Suite Nr. 1 aus „Peer Gynt“
Werkverzeichnisnummer: 4199
1. Morgenstimmung
2. Ases Tod
3. Anitras Tanz
4. In der Halle des Bergkönigs
Unter der südlichen Sonne Roms trafen 1866 zwei Genies aus dem hohen Norden Europas, aus Norwegen, zusammen: der Komponist Edvard Grieg und der Dichter Hendrik Ibsen. Da Grieg als offener und lebenslustiger Charakter allseits bekannt und beliebt war – selbst bei so unterschiedlichen Kollegen wie Tschaikowsky und Brahms -, entstand spontane Sympathie auch mit dem Dichter. Acht Jahre später erinnerte sich Ibsen dieser Begegnung, als er die Bühnenfassung seiner Dichtung „Peer Gynt“ vorbereitete. Ohne Schauspielmusik konnte ein Drama dieser epischen Größenordnung im 19. Jahrhundert nicht aufgeführt werden, also fragte Ibsen bei Grieg an, ob er nicht bereit sei, die Komposition zu liefern. Obwohl ihm der Stoff anfangs „unverdaulich“ erschien und er sich erst allmählich in die düstere Welt der Handlung hineinfand, schrieb Grieg am Ende doch eine große, 23 Nummern umfassende Schauspielmusik.
Sie wäre zweifellos – wie so viele andere Werke dieses Genres – in der Versenkung verschwunden, hätte Grieg nicht 1888 seine 1. Suite aus „Peer Gynt“ zusammen gestellt, der schon drei Jahre später die 2. Suite folgte. In der Originalfassung bilden diese beiden Suiten bis heute das großartigste Zeugnis für Griegs Orchesterkunst und für seine Liebe zum Vaterland. Ihre Vermarktung aber trieb noch zu seinen Lebzeiten in unzähligen Bearbeitungen die wildesten Blüten – sehr zum Leidwesen des Komponisten, der nur abschätzig meinte: „Es würde mich nicht wundern, wenn sie meinen Peer Gynt demnächst noch für Piccolo und Bassposaune bearbeiten!“
Was hätte Grieg wohl gesagt, wenn er hätte miterleben müssen, wie die „Morgenstimmung“ der 1. Suite zum kitschigen Soundtrack für jede Art von Fernsehwerbung degradiert wurde? Kaum ein Motiv der Klassik – von den „Carmina burana“ und dem Barber-Adagio abgesehen – ist von den Fernsehmachern so bedenkenlos missbraucht worden. Dabei gehört die wiegende E-Dur-Melodie, die das Werk wie mit einem Augenaufschlag eröffnet, zu den schönsten Flötensoli der Romantik. Auch in der üppigeren Klanggestalt des weiteren Satzes, von den Streicher umwogt, ist das Motiv das Idealbild einer Pastorale. In Ibsens Drama dient es zur Illustration des anbrechenden Morgens zu Beginn des 4. Aktes.
Die 1. Suite folgt dem Gang der Handlung durchaus nicht. Auf das Präludium des
4. Aktes folgt die Trauermusik auf die Mutter des Helden aus dem 3. Akt, „Ases Tod“, eine der größten Streicherelegien der Romantik. „Anitras Tanz“, eine Mazurka über zartem Pizzicato, gehört wieder in den 4. Akt, während „Die Halle des Bergkönigs“ in den 2. Akt zurückführt. Zuhörer mit langer leidvoller Erfahrung in TV-Werbung werden dieses Stück von einem gewissen „kühlen Klaren aus dem hohen Norden“ kaum trennen können. Um den geographischen Norden Europas musikalisch sinnfällig zu machen, hätten die Erfinder jenes Spots kein besseres Stück finden können.