Satzes beugen und statt des als zu schwer befundenen Scherzos ein neues, leichteres Intermezzo nachschieben. (Es wird heute als apokrypher Einzelsatz zum Quintett geführt.) Ansonsten scheint der Besteller keinen Einfluss auf das Werk genommen zu haben, denn der Sinfoniker Bruckner hat sich hier keinerlei kammermusikalische Beschränkungen auferlegt. Das Quintett wirkt, wie Mathias Hansen in seiner Bruckner-Biographie von 1987 feststellte, „wie ein getreues Echo Bruckner’scher Sinfonien, gespielt von einem Mahlerschen Fernorchester.“ Streng kammermusikalisch ist schon die Wahl der Mozartschen Quintettbesetzung mit zwei Bratschen und, so Hansen, „die Abschwächung des Finalcharakters zugunsten einer mehr spielmusikalischen Auflockerung“. Die Sonatenformen des ersten und vierten Satzes dagegen sind denen in den Ecksätzen der Bruckner-Sinfonien analog. Auch für das Kammermusikstück gilt das für Bruckner typische „baukastenartige Strukturprinzip der Variantentechnik“: breiteste, blockhafte Themengruppen, die in sich Motivvarianten bilden und durch Generalpausen voneinander abgegrenzt sind. Lesen wir weiter Hansens Analyse der einzelnen Sätze:

„Eigenartig ist bereits die Themendisposition im 1. Satz. Die Exposition umfasst, wie gewöhnlich, drei Themen. Doch 2. und 3. Thema wirken wie vertauscht: das 2. ist rhythmisch stark zerklüftet, gewährt demzufolge variantentechnischer Entfaltung den größten Raum und mündet in ein zusammenfassendes Unisono. Das 3.Thema hingegen, in Fis-Dur einsetzend und nach C- Dur sich wendend, ist lyrisch-gebundenen Charakters – eine traditionelle „Gesangsperiode“. In der Durchführung bleibt das 3. Thema ausgespart, 1. und 2. beherrschen das Geschehen, sie formieren sich zu unterschiedlichen Kombinationen. Um so größeres Gewicht erlangt dafür das 3. Thema in der Reprise: seine „Durchführung“ wird hier „nachgeholt“ und erlangt eine Gewalt, die auch noch die hymnischen Gesten der Coda trägt.

Das Scherzo, dem selbstverständlich gegenüber dem nachkomponierten Intermezzo der Vorzug zu geben ist, steht erstmals an zweiter Stelle – Bruckner greift damit der Satzfolge der 7. und 9. Sinfonie vor. Es ist ein betont tanzartig angelegtes Stück, das den Instrumenten zu seiner Entfaltung bestimmte Rollen überträgt: 1. und 2. Violine artikulieren das verflochtene thematische Geschehen, in das gelegentlich auch die 1. Viola eingreift. 2. Viola und Cello geben dazu eine Grundierung aus kühn wandernden Bassfiguren. Die Schlusssteigerung, wie auch die des 1. und letzten Satzes, nimmt eine Stringenz an, die an entsprechende sinfonische Passagen mehr als nur erinnert.

Das Adagio ist einer der erfülltesten Sätze Bruckners, der im Charakter aber auch durch motivische Anklänge den langsamen Satz der 7. Sinfonie vorzeichnet. Zwei Themen breiten sich variativ-durchführungsartig aus… Expandiert bereits die erste Reprise des 1. Themas erheblich, so setzt die des 2. Themas eine dramatische Steigerung sinfonischen Ausmaßes frei, an die sich, wie ein Resümee, nochmals das Thema in klanglicher Vereinfachung anschließt: das Thema rückt in das „tiefere“ Register der 1. Violine; die tickende Achtel-Begleitung übernehmen 2. Violine und beide Bratschen; das Cello ist mit einer intervallisch auseinandergezogenen Figur auf den Ausgleich zwischen beiden Ebenen bedacht.
Obwohl das Finale, bis auf die Coda, in der Mollvariante der Haupttonart [f-Moll] steht, hat dies keine dramatischen -Eintrübungen‘ zur Folge, im Gegenteil: den Satz zeichnet insgesamt ein gelöster, ein für Bruckner geradezu „beschwingt-luftiger“ Ton aus, dem sich selbst die gestrengen Fugato-Teile unterordnen. Zu den Besonderheiten der Formbildung gehört, daß das 1. Thema den Satz lediglich einrahmt und das langsamere, das Triothema des Scherzos aufnehmende 2. Thema zunächst die Führung übernimmt. Daran schließt sich ein 3. Thema an. Doch die expositionelle Regelmäßigkeit wird durch die Tatsache durchbrochen, daß mit diesem Thema eine Fugendurchführung einsetzt, welche die Abfolge der sonatischen Ebenen kräftig durcheinanderschüttelt und bald das 2. Thema einbezieht. Letzteres bildet auch das Scharnier zum Übergang in die aufrauschende Coda.“

Natürlich ist auch dieses Quintett wie die großen Sinfonien des Meisters von der Naturmystik und der katholischen Religiösität Bruckners durchdrungen. Bedürfte es darüberhinaus eines Belegs für Bezüge zum Osterereignis und zu dem Thema unseres Konzerts, so wären auf die thematischen Verwandtschaften zwischen dem Adagio des Quintetts und dem der Siebten Sinfonie (Bruckners Taruermusik auf Richard Wagner) und auf die hymnischen Züge in den Codateilen des ersten und letzten Satzes hinzuweisen.