Worlds Beyond für Saxophon und Tuba
Werkverzeichnisnummer: 4187
Kaum hätte sich Wolfgang Amadeus Mozart träumen lassen, dass einmal eine Arie aus seinem unvollendeten Singspiel mit dem posthumen Titel „Zaide“ in Form eines Konzertstücks für Oboe, Saxophon und Orchester eine jazzige Wiederauferstehung feiern würde. „Tiger, wetze nur die Klauen“ schleudert Zaide empört dem Sultan entgegen, der ihre Flucht aus dem Serail verhindert hat und sie nun mit ihrem Geliebten hinrichten lassen will. Es ist eines von Mozarts großen g-Moll-Stücken: unruhig flackernd über dem nervösen Puls der Bässe, in wilden Synkopen und gehetzten, abgerissenen Phrasen zerstäubend, scheinbar ohne Maß und Ziel. Im ungebremsten Sturm der Gefühle dieser „Aria agitata“ fand Daniel Schnyder fruchtbares Terrain für eine moderne Adaptierung – und nicht nur hier. Seine Komplettierung von Mozarts „Zaide“ ist sein neuestes Stück Musiktheater, für New York geschrieben.
Schnyder ist in Rottweil längst kein Unbekannter mehr. Ein paar Stichworte zur Person mögen genügen: 1961 in Zürich geboren, Studium dort und in Boston, ausgewandert nach New York, Komponist, Saxophonist, Jazzer und Stiljongleur, komponierte Symphonien wie Jazzarrangements, Instrumentalkonzerte wie Song Books, Opern, ein Oratorium, Kammermusik und reichlich „cross-over-related music mit arabischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Musikern“, wie es einer seiner Musikverlage ausdrückt.
Sein bislang größtes Werk im „klassischen“ Sektor war seine oratorische Version der „Geheimen Offenbarung des Johannes“, mit dem 2001 die neue Milwaukee Symphony Hall eingeweiht wurde. Sebastian Weigle, Frankfurts designierter Opernchef, dirigierte im letzten Jahr die umjubelte europäische Erstaufführung im Liceu zu Barcelona. 2004/05 war Schnyder „Composer in Residence“ beim Menuhin Festival in Gstaad. Eine „Grammy“-Nominierung und zahlreiche andere Preise brachten ihm seine Kompositionen und seine eigenen Einspielungen ein. Er musiziert mit so unterschiedlichen Partnern wie Kenny Drew jr., dem Carmina Quartett oder arabischen Percussionisten, ist ein ebenso brillanter Solist mit Orchestern und Bands wie Dozent von Meisterkursen für Komposition, Improvisation und Arrangement.
Auch sein neues Programm für Rottweil hat Daniel Schnyder mit der „cross over academy“ Stuttgart erarbeitet, die er gemeinsam mit Ingo Goritzki leitet. Es beginnt bei Jimmy Hendrix und erreicht über Schubert und Mozart, arabische und jazzige Musik am Ende die Rolling Stones – wahrhaft ein „Round trip“ durch die Musik der Jahrhunderte und Kontinente. Variationen über Jimmy Hendrix‘ Klassiker „Purple Haze“ machen den Anfang.
Es folgen zwei Sätze aus Schnyders „Songbook“ für Saxophon und Orchester. Als er das elfteilige Liederbuch 2003 auf CD veröffentlichte, war die Kritik begeistert und nannte es eine Synthese aus lateinamerikanischen Rhythmen, Broadway-Musical, Jazz und europäischer Romantik „im Geiste von Gershwin und Bernstein“. Wir hören den „Blues for Schubert“, zu dem sich Schnyder von Versen aus Shakespeares „Sturm“ inspirieren ließ: „Habt keine Angst, die Insel ist voll von Klängen!“ Als Schnyder 1996 seine Oper nach dem „Sturm“ in Bern herausbrachte, hatte er wahrhaft keine Angst vor den Klängen der karibischen Inseln, die er mit der Musik Europas zur Synthese brachte – so auch in diesem Satz. „Epitaph“ nannte er einen weiteren Satz aus dem „Song Book“, der sich auf ein Zitat aus Petrons „Satyricon“ bezieht: „Er hätte jede Arbeit in Rom bekommen können, aber er bekam sie nicht.“ Ob sich dahinter die Grabinschrift für einen Freund verbirgt, müsste der Komponist selbst aufklären.
Von Schnyders Flirt mit der arabischen Musik zeugt sein Konzert für Nay, die arabische Oboe, und Orchester. Er hat es für den libanesischen Nay Virtuosen Bassam Saba komponiert – so wie er zuvor schon Konzerte für die Pipa, die chinesische Laute, und das Alphorn geschrieben hat. Wir hören zwei Sätze aus dem Nay-Konzert: Das arabische Wort für Vollmond gab dem Satz „Badr“ seinen Titel, „Karachi“ ist eine Huldigung an die Hauptstadt von Pakistan.
„Worlds Beyond“ und „Tales from Another Time“ sind Stücke, die Schnyder in verschiedenen Versionen vorlegte. In Besetzungsfragen hat er sich stets als flexibel und anpassungsfähig erwiesen – getreu seinem ganz auf die Praxis ausgerichteten Musikverständnis. „Tiger Aria“ nannte er den schon eingangs beschriebenen unkonventionellen Beitrag zum Mozartjahr. „Sympathy for the devil“ , einen Klassiker der Rolling Stones, arrangierte Schnyder sowohl für Streichquartett als auch für Orchester.
Zu erklären, wohin jedes einzelne Werk im weltumspannenden Stilkosmos des Daniel Schnyder gehört, ersparen wir den Lesern und Hörern. Wie sagte schon der Komponist dieser Werke in einem Interview? „Der Konstruktionsplan der Musik darf nicht Voraussetzung zu ihrem Verständnis werden: Da begreife ich schon, wenn das Publikum mal genug hat. Den Zuhörer interessieren die Regeln nicht.“ Auch ist Vieles, von dem, was im Konzert passiert, Eingebung des Augenblicks: „Man kann fast nicht herausfinden, was geschrieben ist und was nicht. Die Interaktion zwischen beidem interessiert mich ja, es sollte kein Bruch entstehen.“ Und auch gegen jede Art von Schubalde hat sich Schnyder in einem weiteren Interview verwahrt: „Es geht ja nicht an, dass wir diese „Schubladisierung“ der Musik weiter forttreiben im Sinne von: hier Worldmusic, hier klassische Musik und hier Jazz. Sondern, man sollte eigentlich zurückfinden zu einer „Musik der Integration“. Das ist eine verbreitete Bestrebung und nicht nur meinerseits, sondern ganz international …“.