(ursprünglich für Horn und Klavier, bearbeitet für Cello und Klavier von Gavriel Lipkind)
Werkverzeichnisnummer: 4228
Bohuslav Martinu
Slowakische Variationen
Im Grenzland zwischen Böhmen und Mähren, in der böhmisch-mährischen Hochebene, wuchs um 1900 ein junger Musiker heran, den man in der Kammermusik mit Recht den wahren Erben Antonin Dvoraks genannt hat: Bohuslav Martinu. In seinen wundervollen Streichquartetten, seinen Serenaden und Duos mit und ohne Klavier gipfelt die tschechische Kammermusik des 20. Jahrhunderts.
Der Schneider des kleinen Städtchens Policka war sein erster Geigenlehrer, und schon mit 12 versuchte sich Bohuslav an einem ersten Streichquartett. Mit 16 ging er nach Prag, offiziell, um Geige zu studieren, inoffiziell in der erklärten Absicht, Komponist zu werden. Seine Instrumentallehrer verdross dieser Berufswunsch, denn je mehr Martinu komponierte, desto weniger gewissenhaft übte er – weder auf Violine noch Orgel oder Klavier. Mit 20 flog er vom Konservatorium. Erst nach dem Ersten Weltkrieg bekam er eine Geigerstelle im Orchester des Prager Nationaltheaters. Auch hier trat rasch wieder seine eigentliche Passion in den Vordergrund: das Komponieren. Seine vom Orchester uraufgeführte Tschechische Rhapsodie bescherte ihm den Smetana-Preis, weitere Werke entstanden.
Ein zweiter Anlauf am Prager Konservatorium, diesmal in der Kompositionsklasse von Dvoraks Schwiegersohn Josef Suk, verlief vielversprechend. Doch schon nach einem Jahr begab sich Martinu mit einem Stipendium nach Paris, um dort bei Albert Roussel zu studieren. Drei Monate waren vorgesehen, es wurden 17 Jahre daraus. In Paris fand er einen französischen Verleger und eine französische Frau, Dirigenten,
die sein Werk bewunderten wie Ansermet, Munch und Paul Sacher sowie Mäzene. Mehrfach konnte er es sich leisten, die Nachfolge Janaceks als Leiter des Konservatoriums in Brno (Brünn) auszuschlagen. Für sein späteres Schicksal war dieser Schritt entscheidend.
Von Paris aus gelang Martinu 1940 die Flucht vor den Nazis in die USA, während Hunderte seiner Musikerkollegen in Böhmen und Mähren nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. In der neuen Heimat USA freilich fand sich Martinu nur schwer zurecht. Er wurde dort nie heimisch und blieb ein Umhergetriebener, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als ihm die Rückkehr in die geliebte Heimat von den Kommunisten verwehrt wurde. Unruhig zog er zwischen der Schweiz, Frankreich und Italien hin und her. Er starb 1959 im schweizerischen Liestal, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben.
Der Schmerz darüber prägte noch die letzten Noten, die Martinu förmlich auf dem Sterbebett komponierte: seine Variationen über ein slowakisches Thema für Violoncello und Klavier. Seine Gedanken wanderten zurück in seine Jugendzeit, als sein Dorflehrer ihm in den Tönen der Volksmusik das Streichinstrument lieben lehrte. Ein volksmusikalisches Rubato des Klaviers geht dem Thema des Cellos voraus, das ohne Takt notiert ist, als freie Deklamation in tschechischen Sprachrhythmen. In den fünf Variationen wird dieses Volkslied teils rhythmisch perkussiv, teils klangvoll in Doppelgriffen verarbeitet. Am Ende stehen ein Scherzo von heiterer Melancholie und ein orgiastisch-drängendes Allegro.