Sechs Gesänge, op. 13
Werkverzeichnisnummer: 4053
Die drei Schwestern
Und kehrt er einst heim
2014
In der Odeongasse im II. Wiener Bezirk wurde 1871 Alexander von Zemlinszky geboren – noch mit einem sz im Nachnamen, der erst später sozusagen „eingedeutscht“ wurde. Sein Vater war Sekretär der türkisch-israelitischen Kultusgemeinde, während die Mutter aus einer teils jüdischen, teils muslimischen Familie in Sarajewo stammte. Im Milieu der sephardischen Juden, das jenen Wiener Bezirk damals prägte, wuchs der kleine Alexander heran. Keiner hätte damals ahnen können, dass er einmal zu größten Dirigenten seiner Zeit und als Komponist zu den Vätern der Wiener Schule gehören würde. Bei den Gebrüdern Fuchs (Robert und Johann Nepomuk) holte sich der Musterschüler am Wiener Konservatorium das Rüstzeug zum Komponieren nach traditionell Wiener Maßstäben. „Sieht überall Talent heraus“, meinte kurz und bündig Johannes Brahms, nachdem er die ersten Werke des Fuchs-Schülers studiert hatte, darunter die Ländlichen Tänze für Klavier Opus 1. 1896 wurde das Klarinettentrio Opus 3 mit dem 3. Preis beim Wettbewerb des Tonkünstlervereins ausgezeichnet. Prompt empfahl es Brahms seinem Verleger Simrock zur Drucklegung. Damit begann Zemlinskys Komponistenkarriere.
Befreundet mit Hofmannsthal und Korngold, Mahler und Schreker stand er alsbald im Zentrum des Wiener Musiklebens der Jahrhundertwende – als Komponist wie als Dirigent. Schönberg bewunderte an ihm die „natürliche, ungezwungene, selbstverständliche Größe“, und Strawinsky meinte später: „Von allen Dirigenten, die ich gehört habe, würde ich Alexander von Zemlinsky als den überragenden Dirigenten wählen.“ Weniger begeistert war anfangs Alma Schindler, als „femme fatale“ bald Mittelpunkt der Wiener Künstlerkreise. Sie nannte Zemlinsky 1900 „das komischste, was es gibt, .. eine Caricatur, kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen“. Dennoch nahm sie bei ihm Unterricht und ließ sich 1901 auf eine heftige Affäre mit ihm ein – bevor Gustav Mahler kam und den Freund verdrängte.
Ein Jahrzehnt nach dieser Zeit stürmischer Jugendlieben komponierte Zemlinsky seine Sechs Gesänge nach Gedichten von Maurice Maeterlinck. Sie entstanden ab 1910 und wurden nach der Vollendung 1913 als sein Opus 13 gedruckt. Erst ein weiteres Jahrzehnt später, 1924, hat er sie orchestriert und dabei mit neuen Vor- und Zwischenspielen versehen. Wer die Lieder in dieser üppigen Klangpracht kennt – wunderbar eingespielt etwa von Anne Sofie von Otter und John Eliot Gardiner –, der wird sie als Nachhall von Mahlers großen Orchesterliedern erleben. Der für Mahlers so charakteristische Gegensatz zwischen schlichter, volkstümlicher Melodik und ständig wechselnden Gegenstimmen findet sich auch bei Zemlinsky, besonders in den letzten beiden Liedern: Und kehrt er einst heim hebt mit einer traurigen a-Moll-Melodie an. In diese Melodie werden die insistierenden Fragen der Schwester gekleidet, die ihrem heimkehrenden Schwager bald wird erklären müssen, was mit seiner Frau geschehen ist. Die Sterbenskranke antwortet darauf in tröstlichen, zum Schluss ekstatischen Linien. Der Schlussgesang hebt mit einer ruhig schwingenden D-Dur-Melodie an, fast wie aus dem Kopfsatz von Mahlers Neunter Sinfonie entnommen. Darauf antwortet der Mezzosopran mit einer wundervoll kreisenden Melodie – Symbol für den stillen, wortlosen Abschied der Königin, die das Schloss verlässt, um mit der Jungfrau des Todes von dannen zu ziehen.
Wie diese beiden Lieder sind auch die ersten vier symbolistisch aufgeladene Todesgesänge: Drei Schwestern ziehen aus, um den Tod zu suchen – erst im Wald, dann am Meer, schließlich in der Stadt, wo sie ihn finden. Mädchen mit verbundenen Augen verlassen das behütete Schloss, um „ihr Schicksal“ zu finden. Die Einwürfe des Erzählers („Tut ab die goldenen Binden! … Lasst an die goldenen Binden!“) sind typisch für Maeterlincks Stil. Als huldreiche Fürsprecherin aller „weinenden Seelen“ spricht die Jungfrau Maria im dritten Lied zu den totgeweihten Liebenden. Ein solcher ist auch der junge Mann, der im vierten Lied von seiner Liebsten scheiden muss. Zieht er in den Krieg? Als er zurückkehrt, hat sie einen anderen, und der Tod erwartet ihn schon.
In der Urfassung mit Klavier von 1913 wirken all diese Todesvisionen weniger überbordend und überschwänglich als in der späteren Orchesterfassung, vielmehr direkt, knapp und erstaunlich modern. Bald sollte sich der Tod auch in vielen Wiener Familien mit unbarmherziger Härte als nackte, kalte Realität einstellen.
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1999
A. VON ZEMLINSKY Lieder aus op. 13
Die Lieder von Zemlinsky, dem Schwager, zeitweiligen Lehrer und Mitstreiter Schönbergs, fanden erst in den letzten Jahren wieder stärkere Beachtung. In älteren Liedführern sind sie noch nicht berücksichtigt. Die Sechs Gesänge, op. 13, nach Gedichten von Maeterlinck entstanden 1910-13 und wurden vom Komponisten selbst später orchestriert.