Titelmelodie aus Once upon a time in the West / Spiel mir das Lied vom Tod (1969)
Werkverzeichnisnummer: 3994
2000
ENNIO MORRICONE Spiel mir… (1969), Sestetto (1955)
Spiel mir das Lied vom Tod, die Titelmelodie des Western-Klassikers von Sergio Leone aus dem Jahre 1969, steht nicht zufällig am Anfang unseres Programms. In ihrem neobarocken Pathos, gepaart mit dem treffsicheren Instinkt für den Zeitgeist der späten 60-er Jahre, ist sie ein typischer Morricone, die Visitenkarte eines Komponisten, der von den frühen 60-ern bis zu Filmen wie Mission (1986) oder The Untouchables (1988) dem Kino einige seiner unvergesslichen Melodien schenkte.
Als der kleine Ennio 1938 mit zehn Jahren ans Conservatorio di S. Cecilia seiner Heimatstadt Rom ging, um Trompete zu lernen, lag all dies noch in weiter Ferne, eine Solistenkarriere eher im Bereich des Möglichen. Doch einige Jahre später, in der unruhigen Nachkriegszeit, verdiente man sich sein Geld mit jeder Art von Musik: Morricone spielte für die Amerikaner in römischen Hotels als Trompeter auf, begann mit Arrangements fürs Radio und absolvierte mit glänzendem Erfolg sein Kompositionsstudium bei Goffredo Petrassi. 1958 ging er zu den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik, ins Mekka der Avantgardisten Luigi Nono und John Cage, die ihn leicht zur “Neuen Musik” hätten bekehren können, wenn nicht das Kino gelockt hätte. Nach der ersten Filmpartitur unter eigenem Namen 1961 (er hatte zuvor als Ghost writer gearbeitet) wurde Morricone von der Erfolgswelle des italienischen Films mitgerissen. Sein Klassenkamerad Sergio Leone ließ sich von ihm den Sound zu seinen Italo-Western erfinden, die Repräsentanten des progressiven “Cinema” wie Bertolucci oder Passolini griffen ebenfalls auf den agilen Komponisten und versierten Arrangeur zurück. 20 Filmpartituren pro Jahr waren die Regel, und auch Erfolge in Hollywood ließen nicht lange auf sich warten, obwohl er einen Oscar für die beste Filmmusik kurioserweise nie gewann. Einen Überblick über seine Filmpartituren findet man im Internet unter www.morricone.de.
Uns interessiert, wie gesagt, der “andere” Morricone, der Petrassi-Schüler der Frühzeit, wie ihn das Sestetto für Flöte, Oboe, Fagott und Streichtrio zeigt. Etwas erstaunt war Maestro Morricone schon, als wir ihn in seiner römischen Wohnung anriefen und ausgerechnet um die Noten dieses Stücks baten. “Wie, mein Sextett? Aber das ist doch ein Jugendwerk? Das hat ja keinen mehr interessiert, seit Jahrzehnten.” In der Tat gab es außer der Uraufführung in Rom 1955 und einer Schallplatteneinspielung 1985 kaum Aufführungen dieses Stückes. Wir sind dem Komponisten zu Dank verpflichtet, dass er uns Partitur und Stimmen zusandte, denn im Handel erhältlich sind sie nicht, wie so viele Noten seines 72 Nummern umfassenden Werkkatalogs im klassischen Sektor, den Sergio Miceli 1994 publizierte.
Das Sestetto, Nummer 5 der Werkliste, hat drei Sätze. Das einleitende Allegro zeigt über nervösen Sechzehntelfiguren der Streicher ein erhebliches Maß an Bläserkontrapunkt und rhythmischer Komplikation. Von der Eingängigkeit der Filmthemen Morricones ist man hier noch weit entfernt. Stattdessen hört man ein freies, dissonantes Spiel der Stimmen auf der Höhe der 50-er Jahre. Zu Beginn des Adagio-Mittelsatzes wechseln expressive Bläsersoli und Terzklänge der Streicher einander ab, dann wird die Streicher-Klangfläche rhythmisch belebt und auf dramatische Ausbrüche hin verdichtet. Der Schluss verklingt wie im ersten Satz im Pianissimo. Der Presto-Finalsatz stellt wieder die drei Bläser und die drei Streicher registerartig einander gegenüber. Die rastlose rhythmische Bewegung wird von Triolen bestimmt.