Sonate Nr. 1 f-Moll, op. 120,1
Werkverzeichnisnummer: 4234
1. Allegro appassionato
2. Andante un poco Adagio
3. Allegretto grazioso
4. Vivace
Johannes Brahms
Sonate f-Moll, op. 120,1
Johannes Brahms schrieb seine beiden Klarinettensonaten 1894, drei Jahre vor seinem Tode, für den Meininger Klarinettisten Richard Mühlfeld. Der hatte sich in der Meininger Hofkapelle, dem vom Brahms damals bevorzugten Orchester, autodidaktisch vom Tuttigeiger zum Soloklarinettisten herangebildet, Von seinen Zeitgenossen wurde Mühlfeld wegen seines unvergleichlichen Spiels geradezu vergöttert. Interpret und Instrument verschmolzen in ihm so eindrucksvoll zur Einheit, dass der Berliner Maler Adolf Menzel die Muse Euterpe in Mühlfelds Profil mit Klarinette zeichnete. Auch Brahms war hingerissen – so hingerissen, dass er 1891 seinen im Vorjahr gefassten Entschluss, das Komponieren aufzugeben, noch einmal überdachte. Es war eine schicksalhafte Begegnung, denn wir verdanken Mühlfeld die unvergleichlichen späten Klarinettenwerke des Komponisten: das Klarinettentrio und -quintett von 1891 und die beiden Sonaten von 1894. Obwohl Brahms letztere alternativ für Klarinette und Bratsche herausgab, war es doch “Fräulein Klarinette”, wie er das Instrument scherzhaft nannte, die ihn zu diesen Stücken inspirierte.
So licht und abgeklärt die zweite Sonate in Es-Dur wirkt, so düster und schwermütig beginnt die erste. Brahms verwendete hier die Tonart f-Moll, eine Lieblingstonart Beethovens und der Romantik, deren dunkel-tragischen Charakter er selbst jedoch nur an wenigen Stellen in seinem Schaffen bemühte: in der 3. Klaviersonate Opus 5, im Klavierquintett Opus 34 und im Finale der 3. Sinfonie. All diese Stücke beginnen mit einem düsteren Motto in Oktaven, so auch die späte Klarinettensonate. Hier wird es vom Klavier vorgetragen und von der Klarinette mit einem leidenschaftlichen Thema beantwortet. Dieses eigentliche Hauptthema, das vom Klavier aufgegriffen wird, wirkt wie ein ins Schmerzliche verzerrter Ländler. Die charakteristischen Dezimensprünge sind ganz aus dem Klang der Klarinette heraus entwickelt, wie bereits Brahms’ erster Biograph Max Kalbeck feststellte: “Brahms brauchte den schneidenden und schluchzenden Klang des damit verbundenen, der Klarinette erlaubten, ihr besonders eigentümlichen jähen Registerwechsels, um der Klage seiner Melodie den tiefergehenden Ausdruck zu geben.” Der ganze Satz wirkt wie ein leidenschaftlicher Dialog über diese Klage-Melodie, in den lediglich einige besinnliche Passagen in Dur eingestreut sind. Die Sonatenform hat Brahms hier scheinbar so frei gehandhabt – immer wieder durchsetzt von den unruhig flackernden Klängen des Seitenthemas -, dass sich die Form des Satzes beim ersten Hören kaum erschließt. Sein entscheidender Moment ist die Coda, ein langsamer und ausdrucksvoller Gesang (Sostenuto ed espressivo), der dem Hauptthema eine letzte wehmütige Wendung gibt, bevor ganz am Ende F-Dur erreicht wird.
Damit ist der Boden für die freundlicheren Sätze 2 bis 4 bereitet. Das zum Adagio verlangsamte Andante ist ein seliger Gesang der Klarinette. Sein Hauptmotiv – kaum mehr als eine Arabeske – wird durch wundervolle Vorhalte im Klavier zu wehmütigem Ausdruck gesteigert. Eine Art “Berceuse” des Klaviers, ein wehmütiges Wiegenlied, bildet das Gegenmotiv. “Wiegenlieder meiner Schmerzen” nannte Brahms die kurz zuvor komponierten Intermezzi für Klavier. Von österreichisch-robuster Art ist der As-Dur-Ländler des dritten Satzes mit seinem duftigen Klaviersolo im Trio. Das Finale erreicht dann endlich F-Dur, und zwar in Form eines fast übermütigen, humorvollen Rondos.