Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Anton Arensky

Klaviertrio Nr. 1 d-Moll, op. 32

Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 1 d-Moll, op. 32

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4212

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Scherzo. Allegro molto

3. Elegia. Adagio

4. Finale. Allegro non troppo

Erläuterungen

2018
Anton Arensky in Petersburg

Unter den russischen Komponisten der Generation eines Gustav Mahler und Richard Strauss zählte Anton Arensky zu den begabtesten: „Obwohl er ein Schüler von Rimsky-Korsakow war, geriet Arensky in den Bann Tschaikowskys – sehr zum Ärger seines früheren Lehrers, der schließlich prophezeite, er werde bald in Vergessenheit geraten. Das frühe Leben Arenskys beschrieb Rimsky-Korsakow in seinen Memoiren als ‚zügellos, zwischen Wein und Kartenspiel zerrinnend’ und bemerkte, er habe diese Lebensart auch beibehalten ¬– immerhin eingeschränkt –, als er 1894 in St. Petersburg Nachfolger von Balakirew als Leiter der Kaiserlichen Kapelle wurde. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Im Alter von 44 Jahren starb Arensky an Tuberkulose.“ (David Fanning)

Die Kammermusik nimmt in seinem Schaffen einen prominenten Platz ein. Sein erstes Klaviertrio in d-Moll, op. 32, gehörte seinerzeit, um 1900, zu den meist gespielten Trios überhaupt. Auch seine Streichquartette finden heute wieder stärkere Beachtung, besonders das a-Moll-Quartett mit zwei Violoncelli, das er 1894 als Trauermusik auf Tschaikowsky geschrieben hat. Sein einziges Klavierquintett In D-Dur aus dem Jahre 1900 wurde wie das d-Moll-Trio als Meisterwerk gepriesen.

Klaviertrio d-Moll, op. 32

Arensky widmete sein d-Moll-Trio Opus 32 dem Andenken an Karl Juliewitsch Davidow, den langjährigen Solocellisten der Kaiserlichen Oper in Sankt Petersburg und Professor am dortigen Konservatorium. Tschaikowsky nannte ihn den „Zaren unter den Cellisten“. Er war im Februar 1889 verstorben und wurde von Arensky fünf Jahre später mit dem ersten Klaviertrio geehrt. Es handelt um eine Elegie in der Tradition russischer Totenklagen. Man denke nur an Tschaikowskys a-Moll-Trio À la mémoire d’un grande artiste oder an Rachmaninows Trio élégiaque, seine erschütternde Reaktion auf den Tod Tschaikowskys.

Zum Ruhm des Arensky-Trios in den Jahren um 1900 schrieb der englische Mäzen und Geiger Walter Willson Cobbett 1928 in dem von ihm selbst finanzierten Kammermusikführer: „Nimmt man die akzeptierten Meisterwerke aus, so war Arenskys erstes Klaviertrio seinerzeit das populärste Werk dieser Gattung. In jüngster Zeit freilich wird es von den Anti-Romantikern kritisiert. Als Amateur kann ich nur sagen, ich wünschte, es gäbe eine Aussicht auf mehr Werke dieser Art. Ich muss zwar zugeben, dass es Werke gibt, die nicht zum täglichen Genuss geeignet sind, und dies ist eines von ihnen. Nur der größere und gewissermaßen strengere Stoff der Meister hält der ständigen Wiederholung stand. Doch Musik von solchen Komponisten wie Arensky wird stets in gewissen Augenblicken all jenen attraktiv erscheinen, die sinnliche Schönheit für ein wesentliches Moment der Kunst halten. Typische Merkmale seiner Kompositionen sind die Kürze seiner Finalsätze und die Brillanz seiner Scherzos.“

Der Erfolg des d-Moll-Trios erklärt sich schon aus dem ersten Satz, einem Allegro moderato. Es beginnt mit einer der schönsten Violinmelodien der Spätromantik. Über dem Triolen-Klanggrund des Klaviers setzt der Geiger auf der G-Saite ein und schwingt sich langsam in die Höhe. Seine ausdrucksvolle Melodie berührt statt des Leittons Cis ständig die dorische siebte Stufe C, weshalb sie zwischen d-Moll und F-Dur zu schwanken scheint. Diese reizvolle Zweideutigkeit bleibt auch erhalten, wenn das Thema vom Cello wiederholt wird und sich im Dialog der Streicher leidenschaftlich steigert. Erst mit dem Fortissimo-Einsatz des Klaviers zum Tremolo der Geige hört man den ersten Dominantakkord A-Dur. Danach spielt auch der Pianist seine Variante des schönen Hauptthemas. Die Überleitung lebt von leichtfüßigen Arabesken alla Schumann, das Seitenthema vom langen Atem eines Cellogesangs auf der A-Saite, in den die Violine einstimmt. Das Duett der Streicher wird von wogenden Klavier-Arpeggios getragen und steigert sich zu wehmütigem Ausdruck. Massive Klavierakkorde wollen die Zweisamkeit der Streicher stören, wodurch ihr Duett immer leidenschaftlicher wird. Eine knappe tänzerische Wendung im Staccato bildet die Schlussgruppe. Diesen kurzen, lebhaften Gedanken hat Arensky in der Durchführung wirkungsvoll erst mit dem Hauptthema kontrastiert, dann mit den Schumann-Arabesken aus der Überleitung. Daraus hat er einen riesigen Spannungsbogen gebaut, der vom lange anhaltenden Piano allmählich ins leidenschaftliche Fortissimo übergeht. Im Tremolo scheinen die Streicher den Höhepunkt anzusteuern, doch er bleibt aus und wird durch die leise Reprise des Hauptthemas ersetzt. Diese Antiklimax ließe Raum für eine gewaltige Schluss-Steigerung in der Coda, doch auch sie hat Arensky verweigert. Stattdessen klingt der Satz mit einem tief bewegenden Adagio über das Hauptthema aus, vom Cello eröffnet. Die Totenklage auf den Cellisten Davidow verhindert den rauschenden Schluss.

Das Scherzo steht an zweiter Stelle, ein Allegro molto im heiteren D-Dur, das freilich ständig von Moll überschattet wird. Nicht nur daraus erklärt sich das gespenstische Zwielicht dieses Satzes, sondern auch aus dem raffinierten Klang: Eine knappe Dreitonfigur der Geige fügt sich mit dem Pizzicato des Cellos und irrwitzigen Klavierläufen zu einer Art groteskem Springtanz zusammen. Raffiniert wird dieses Klangbild variiert, bis kurz vor dem Trio noch Flageolett-Töne der Geige hinzukommen. Das Trio (Meno mosso) ist im Ton kräftiger, in der Anlage simpler: ein robuster russischer Walzer in B-Dur, dessen Melodie die Streicher einander gegenseitig zusingen. Am Ende kündigt sich die Reprise des Hauptteils an, die natürlich im Pianissimo ausklingt.

Das Cello eröffnet den langsamen Satz, der den Titel Elegie trägt. Es ist Arenskys Trauermarsch auf den großen Cellisten Davidow. Schwer lastende punktierte Rhythmen des Klaviers deuten den Duktus eines Kondukts an. Darüber stimmt das Cello mit Dämpfer auf den Saiten sein Klagethema in g-Moll, das von der Violine ebenfalls con sordino aufgegriffen wird. Wenn sich beide Instrumente zu Duett vereinen, wird aus dem Marsch ein tief bewegender Klagegesang. Plötzlich aber wechselt die Tonart ins helle G-Dur. Über murmelnden Triolen der Streicher erscheint in der hohen Klavierlage wie eine Vision eine G-Dur-Variante des Elegie-Themas – die Apotheose des Helden in den Höhen des Himmels. Wenn das Klavier die changierenden Triolen aufgreift und mit gezupften Cellotönen betörend mischt, erscheint die G-Dur-Melodie in der hohen Violinlage als wahrer Engelsgesang. Danach kehrt die Totenklage wieder und klingt im Pianissimo aus.

Die viel gepriesene Kürze der Finalsätze bei Arensky, die sich so wohltuend von den ausufernden Finali der Spätromantik abhebt, zeigt sich auch im d-Moll-Trio. Das wuchtige Hauptthema im Allegro non troppo „nimmt den Stil Rachmaninows vorweg, und die Coda enthält eine schöne, höchst effektvolle Reminiszenz an das zweite Thema aus der Elegie“ (Belaiev). Nach einer gewaltigen Steigerung des wuchtigen d-Moll-Finalthemas bricht die Musik plötzlich ab und gibt den Blick frei auf die himmlische Vision aus dem langsamen Satz. Con sordino wiederholen die Streicher die Apotheose des Helden und erinnern danach senza Sordino an das traurige Hauptthema des ersten Satzes, bevor das Finale im Strudel der Erregung ungestüm zu Ende geht.
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2008
Über vielen russischen Klaviertrios des späten 19. Jahrhunderts prangt eine Widmung „À la memoire de …“. Zum Gedenken an verstorbene Freunde oder Komponistenkollegen griffen die Russen vorzugsweise zur Gattung des Klaviertrios, seit Tschaikowsky sein großes a-Moll-Trio „Dem Gedenken an einen großen Künstler“ gewidmet hatte (À la memoire d’un grand artiste). Ging es in seinem Falle um seinen Freund und Förderer Nikolaj Rubinstein, so verfassten später Komponisten wie der junge Sergej Rachmaninoff ihrerseits Trios zum Gedenken an Tschaikowsky.

In eben dieser Tradition steht auch das 1. Klaviertrio von Anton Arensky, das 1894 veröffentlicht wurde. Der Meister widmete es dem Gedenken an Karl Davidoff, den 1889 verstorbenen, bedeutendsten Cellisten der russischen Spätromantik. Da Arensky selbst der Sohn eines Cello spielenden Arztes war, konnte er Davidoffs Bedeutung für das Cellospiel in Russland und die Wiederbelebung der russischen Kammermusik einschätzen. In diesem Sinne ist die Widmung des Trios zu verstehen, das dem Cello denn auch eine prominente Rolle einräumt.

Sein Komponist ist heute fast vergessen, obwohl er als Meisterschüler von Nikolaj Rimsky-Korsakoff, als Freund von Tschaikowsky und Lehrer so berühmter Schüler wie Rachmaninoff und Skrjabin zu den prominentesten Figuren des russischen Musiklebens um die vorletzte Jahrhundertwende zählte. Mit Neid blickte sein Lehrer Rimsky-Korsakoff auf die finanzielle Unabhängigkeit des einstmaligen Schülers, der einem reichen Elternhaus entstammte und auch später in eine entsprechend gut dotierte staatliche Stellung als Leiter der St. Petersburger Hofsängerkapelle aufrückte: „Er galt als Beamter des Hofministeriums und bezog fünf- bis sechstausend Rubel Pension“, damals eine stattliche Summe. Leider hat Arensky dieses Geld am Spieltisch allzu leichtfertig vertan und durch seine Trunksucht auch seine Gesundheit zerrüttet. Bereits 1906 starb er im Alter von 44 Jahren.

Sein nicht allzu umfangreiches Oeuvre enthält neben Chormusik und Liedern insgesamt drei Opern, ein Ballett, zwei Sinfonien, je ein Klavier- und Violinkonzert und einige bedeutende Kammermusikwerke. Unter ihnen ragen das 1. Klaviertrio und das 2. Streichquartett heraus, Letzteres 1894 zum Gedenken an Tschaikowsky komponiert und dank seiner Besetzung mit Geige, Bratsche und zwei Celli ein Unikat in der Gattungsgeschichte. Für diese beiden frühen Kammermusikstücke gilt noch nicht, was man Arensky später nachsagte: „salonartige Glätte, makellose, gleichsam elegante Formen und eine lyrisch-elegische Haltung“ (Dorothea Redepenning). Vielmehr handelt es sich gerade beim d-Moll-Trio um eine Elegie mit durchaus dramatischen Zügen.

Im ersten Satz, Allegro moderato, wird der pathetische Gesang der beiden Streicher fast ununterbrochen von wogenden Klanggründen des Klaviers getragen. Mal pulsiert die Bewegung in Triolen wie zu Beginn, mal in drängenden Sechzehnteln, doch stets vollgriffig und klangsatt. Darüber breitet sich das Hauptthema zunächst in der Geige mit schmerzlicher Wehmut aus. Wenn das Cello hinzutritt, beweist das Thema sogleich seine Eignung für kanonische Stimmführung. Das zweite Thema, ruhiger im Duktus, aber immer noch über perlenden Klavier-Arpeggi sich entfaltend, wird vom Cello auf der A-Saite angestimmt, von der Violine auf der D-Saite übernommen. Erst im dritten Thema, das etwas bewegter zu spielen ist (più mosso), tritt das Klavier in kraftvollen Akkorden den beiden Partnern gegenüber. Die Durchführung lässt das Hauptthema mit einem neuen Staccato-Motiv alternieren und gipfelt in einem geradezu melodramatischen Tremolo unmittelbar vor der Reprise. Ebenso opernhaft wie diese Stelle mutet der Schluss an: ein Adagio, in dem das Klavier das Hauptthema mit der Wucht eines orchestralen Rezitativs aufgreift, bevor es im Pianissimo der Streicher geheimnisvoll verdämmert.

Arenskys Klangsinn, im Kopfsatz schon angedeutet, feiert im Scherzo wahre Triumphe. In seinem D-Dur-Hauptteil (Allegro molto) alternieren Flageolett der Geige und Pizzicato des Cellos mit perlenden Klavierläufen. Im etwas weniger bewegten B-Dur-Trio (Meno mosso) gibt das Cello den Ton an – zweifellos als Reminiszenz an Davidoffs unvergessliches Spiel.

Elegia hat Arensky mit aller Deutlichkeit über den langsamen Satz geschrieben: Es ist seine eigentliche Totenklage auf den Cellisten Davidoff, die natürlich mit einem Cellosolo beginnt. Die Griffigkeit dieses Themas, das mit Dämpfer gespielt und vom Klavier im Rhythmus eines Trauermarschs begleitet wird, hat viel zur Popularität des d-Moll-Trios beigetragen, das einstmals zu den viel gespielten Werken der Kammermusik zählte. Immer wieder werfen die Streicher einander das so plastische Kopfmotiv zu, bis sich nach einer Generalpause plötzlich der Himmel öffnet und in hellem G-Dur das Klavier eine Variante des Themas in hoher Lage anstimmt – die Apotheose des Helden deutet sich an. Durch immer heller schimmernde Klänge hindurch entführen uns die drei Musiker gleichsam in himmlische Gefilde, bevor der Trauerkondukt des Anfangs im düsteren g-Moll wiederkehrt.

Das Finale, Allegro moderato, beginnt als gleichsam hypertrophe Polonaise: ein sich in fetten Klavierakkorden und ausladenden Gesten der Streicher vor dem Hörer aufbauender Tanz, eine Polonaise concertante der pathetischsten Manier. Der Taumel des Tanzes gipfelt in einem geradezu orgiastischen Più mosso, bevor plötzlich die Erregung abebbt und die Bühne freigibt für Reminiszenzen an die früheren Sätze. Zunächst erscheint das himmlische G-Dur-Thema aus dem langsamen Satz wieder (Streicher con sordino), dann das Hauptthema des ersten Satzes (senza sordino), schließlich noch einmal die Polonaise des Finales in letzter, zwingender Steigerung.