Quintett für Bläser Nr. 2 Es-Dur
Werkverzeichnisnummer: 4036
1. Allegro
2. Andante con moto
3. Menuetto. Allegro assai
4. Allegretto
In seinen Wiener Jugendjahren an der Seite Franz Schuberts hat Franz Lachner zwei Bläserquintette geschrieben. Beide wurden durch ein stehendes Quintettensemble in der Donaumetropole inspiriert, das „Harmonie-Quintett“, das sich zusammengefunden hatte, um die Pariser Quintette Anton Reichas spielen zu können. Lachner folgte in seinen beiden „Quintetten für Blasinstrumente“ der von Reicha etablierten klassischen Besetzung aus Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott.
Auch ohne das Kompositionsjahr 1827 zu kennen, ist es diesem Werk anzuhören, dass es in Wien im Umkreis Franz Schuberts entstand. Man findet darin die gleichen Modulationen, die gleichen harmonischen Veränderungen der Themen wie in Schuberts reifen Werken . Ganz ähnlich sind auch die Formen der vier Sätze und die Themen angelegt, die gleichsam auf Schubertische Modelle zurückgreifen. Dies alles ist kein Zufall, sondern hängt mit der besonders engen Künstlerfreunschaft der beiden Komponisten zusammen.
Der Bayer Lachner hatte 1823 als Organist der lutherischen Kirche in Wien Aufnahme gefunden und sich rasch mit dem sechs Jahre älteren Schubert angefreundet. In dessen letzten Lebensjahren war er Schuberts ständiger Begleiter. Lachner stellte sein Gartenhaus auf der Wiener Landstraße wiederholt für die (nicht-öffentlichen) Uraufführungen Schubertscher Kammermusikwerke zur Verfügung, so etwa des d-Moll-Quartetts „Der Tod und das Mädchen“ und des Oktetts. Die Freunde tauschten „Arbeiten im Entwurfe aus“, um sie gegenseitig zu begutachten. Sie berieten sich insbesondere über Fragen der Instrumentalmusik, während sich die meisten anderen Freunde Schuberts weit mehr für seine Lieder interessierten.
Spuren ihres Diskurses finden sich in allen Instrumentalstücken, die Lachner unter Schuberts Einfluss in Wien komponiert hat. In seinem Es-Dur-Quintett unternahm er den durchaus gewagten Versuch, die Kompositionstechnik Schuberts auf das Medium des Bläserquintetts zu übertragen, das erst wenige Jahre vorher von Reicha in Paris „erfunden“ worden war. Wie schwer ihm dieser Versuch fiel, verrät das mit Korrekturen übersähte Autograph des Quintetts in der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Der holländische Flötist Frans Vester, der diese Handschrift untersuchte, konnte sich angesichts der schwer zu entziffernden Lesarten erst nach langem Zögern 1984 zur Herausgabe des Quintetts entschließen. Er hat damit – trotz einiger Unwägbarkeiten des Notentextes – dem Konzertleben eines der schönsten romantischen Bläserquintette wieder zugänglich gemacht.
Der erste Satz, Allegro, wird von den markanten Oktaven des Beginns beherrscht. Sie durchziehen wie ein Motto die verschiedenen Teile des Sonatensatzes, in dem weit ausgesponnene kantable Themen mit virtuosen Passagen für Klarinette und Flöte abwechseln. Die liedhafte Gestik Schuberts, seine Wanderer-Thematik und Rufmotive finden sich ebenso wie gewagte chromatische Modulationen und Schubertsche Dur-Moll-Wechsel.
Den langsamen Satz, ein Andante con moto in As-Dur, eröffnet die Oboe mit einer klagenden Melodie, die an den Beginn des Andantes aus der „Großen C-Dur-Sinfonie“ erinnert. Die Seitenthemen moduldieren bis ins weit entfernte H-Dur. Das Menuett setzt mit seinen Trillen und akzentuierten Achtelnoten Widerhaken im Tanzrhythmus, und auch das Finale konterkariert den üblicen Kehraus durch nervöse Synkopenbewegung im Perpetuum mobile des Sechsachteltakts. Unwillkürlich wird man an Sätze aus Schuberts Oktett und d-Moll-Quartett erinnert, ohne dass Lachner deren Niveau erreicht hätte. Doch allein schon die ausgedehnte und anspruchsvolle Sonatenform des Finales beweist, wie sehr er sich selbst in der Bläserkammermusik am hohen Ideal Beethovens und Schuberts orientierte.