Fantasie c-moll für Harfe solo op. 35
Werkverzeichnisnummer: 4220
Louis Spohr
Fantasie Opus 35
Der in Braunschweig geborene Louis Spohr zählt zu den heute fast vergessenen Meistern der musikalischen Romantik, die unverdient im Schatten eines Schumann oder Mendelssohn stehen. Eine Generation vor diesen beiden geboren, hat er schon im Wien Beethovens der Romantik den Weg bereitet – mit Werken wie seinem berühmten Nonett (1813) oder seiner Oper Faust.
Heute lebt die Erinnerung an den fast zwei Meter großen, hühnenhaften Norddeutschen hauptsächlich in der Geschichte des Geigenspiels fort, gilt er doch als der neben Paganini bedeutendste Geiger in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der zu bizarrrer Brillanz neigende Italiener nannte seinen deutschen Kollegen respektvoll den „vorzüglichsten Sänger“ auf der Violine. Die Zeitgenossen erkannten in ihm respektvoll Paganinis einzigen wahren Konkurrenten, was auch Spohrs Violinwerke eindrucksvoll belegen.
Seine erste feste Anstellung bei Hofe fand der junge Spohr im thüringischen Gotha. Dort lernte er unter kuriosen Umständen seine spätere Frau kennen, die Harfenistin Dorette Scheidler, für die er alle seine Harfenwerke komponierte, so auch die c-Moll-Fantasie Opus 35. Lassen wir den greisen Meister die Geschichte selbst erzählen, wie er seine Frau kennen-, wie er sie und ihr Instrument lieben lernte. Die Liebesgeschichte begann bei Spohrs erstem Konzert als neuer Konzertmeister in Gotha, wo er aber schon früher einmal konzertiert und im Publikum eine schöne Blonde ins Auge gefasst hatte. Nun saß die reizende Thüringerin wieder in der ersten Reihe:
„Ich erkannte in dieser reizenden Blondine das Mädchen wieder, welches ich bei meinem ersten Aufenthalte in Gotha bereits gesehen und deren freundliche Gestalt mir seitdem oft in der Erinnerung vorgeschwebt hatte. Sie saß nämlich bei dem Concerte, welches ich damals in der Stadt gab, in der ersten Zuhörerreihe, neben einer Freundin, die bei meinem Auftreten, erstaunt über eine so lange und schlanke Gestalt, wohl lauter als sie es wollte, ausrief: ‚Siehe doch, Dorette, welch‘ eine lange Hopfenstange!‘ Da ich den Ausruf gehört hatte, warf ich einen Blick auf die Mädchen, und sah Dorette verlegen erröthen. Mit einem solchen holden Erröthen stand sie jetzt abermals vor mir, sich jenes Vorfalles wahrscheinlich erinnernd. Um der auch für mich peinlichen Situation ein Ende zu machen, bat ich sie, mir etwas auf der Harfe vorzuspielen. Ohne Ziererei erfüllte sie meinen Wunsch. Ich hatte als Knabe selbst einmal den Versuch gemacht, die Harfe zu erlernen… Man denke sich daher mein Erstaunen und Entzücken, als ich dieses noch so junge Mädchen eine schwere Phantasie mit größter Sicherheit und feinster Nuancirung vortragen hörte. Ich war so ergriffen, daß ich kaum Thränen zurückhalten konnte. Mit einer stummen Verbeugung schied ich; – mein Herz aber blieb zurück!“
Wenig später hatte der herzogliche Koncertmeister bereits eine Sonate für sich und seine Angebetete komponiert, die sie im Gothaer Hofkonzert zum Besten gaben: „Wir spielten an dem Abende mit einer Begeisterung und einem Einklange des Gefühles, der nicht nur uns selbst hinriß, sondern auch die Gesellschaft so elektrisirte, daß sie unwillkürlich aufsprang, uns umringte und mit Lobsprüchen überhäufte. Die Herzogin flüsterte dabei Doretten einige Worte in’s Ohr, welche diese erröthen machten. Ich deutete auch dies zu meinen Gunsten und so gewann ich endlich auf der Rückfahrt den Muth, zu fragen: ‚Wollen wir so für’s Leben mit einander musiciren?‘ Mit hervorbrechenden Thränen sank sie mir in die Arme; der Bund für das Leben war geschlossen!“
Nach der Hochzeit im Februar 1806 wandte sich Spohr neuen Kompositionen für seine Frau zu: „Ich begann alsbald ein eifriges Studium der Harfe, um zu ergründen, was dem Charakter des Instrumentes am angemessensten sei. Da ich in meinen Compositionen reich zu moduliren gewohnt war, so mußte ich besonders die Pedale der Harfe genau kennen lernen, um nichts für sie Unausführbares niederzuschreiben. Bei der großen Sicherheit, mit der meine Frau schon damals die ganze Technik des Instrumentes beherrschte, konnte dies freilich so leicht nicht geschehen. Ich überließ mich daher auch ganz dem freien Fluge meiner Phantasie, und es gelang mir bald, dem Instrumente ganz neue Effekte abzugewinnen.“
Die c-Moll-Fantasie überlässt sich in der Tat dem „freien Fluge der Phantasie“, kehrt aber immer wieder zu sonatenmäßigen Passagen zurück. Sie belegt eindrucksvoll, was die Zeitgenossen von Spohr sagten: „Seine Individualität neigt ihn am meisten zum Großen und in sanfter Wehmut Schwärmenden.“