„Give me Phoenix Wings to fly“ für Klaviertrio (1997)
Werkverzeichnisnummer: 4238
1. (Feuer)
2. (Blinde Zerstörung)
3. (Wiederaufbau)
Kelly-Marie Murphy
Give Me Phoenix Wings to Fly
Die kanadische Komponistin
Kelly-Marie Murphy wurde 1964 in Sardinien geboren. Da ihr Vater Soldat war, zog sie mit ihren Eltern von einem Armee-Stützpunkt in Kanada zum nächsten. Trotz dieses militärischen Umfelds regte sich in ihr schon früh der Wunsch, Komponistin zu werden. Ihr Studium begann sie an der University of Calgary und schloss es in England an der University of Leeds ab – als „Doktor phil.“ für Komposition. Nach diversen Stipendien gewann sie schon bald Kompositionspreise, wie etwa 1992 den 1. Preis der New Works Calgary Competition, 1994 den People’s Choice Award beim CBC Wettbewerb in der Kategorie Streichquartett, 1996 einen Preis beim International Rostrum of Composers in Paris, 1999 den 3. Preis des Zemlinsky Preises. In verschiedenen Musikzentren der USA und Kanadas wirkte sie als Composer in Residence.
Nachdem sie anfänglich vor allem in ihrer Heimat und in Großbritannien Beachtung fand, haben sich ihre Werke längst auch in anderen Ländern durchgesetzt: in Polen, Spanien und Deutschland, in Japan, Russland und den USA. Renommierte Solisten und Ensembles sorgten dafür, dass ihre Musik mittlerweile in 22 Ländern vom Rundfunk gesendet wurde.
Kompositionsaufträge erhielt sie vom CBC, dem Canada Council for the Arts und von kanadischen Ensembles bzw. Orchestern wie dem Alcan String Quartet oder dem Toronto Symphony Orchestra.
Ihr Klaviertrio Give Me Phoenix Wings to Fly illustriert den antiken Mythos vom Phoenix, der sich aus seiner eigenen Asche zu neuem Leben erhebt. Neben der antiken Überlieferung dienten der Komponistin auch zwei englische Gedichte als Vorlagen. Von John Keats (1795-1821) benutzte sie die beiden Schlussverse des Gedichts On Sitting down to Read King Lear Once Again („Über eine erneute Lektüre des King Lear“):
But when I am consumed in the fire, give me new Phoenix wings to fly at my desire.
(Doch bin ich einst im Feuer aufgezehrt, so gib mir, neuer Phoenix, Flügel, um nach Wunsch zu fliegen.)
Das zweite Gedicht, To bring the dead to life, stammt von Robert Graves (1895-1985):
To bring the dead to life
Is no great magic.
Few are wholly dead:
Blow on a dead mans embers
And a live flame will start.
(Die Toten zum Leben zu erwecken, ist keine große Zauberkunst. Wenige sind wirklich tot. Blast eines toten Mannes Glut an, und eine lebendige Flamme wird daraus schlagen.)
Spuren beider Gedichte finden sich in Murphys Klaviertrio, das im übrigen von der lebendigen Gegenwart des Mythos Zeugnis ablegt. Für die Komponistin ist die Sage vom Phoenix, der verglüht und aus der Katastrophe wieder neu ersteht, „ein so mächtiges Bild, noch dazu revelant für unser modernes Leben, in dem wir uns ständig gefährlich nahe am Rande der Katastrophe bewegen. Egal, wie zerstörend ein Ereignis sein mag, man kann sich davon erholen und von vorne anfangen: ein Neuanfang. Der Erfolg liegt im Versuch und im Glauben daran, dass es möglich ist, nach vorne zu schauen und weiter zu machen.“ Entsprechend sinnbildlich und nicht ohne Querverweise zu den beiden Gedichten von Keats und Graves sind die drei Sätze ihres Klaviertrios angelegt: Feuer, Blinde Zerstörung und Wiederaufbau.
Nach der Uraufführung 1997 durch das Gryphon Trio fand das Werk in der kanadischen Presse breites Echo. Ein Kritiker nannte es „eine fast ununterbrochene Studie über Spannung“, ein anderer ein „dramatisches und suggestives Werk in drei kontrastierenden Sätzen“. Aus dem ersten Satz hörte der Eine „den aggressiven Stil eines Post-Strawinsky-Primitivismus“ heraus, aus dem zweiten Satz ein Anderer Anklänge an Bartóks Musik für Saiteninstrumente. Genauer beschrieb die Kritikerin Vivienne Anderson die Klangwirkung des Stücks: „Der erste Satz besteht aus vibrierenden Sechzehnteln, unterbrochen von krachenden Akkorden, extrem rhythmisch und in echtem Triosatz ohne Bevorzugung eines Instruments geschrieben. Der Mittelsatz ist sehr atmosphärisch. Das Cello, das sich aus der Stille erhebt, steht für die glimmende Glut des Phoenix. Das Finale ist wieder komplexer, mit einer ausgedehnten Pizzicatopassage und einem dichten Satz gegen Ende.“
„Gebt mir die Flügel eines Phönix, um zu fliegen!“ So anschaulich betitelte die kanadische Komponistin Kelly-Marie Murphy vor 20 Jahren ein neues Stück für Klaviertrio, das sie im Auftrag des Gryphon Trios komponierte. Musiker wie Komponistin waren damals noch ganz jung: aufsehenerregende Newcomer auf den Konzertpodien Kanadas. Dass sie mit dem im November 1997 uraufgeführten neuen Trio einen Hit des modernen Repertoires landen würden, war ihnen vielleicht schon im ersten Moment bewusst.
Als „Alien mit außergewöhnlichen Fähigkeiten“ wurde Dr. Kelly-Marie Murphy von der amerikanischen Einwanderungsbehörde eingestuft, solange sie noch in Washington, D.C., lebte. Mittlerweile ist sie von der US-amerikanischen Hauptstadt in ihre Heimat zurückgekehrt und lebt in Ottawa – als ein der bekanntesten Komponistinnen Kanadas. Davon zeugen die vielen Preise und Auszeichnungen in ihrer Vita: Erste Preise bei internationalen Kompositionswettbewerben gewann sie für ihr Harfenkonzert und ihre Hornstücke. Sie wurde im Juni 2017 mit dem Maria Anna Mozart Preis ausgezeichnet und von mehreren Fakultäten in Kanada, USA und England mit Ehrungen bedacht.
Geboren wurde sie im fernen Sardinien, wo ihr Vater als NATO-Soldat stationiert war. Ihre Kindheit verbrachte sie in Kasernen quer durch Kanada, was sie nicht davon abhielt, in Calgary ihr Kompositionsstudium aufzunehmen. Sie schloss es mit dem Doktor-Grad an der University of Leeds in England ab. Ihre Lehrer waren Philip Wilby, William Jordan und Allan Bell – alles Männer natürlich, was sie im Laufe ihrer Karriere zur überzeugten Vorreiterin komponierender Frauen machte.
Ihre Musik wurde von der Presse als „pulstreibender Angriff auf die Sinne“ beschrieben, so die Zeitung The Globe and Mail, oder auch als „Bartók auf Steroiden“ (Birmingham News). Beziehen sich diese Beschreibungen eher auf die perkussiv-rhythmischen Impulse ihrer unglaublich schnellen und virtuosen Allegrosätze, so wirken ihre langsamen Sätze „imaginative and expressive“, wie es die National Post formulierte. Beide Seiten ihres Wesens offenbart auch das Klaviertrio von 1997. Give Me Phoenix Wings to Fly hat sich inzwischen zu einem Lieblingsstück junger Klaviertrios entwickelt – wenig verwunderlich, wenn man diese mitreißende Musik hört. Dass der Titel unweigerlich Bilder des Phönix wachruft, der verglüht und sich aus seiner eigenen Asche wieder erhebt, trägt zumindest zur leichten Verständlichkeit der Musik bei.
Gleißend hell setzt der erste Satz ein: mit „kreischenden“ Liegeklängen und bizarren Spreizfiguren. Ob es der Phönix ist, der seine Flügel spreizt und zum Flug ansetzt? In Takt 10 schwingt er sich in die Lüfte: in einem atemberaubenden Allegro im Minimal-Stil, aus rasend schnellen „Patterns“ der drei Instrumente zusammengesetzt, mit Assoziationen an die perkussiven Klänge eines Bartók und Schostakowitsch, aber schneller und gleichsam „tierischer“, wilder. Vier Minuten dauert dieser atemberaubende Flug, dann verglüht der Phönix langsam und schmerzhaft in einem zarten Adagio.
Ein lange ausgehaltener Bassklang im Klavier leitet zu diesem langsamen Mittelsatz über. Über zarten Glockenklängen des Pianisten stimmt der Cellist eine lange, schmerzliche Kantilene an. Auch die Violine bleibt vorerst im Hintergrund, bis die Glockenklänge im Klavier langsam lauter und dichter werden. Nun gehen beide Streicher zum Tremolo über und streuen klagende Seufzerfiguren in die geisterhaften Klavierklänge ein. Endlich erhebt auch die Violine ihre Stimme zu einem großen Solo, das in ein Streicherduett aus weinenden kleinen Sekunden übergeht. Die Glockenklänge des Klaviers lassen den Satz leise ausklingen.
Ein kraftvolles, bizarres Solo der Violine leitet das Finale ein: Der Phönix erhebt sich aus seiner Asche zu neuem Leben. Das Cello gesellt sich mit winselnden Sekunden hinzu, bevor das Klavier plötzlich einen perkussiven Klanggrund anschlägt. Der Phönix ist auferstanden. Im Pizzicato der Streicher erhebt er sich in die Lüfte, langsam steigern sich die Bewegungsimpulse und die Spannung. „Kreischende“ Glissandi der Streicher, Tremolo und wilde Triller im Klavier setzen sich zum Bild eines wilden Fluges zusammen, der abrupt endet.