Klavierquartett g-Moll, op. 1
Werkverzeichnisnummer: 4179
1. Allegro vivace
2. Adagio ma non troppo
3. Thema con variazioni. Allegretto – Menuetto – Coda. Allegro
Franz Xaver Mozart in Lemberg
Constanze Mozart war wieder einmal unzufrieden mit ihrem Jüngsten. An ihren älteren Sohn Carl in Mailand schrieb sie im Juli 1809 über den Bruder Franz Xaver: „Wenn Du ihm schreibst, so ermahne ihn immer zum Fleiß. Seit er in Polen ist, hat er erst drei Sonaten für die Flöte und das Clavier gemacht, und damit bin ich nicht zufrieden. Das ist alles zu wenig für einen jungen Menschen, der sich üben, sich und seinem Vater Ehre machen soll.“ Dabei war der junge Mozartsohn nicht einmal selbst Schuld an seinem mangelnden Fleiß: Die ländlichen Verhältnisse in Galizien standen ihm im Weg. Seit 1808 lebte der Achtzehnjährige als Haus- und Musiklehrer beim Grafen Viktor Baworowski im österreichisch regierten Galizien. Der Stammsitz der Familie war damals noch polnisch und hieß Podkamien, heute Pidkamin in der Westukraine. Obwohl Henriette von Baworowski dank der Anweisungen ihres jungen Lehrers zu einer wahren Virtuosen heranreifte, kam Franz Xaver selbst kaum zum Komponieren, denn seine Dienstherren reisten ständig von Landsitz zu Landsitz. Deshalb nahm er 1811 seinen Abschied und zog in die große Stadt Lemberg. Dort konnte er sein gerade gedrucktes erstes Klavierkonzert Opus 14 vor dem begeisterten Publikum spielen, aber als freier Komponist zunächst nicht überleben. Folglich wurde er wieder Hausmusiklehrer, und zwar beim beim k.k. Kämmerer Janiszewski. Sein Freundeskreis in Lemberg wuchs beständig, wozu auch ein Vetter gehörte, der Landschaftsmaler Anton Lange, Sohn von Mozarts Jugendliebe Aloysia Lange, geb. Weber.
1813 wagte er endlich den Schritt in die Freiheit, verdiente seinen Lebensunterhalt aber weiter mit Stundengeben, wie es schon sein Vater getan hatte. Damit sammelte er fünf Jahre lang die Mittel, um 1818 von Lemberg aus seine große Reise durch Europa anzutreten (siehe unten). Zum Abschied spielte er sein gerade erst gedrucktes zweites Klavierkonzert Opus 25. Die Zeiten, in denen sich die Mutter über seinen mangelnden Fleiß beklagte, waren vorüber. 1822 kehrte er nach Lemberg zurück, was auch private Gründe hatte. Schon während seiner ersten sechs Jahre in der Stadt hatte er häufig im Hause des k. k. galizischen Gubernial-Rates Ludwig Cajetan Baroni von Cavalcabò verkehrt, Abkömmling einer Adelsfamilie aus Rovereto im Trentino. Dessen schöne Ehefrau Josephine, geborene Gräfin Castiglione, wurde zum Mittelpunkt der wöchentlichen Konzerte, die nun der junge Mozart dirigierte. Schuberts Freund Joseph von Spaun wurde in seiner Lemberger Zeit zum Mitglied dieses Kreises:
„Die zahlreiche Gesellschaft aus Deutschen und Polen, Fürsten und Grafen, Generälen und Geistlichen, sowie Sängern und Sängerinnen vom Theater, die bei der Musik mitzuwirken hatten, bestehend, war eine sehr gemischte, allein die liebenswürdige Hausfrau vermittelte in anziehendster Weise, und die Diners waren durchaus heiter. Nach Tisch wurde bis in die Nacht trefflich musiziert. Die Hausfrau selbst glänzte durch Stimme und Vortrag … Mozart dirigierte und sorgte für die Auswahl klassischer Musik. Ich kann diesem Hause nie genug dankbar sein für die freundlichen Stunden, die ich fremder Exilierter dort genossen.“ (Joseph von Spaun)
Bis zu seinem Tod 1844 war Josephine von Baroni-Cavalcabò die engste Freundin des Mozartsohnes, der sie 1842 in seinem Testament zur Alleinerbin einsetzte. Nach Franz Xavers Tod übergab sie dem Wunsch des Verstorbenen gemäß alle seine Musikalien, darunter die wertvollen Fragmente des Vaters, alle Porträts und Familienschriften dem Salzburger Institut Dommusikverein und Mozarteum, heute als Stiftung Mozarteum weltbekannt. Da Franz Xaver in Karlsbad starb und beigesetzt wurde und da sein Nachlass nach Salzburg ging, blieb in Lemberg nur die Erinnerung an sein musikalisches Wirken. Er war Mitbegründer des Lemberger Musikvereins und organisierte in der Stadt zahlreiche Konzerte, so auch eine Aufführung des Requiems seines Vaters zu dessen 35. Todestag am 5. Dezember 1826 in der Lemberger St. Georgs-Kathedrale, die er selbst leitete. Als angesehener Pianist und Pädagoge wirkte er bis 1838 in Lemberg, bevor er nach Wien umzog. Dort hatte im Jahre 1791 sein Lebensweg begonnen.
Der junge Franz Xaver Mozart in Wien
„Ein Sohn des großen Meisters und Zeuge der hohen Kunstglorie eines teuren Vaters zu sein, ist ein schönes Glück. Es mit Würde zu sein, ist ein schönes Verdienst.“ So resümierte die Grazer Zeitschrift Der Aufmerksame anno 1820 das Auftreten des damals noch nicht Dreißigjährigen jüngsten Mozartsohnes Franz Xaver. Seit seine Mutter Constanze für ihn die Laufbahn des Komponisten bestimmt und ihm den Künstlernamen „Wolfgang Amadeus Mozart Sohn“ verliehen hatte, lebte und wirkte Franz Xaver im übermächtigen Schatten des Vaters.
Als Mozart starb, war sein älterer Sohn Carl sieben Jahre alt, der jüngere Franz Xaver gerade erst zur Welt gekommen. Als Person blieb ihm der Vater ein Unbekannter. Dennoch oder gerade deshalb hing er an dessen Erbe mit kindlicher Anhänglichkeit. Als Musiker wurde er stets daran gemessen – ein Anspruch, dem er letztlich nicht gewachsen war, weder als Pianist noch als Komponist. Sein Bruder Carl hatte dies früh geahnt und sich von einer Musikerlaufbahn alsbald auf einen sicheren Beamtenposten im fernen Mailand zurückgezogen. Dies geschah „in der festen Überzeugung, dass Söhne eines Vaters, der sich ausgezeichnet hat, nie dieselbe Bahn betreten sollen, da sie doch niemals den an sie gerichteten Forderungen würden entsprechen können.“
Sein Bruder Franz Xaver bekam diese Lebensweisheit in voller Härte zu spüren. Aus den meisten zeitgenössischen Urteilen über ihn spricht zwar Pietät und Anerkennung, nirgends aber Begeisterung, sondern die mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Überzeugung, dass der Sohn an den Vater nicht heranreiche. Ein bissiger Züricher Zeitgenosse schrieb: „Er ist ein kleines, mageres Männchen, jovialisch munter in Gesellschaft, braver, doch nichts weniger als ausgezeichneter Virtuose.“ Ein Wiener Kritiker berichtete weniger polemisch, „dass sein Spiel durch eine gewisse Ruhe und Nettigkeit sich auszeichne. Eleganz, Feinheit, Präzision, Ausdruck findet man schön bei ihm vereinigt“. Über seine Musik schrieb die Allgemeine Musikalische Zeitung 1821: „Seine Compositionen sind klar, melodiös, gut durchgeführt und verraten gründliche Einsicht in das innere Wesen der Kunst.“
Für einen durchschnittlichen Tonsetzer des frühen 19. Jahrhunderts wäre solches Lob ausreichend gewesen, nicht aber für den Sohn des großen Mozart. Tatsächlich haben nur wenige seine Kunst unabhängig vom Vater beurteilt, und selbst wenn er einmal aufgrund seiner eigenen Verdienste eine Anstellung angeboten bekam – wie etwa 1821 den Posten des Hofkapellmeisters in Darmstadt -, so schlug er ihn aus, um sich weiterhin auf die rastlose Reise auf den Spuren des Vaters zu begeben.
30 Jahre zuvor, als Constanze Mozart das Schicksal ihres Jüngsten in die Hand genommen hatte, sah alles noch ganz anders aus. Rasch machte Franz Xaver Fortschritte, nachdem er mit sechs Jahren den Klavierunterricht aufgenommen hatte. Schon 1802 konnte der Zehnjährige sein Opus I im Druck herausbringen: das Klavierquartett g-Moll. Erwartungsgemäß staunte die Öffentlichkeit über den Sohn, der so selbstbewusst in die Fußstapfen des Vaters trat. Freilich wehte dem angehenden Tonkünstler anno 1802 ein anderer Wind entgegen, als ihn der Vater als Kind erlebt hatte. Hatte der im gediegenen Rokoko die regierenden Häuser Europas als Wunderkind in Staunen versetzt, so musste sein Sohn sich an den Größen der beginnenden Virtuosenzeit messen lassen: an Beethoven und Dussek, Hummel und Czerny.
Nach der ersten Talentprobe nahmen ihn immerhin die einstigen Konkurrenten des Vaters unter ihre Fittiche, allen voran Hofkapellmeister Antonio Salieri. Zu ihm gesellten sich im Triumvirat der Lehrer der berühmte Wiener Organist Johann Georg Albrechtsberger und der Pianist Johann Nepomuk Hummel, seines Zeichens der Meisterschüler des Vaters. Nach einigen Studienjahren stellte Salieri 1807 dem damals Fünfzehnjährigen ein wohlwollendes Zeugnis aus (im Original Italienisch): „Ich versichere, dass der junge Herr Wolfgang Amadé Mozart, schon jetzt ein versierter Pianist, ein wahres Talent zur Musik hat. Um sich in der Kunst, aus der er einen Beruf macht, zu vervollkommnen, studiert er augenblicklich bei mir, nachdem er die Regeln des Kontrapunkts bei Herrn Albrechtsberger, Kapellmeister am Stephansdom, studiert hat. Ich prognostiziere ihm einen nicht geringeren Erfolg als jener seines berühmten Vaters.“ Ein Brief seiner Mutter Constanze aus dem gleichen Jahr lässt freilich ahnen, dass es um den Fleiß des angehenden Maestro nicht zum Besten bestellt war. Sie sorgte sich, „jetzt, wo er die 3 großen Meister hat, ob er denn auch fleißig ist und Nutzen von ihnen suchen wird“, ob er „fleißig componirt und ob er auch brav sich im Instrumentiren übt“.
Tatsächlich ließen die Früchte des Fleißes noch längere Zeit auf sich warten. In eher zäher Folge entstanden ab 1808 größere Kompositionen. Bis 1820 waren es immerhin eine Sinfonie, zwei Klavierkonzerte, zwei Violinsonaten, je eine Cello- und Klaviersonate, rund ein Dutzend Lieder, Variationen und Polonaisen für sein Instrument. Genug für einen durchschnittlichen Komponisten, aber zu wenig für einen Sohn Mozarts. Man vergleiche damit nur, was der sechs Jahre jüngere Franz Schubert im gleichen Zeitraum komponiert hat. Zwar erschienen die Werke Franz Xavers bei renommierten Verlagen, fanden ihre Käufer und ihre wohlwollenden Rezensenten. Doch einen „Durchbruch“ im eigentlichen Sinne hat er als Komponist nie erlebt.
Auf seiner großen Kunstreise von 1820/21 lernte ihn das Publikum in Deutschland, der Schweiz, in Österreich und Italien als etwas altmodischen Komponisten und Pianisten kennen, letzteres aber vorwiegend in Werken seines Vaters, die er stets aufs Programm setzte. Hätte er das großzügige Angebot aus Darmstadt angenommen, wir besäßen von ihm ein viel breiteres, für regelmäßige Aufführungen bestimmtes Schaffen. Stattdessen versiegte die Quelle seiner Inspiration im Laufe der 1820er Jahre. Die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens verbrachte Franz Xaver im demütigen Dienst am Vater, als geachteter, aber bescheidener Tonkünstler am Rande der aufgehenden Romantik. Wir hören von ihm das allererste gedruckte Werk, sein Klavierquartett g-Moll, das noch ganz auf den Pfaden des Vaters wandelt.
Franz Xaver Mozart
Klavierquartett g-Moll, op. 1
Das Klavierquartett kam als Opus I von Wolfgang Amadée Mozart fils 1802 im Druck heraus, dem Grafen Fabian von Szaniawsky gewidmet. Es war eine bewusst auffällig angekündigte Talentprobe des erst Zehnjährigen, denn jeden Wiener Musikliebhaber mussten Genre und Tonart an das großartige g-Moll-Klavierquartett des Vaters erinnern, das 1785 die Welt der Wiener Kammermusik aufgewühlt hatte. Das Klavierquartett des Sohnes an diesem Meisterwerk zu messen, wäre ungerecht. Eher schon sollte man auf die Urteile der zeitgenössischen Kritiker verweisen, die der Musik des Mozartsohnes rührenden Ausdruck nachrühmten. „Lieblicher Schmelz der Farben und eine gewisse Innigkeit ist darin unverkennbar“, heißt es in einer Wiener Kritik. Mit dem Formsinn des jungen Komonisten war es dagegen nicht zum besten bestellt: seine Sonatensätze seien „sehr lang gehalten … Alle wollen bedeutend, wollen hie und wieder sogar gearbeitet seyn; das Ganze bleibt aber doch schwach, den Ideen, wie der Ausführung nach.“
Der erste Satz, Allegro vivace, beginnt mit einem pathetischen Streicherthema, das vom Klavier mit einem raumgreifenden Lauf beantwortet wird. Das Vorbild des väterlichen g-Moll-Quartetts und seines klassischen Anfangs ist unüberhörbar. Auch das ostinate Festhalten am pathetischen Hautthema durch den ganzen Satz hindurch und der drängende Gestus des Klavierparts verweisen auf das große, letztlich unerreichbare Vorbild. Franz Xavers eigene, lyrische Begabung tritt im schönen Seitenthema zu Tage.
Auch der Beginn des Adagio ma non troppo lässt aufhorchen: ein weicher Anlauf in Terzen und Sexten in tiefer Lage über pochendem Bass. Am reichen Wechselspiel dieses Satzes ist auch das Cello mit Läufen und kantablen Momenten beteiligt.
Das Variationenthema des Finales steht im freundlichen G-Dur und ist dem Volkston des Wiener Singspiels verpflichtet – ein simples Liedchen. Es wird durch die eingestreuten Pizzicati der Streicher aufgelockert, die auch während der folgenden Variationen erhalten bleiben. Zunächst erhält jeder der vier Spieler sein virtuoses Solo. An sechster Stelle folgt die übliche Mollvariation, ein feierlicher Kanon des Streichtrios. Umso ausgelassener geben sich die letzten drei Variationen: die in Sechzehnteln flirrende Nr. 7, das Menuett der Nr. 8 und die Läufe der Nr. 9, die in eine tänzerische Coda mündet.