Quintett für Streicher a-Moll nach der „Kreutzersonate“, op. 47
(anonyme Bearbeitung von 1832
Werkverzeichnisnummer: 4123
1. Adagio sostenuto – Presto
2. Andante con Variazioni
3. Finale. Presto
2005
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Kreutzersonate für Streichquintett
Bei der K.K.Ober-Polizey-Direktion zu Wien ging am 9. Mai 1803 ein Gesuch des englischen Geigers George Bridgetower ein, „am künftigen Montag in dem allhiesigen K. K. Augarten eine Musikalische Akademie gegen Ertrag von 2 Gulden pro Billet zu seinem Vortheil“ geben zu dürfen. Stargast des Mittagskonzerts um 13 Uhr sollte kein Geringerer als Ludwig van Beethoven sein. Also spielten an einem Maimontag des Jahres 1803 in der großen Allee des „josephinisch blassen Augartens“ (Heimito von Doderer) Bridgetower an der Geige und Beethoven am Pianoforte eine neue Violinsonate des letzteren, die an Ausdehnung und Virtuosität alles bislang Dagewesene in dieser Gattung übertraf. Freilich muss die Premiere eine kuriose Angelegenheit gewesen sein: Bridgetower spielte aus der erst am selben Morgen um 8 Uhr fertig gewordenen Geigenstimme, Beethoven aus einem fragmentarischen Klaviermanuskript, denn zum Ausschreiben des vollständigen Klavierparts hatte die Zeit nicht mehr gereicht. Ob es dies war oder ein anderer Begleitumstand, der die Wiener amüsierte – Carl Czerny jedenfalls berichtet, dass man Musiker und Werk bei der Uraufführung ausgelacht habe! Heute ist Beethovens Sonate ein Nonplusultra des Violinrepertoires.
Bekannt geworden ist sie nicht unter dem Namen Bridgetowers, für den sie geschrieben wurde, sondern unter dem Kreutzers, dem Beethoven sie später widmete. Die beiden Geiger waren junge, aufstrebende Solisten wie Beethoven selbst und verkörperten idealtypisch die beiden Extreme des Virtuosen: der Brite Bridgetower extravagant bis zum Exzess, der Franzose Kreutzer schlicht-natürlich, ohne Aufhebens von sich zu machen.
Der 24-jährige Mulatte Bridgetower, in Diensten des Prince of Wales stehend und für sein „extravagentes Spiel“ berühmt-berüchtigt, besuchte Wien 1803. Schnell war er die Sensation der Wiener Salons. In nur wenigen Tagen hatte er den Parcours der adligen Gönner absolviert, wo man seine „Extravaganz“ geduldig hinnahm, ja schätzte, während das Publikum der Wiener Augarten-Konzerte sie wohl eher degoutant fand. Die Wiener Tage verbrachte Bridgetower oft und gerne in der Gesellschaft Beethovens. Man verabredete sich in eleganten Kaffeehäusern auf dem Graben, schlenderte zur Gräfin Giucciardi und anderen Freunden zum Mittagessen und musizierte zusammen.
Das Konzert Bridgetowers im Augarten verschaffte Beethoven die etwas kurzfristige Gelegenheit zur Vollendung einer Sonate für seinen Freund, was er angeblich in vier Tagen bewerkstelligte. Vielleicht kam es über den unnötigen Zeitdruck zum Zerwürfnis zwischen den beiden, vielleicht auch über eine Wiener Schönheit, die Komponist und Virtuose gleichermaßen anbeteten, wie Bridgetower später behauptete. Jedenfalls widmete Beethoven die Sonate bei ihrer Drucklegung dem Franzosen Rodolphe Kreutzer.
Auch er hatte in Wien schon für Furore gesorgt, gleichsam als kultureller Sympathieträger seines Landes in politisch explosiver Lage. 1798 war er im Gefolge des neuen französischen Gesandten, General Bernadotte, nach Wien gekommen. Nachdem Bernadotte an der französischen Botschaft die Trikolore hatte anbringen lassen, musste die Wiener Polizei den General vor der Lynchjustiz der aufgebrachten Bevölkerung bewahren. Sein Geiger Kreutzer dagegen feierte in Wien wahre Triumphe und trug nicht unwesentlich zur Glättung der frankophoben Stimmung bei. Nach Beethovens Schilderung war Kreutzer das Gegenteil eines exzentrischen Virtuosen vom Schlage Bridgetower: „ein guter lieber Mensch, der mir bei seinem hiesigen Aufenthalt sehr viel Vergnügen gemacht. Seine Anspruchslosigkeit und Natürlichkeit ist mir lieber als alles Extérieur oder Intérieur aller Meister Virtuosen – da die Sonate für einen tüchtigen Geiger geschrieben ist, umso passender die Dedication an ihn.“
Für einen „tüchtigen Geiger geschrieben“ ist ein blanker Euphemismus, erscheint die Sonate doch in ihrer Ausdehnung und Virtuosität wie ein kammermusikalisches Gegenstück zur ebenfalls 1803 vollendeten Eroica. Wie die 3. Symphonie die Grenzen des bislang gültigen Begriffs von Sinfonie sprengte, so übertraf die Kreutzer-Sonaten an Ausdehnung und Anspruch alle früheren Violinsonaten. Sonata … scritta in uno stilo molto concertante quasi come d’un Concerto – „Sonate in einem überaus konzertierenden Stil, fast wie in einem Konzert“ lautet der Originaltitel. Den „überaus konzertanten Stil“ erfand Beethoven ausgehend vom Finale, dem zuerst vollendeten Satz des Werkes.
Diese virtuose Tarantella hatte er ursprünglich für seine Violinsonate op. 30,1 komponiert, dann jedoch, da sie ihm zu den ersten Sätzen nicht zu passen schien, gegen Variationen ausgetauscht. Der nun alleinstehende Satz verlangte nach Vervollständigung in einem ähnlich brillanten Stil, was Beethoven mit den ersten beiden Sätzen der Kreutzersonate gelang.
Unser Arrangement für Streichquintett in der Besetzung mit zwei Geigen, Bratsche und zwei Celli wurde 1832 im Bonner Verlag Simrock publiziert und trägt keinen Bearbeiternamen. Auf geschickte Weise hat der Arrangeur nicht nur die Klavierstimme, sondern auch die virtuose Geigenstimme auf alle fünf Instrumente verteilt. Gedacht ist die Bearbeitung wohl für Kammermusikzirkel, in denen sich kein Pianist vom Schlage Beethovens und kein ebenso „tüchtiger“ Geiger fand wie Bridgetower oder Kreutzer. Die Schwierigkeiten sind unter zehn statt vier Händen aufgeteilt.
Die langsame Einleitung (Adagio sostenuto) des Kopfsatzes wird im Original von der Geige alleine eröffnet. In der Bearbeitung sind deren Akkordgriffe auf die Mittelstimmen verteilt, der Dialog mit dem Klavier zum feierlichen Tuttigesang gesteigert.
Im folgenden Presto überschlagen sich die Ereignisse: Der stürmische Anlauf des a-Moll-Hauptthemas leitet sofort zu einer heroischen Fermate in Dur über. Der stilo molto concertante wird nicht nur durch virtuose Passagen für die erste Geige eingelöst, sondern auch durch eine Fülle wild-bewegter Tremoli, Akkordbrechungen und anderer Affektfiguren, die alle fünf Instrumente untereinander austauschen. In der stürmischen, geradezu orchestralen Entladung dieser Gebärden bildet nur das lyrische Seitenthema eine Insel der Ruhe. Die Schlussgruppe bündelt als eine Art misanthropischer Tanz mit ungarischem Akzent die rhythmische Energie des Satzes.
Der Mittelsatz besteht aus einem F-Dur-Thema mit Variationen, einer der großen, klanglich reich abschattierten Variationensätze Beethovens, in dem die extrem hohen Violinlagen vom Bearbeiter geschickt in einen reichen, pastosen Mittelstimmenklang eingebettet wurden.
Das A-Dur-Finale bezieht seine unbändige Kraft aus dem Tarantella-Rhythmus und aus der engen kontrapunktischen Verflechtung der fünf Instrumente.