Fantaisie, op. 337 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Francesco Carulli

Fantaisie, op. 337

Fantaisie, op. 337

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 4109

Satzbezeichnungen

Cantabile – Largo – Allegretto

Erläuterungen

1996
High Heels – Musik für Flöte und Gitarre

Die Duobesetzung Flöte-Gitarre wurde in den Salons des Biedermeier ebenso goutiert wie in den Vorstadt-Bordellen von Buenos Aires. Die geheime Verbindung zwischen diesen historisch und moralisch so weit auseinenanderliegenden Punkten der Gesellschaft ist wohl in dem geheimen erotischen Zauber zu suchen, der von beiden Instrumenten ausgeht. Ulrich Hartmann, der den Text zu der CD-Aufnahme des heutigen Programms geschrieben hat, ging darin den archaischen Wurzeln dieser Erotik nach und verglich die Stücke des Programms mit einem erotischen Tanz auf wechselndem Parkett:

„Der Hirtengott Pan machte den Ton der Flöte legendär durch seine Fähigkeit, sich die Nymphen mit deren Zauber gefügig zu machen, und das Gitarrenspiel zu zahllosen Ständchen und Schäferstündchen darf mit Fug und Recht als neuzeitliche Variante dieses Verfahrens angesehen werden. Nicht umsonst also treffen sich die beiden Instrumente mit dem verführerischen Klang zum Dialog der Sinnlichkeit. Tim Wheaters High Heels, eines der jüngsten Beispiele dafür, verwandelt das attraktive Bild des Stöckelschuhs direkt in einen musikalischen Schlüsselreiz. Seine vitalen Rhythmen stehen für nervöse Erwartung, die Kapriolen der Flöte für die suggestive Haltung der Dame mit hohem Absatz… Kein Wunder, hat doch kein Geringerer als James Galway dem Komponisten, der selbst ein brillanter Flötist ist, ein geradezu magisches Zeugnis ausgestellt: »Sensationell … fast zu schön für Worte«.

Mit durchaus ähnlichem Raffinement gingen Jacques Ibert und Maurice Ravel vor, zwei Franzosen, die sich spanisches Kolorit mit impressionistischer Farbe aneigneten. Auch in Iberts launigem Entr’acte mit seiner stürmisch drängenden Motorik scheint der Stöckelschuh seine Funken zu schlagen…

Auf klassischem Parkett bietet das Zwiegespräch von Flöte und Gitarre in den geschickten Arrangements von Boris Björn Bagger den Charme hintergründiger Galanterien. Mozarts berühmte Klaviersonate A-Dur KV 331 entwickelt dabei ihren Zauber ganz aus dem grazioso des Themas für die folgenden Variationen, und das Säbelrasseln des alla Turca verwandelt seine hämmernde Virtuosität hier einmal in den delikaten Effekt einer fein gewobenen Spitze. Ferdinando Carulli, der an der Wende zum 19. Jahrhundert maßgeblich zum Ruhm der Gitarre beitrug, lieferte in seiner ähnlich gebauten Fantasie op.337 eine brillant-melodiöse Kostbarkeit von gleichem grazilen Zuschnitt. Obwohl stilistisch weit davon entfernt, ist auch die kleine, aber feine Sonatina semplice op.18 des 1928 geborenen Tschechen Jan Truhlar diesem amüsanten Spielgeist durchaus verwandt, zumal der Zusatz »semplice« nur eine augenzwinkernde Verhüllung ihrer musikalischen Vielfalt darstellt und die Ecksätze mit ihren Untertiteln »con umore« und »scherzoso« auf den inspirierten Witz ihres Schöpfers hinweisen.

Wer sich auf Lepo Sumeras originelles Stück Für Boris Björn Bagger und seinen Freund aus dem Jahr 1988 einläßt, dem weht eine ebenso milde wie mystische Brise Nordwind um die Ohren. Die musikalische Sprache des 1950 geborenen Esten greift bis in archaische Zeiten zurück, verknüpft den beschwörenden Klang alter Schamanen mit den knappen Formeln des Minimalismus zum ganz persönlichen Ton. Dessen mitunter kühle Leidenschaft tut sich förmlich als faszinierende Gegenwelt zur Sinnenglut des Südens auf und ist darum nicht minder faszinierend. Sumera war von 1988 bis 1992 Estlands Kulturminister und hat nun eine Professur für Komposition an der Musikhochschule von Tallinn inne. Für mehrere Filmmusiken wurde er in Cannes mit Preisen ausgezeichnet. Sein Werk umfaßt u.a. vier Sinfonien, die bald auf CD erscheinen werden.

Keineswegs der letzte in diesem Bund der kapriziösen Zwiegespräche ist Klaus Arp, ebenfalls 1950 geboren, Pianist, Komponist, Chefdirigent des Südwestfunk-Orchesters und Professor für Dirigieren an der Musikhochschule Mannheim, bewandert in allen Sparten von der Klassik bis zum Jazz. Der Titel seines Stücks A chacun son arabesque, äußerst frei etwa zu übersetzen mit Jedem nach seiner Laune, faßt die Kurzweil dieser Aufnahme wie in einem Motto zusammen. Auf dem Gerüst der Chaconne aufgebaut, ist es zugleich eine virtuose Hommage an Claude Debussy und Johann Sebastian Bach, eine launige Symbiose vonfeinem Filigran und spielerischem Kontrapunkt.“

Bleibt nur zu ergänzen, daß die drei Ricercari des spanischen Renaissancemeisters Diego Ortiz einen eher strengen Auftakt zum Programm setzen, daß in Francois Couperins Cembalostück Le rossignol en amour sogar die Nachtigall ins erotische Bild gezogen wird (die Flötenfassung ist authentisch), und daß Klaus Arp natürlich auch künstlerischer Leiter der Villa Musica ist. (kb)