Partita a-Moll für Flöte solo, BWV 1013
Werkverzeichnisnummer: 4195
1. Allemande
2. Corrente
3. Sarabande
4. Bourrée anglaise
1996
Johann Sebastian Bach: Partita a-Moll, BWV 1013
Es ist unsicher, ob man am schwedischen Hof eine einzige Note Sebastian Bach’scher Musik kannte, denn der Köthener Hofkapellmeister und Leipziger Thomaskantor war in dem von italienischer Oper und galantem Stil beherrschten Musikgeschäft Europas ein Außenseiter. Johann Sebastian steht in unserem Programm auch nur stellvertretend für einen anderen Bach, der in Schweden zuhause war: für seinen älteren Bruder Johann Jakob (1682-1722). Es handelt sich um jenen „fratello dilettissimo“, den der junge Sebastian 1704 mit seinem berühmten Capriccio auf die Abreise des geliebten Bruders verabschiedete. Johann Jakob zog es nach Schweden, wo er in der Armee des streitbaren Königs Karl XII. Oboist wurde. Als solcher durchlebte er an der Seite seines Königs alle Höhen und Tiefen des Nordischen Krieges bis hin zur spektakulären Flucht an den Osmanischen Hof nach Istanbul. Dort spielte sich eine für die Geschichte der Flöte bedeutsame Begegnung ab: der Deutsch-Schwede Johann Jakob Bach erhielt in der Türkei von dem Franzosen Gabriel Buffardin Unterricht auf der Traversflöte. Da Buffardin später Soloflötist der Dresdner Hofkapelle wurde und dort wiederum Johann Sebastian Bach zu seinen Werken für Flöte inspirierte, schließt sich der Kreis. Johann Jakob andererseits kehrte 1713 nach Schweden zurück und wurde zu einem engen Freund Johan Helmich Romans, den er zu seinem Testamentsvollstrecker einsetzte. Es ist durchaus möglich, daß Roman einige seiner Flötensonaten für Johann Jakob Bach schrieb.
Die a-Moll-Partita für Flöte solo ist unter den acht authentischen Flötenwerken in Johann Sebastian Bachs Kammermusik (BWV 1013, 1030, 1032-5, 1039 und 1079) vielleicht das früheste. Sie ist zumindest in der frühesten Quelle erhalten, einer Abschrift vom Köthener Hof, die um 1720 entstand. Dieser Umstand setzt das Werk in Beziehung zu den Cellosuiten, Violinpartiten und -sonaten der Köthener Zeit. Wahrscheinlich gehen die vier Sätze der Partita auf verlorene Werke für ein solistisches Streichinstrument zurück, denn nur so lassen sich die für die Flöte aberwitzigen atemtechnischen Probleme erklären, die Jed Wentz auf seine Weise löst.
Vielleicht war es die besondere atemtechnische Fertigkeit eines Ausnahmeflötisten – eben Buffardins – , die Bach zu diesem extremen Werk inspirierte. Dies würde auch die Anlage als italienisch überfremdete Suite erklären (mit einer Bourrée statt einer Giga am Ende) . Wie in Buffardins eigenen Werken vermischen sich Züge des französischen Stils mit der virtuosen Geläufigkeit des „gusto italiano“ zum sog. „vermischten Geschmack“ Deutschlands. Bei Bach ist dieser Stil natürlich ins chromatische Extrem gewendet – Ausdruck einer „barocken“ Künstlichkeit, die im galanten Ambiente der Zeit bald aus der Mode kam. Leider wissen wir nicht, ob der Bruder Sebastian oder der einstige Flötenlehrer Buffardin eine Abschrift des Werkes zu Johann Jakob nach Stockholm sandte.