Concert D-Dur für Violine, Klavier und Streichquartett, op. 21
Werkverzeichnisnummer: 3973
1. Décidé – Calme – Animé
2. Sicilienne. Pas vite
3. Grave
4. Très animé
2000
ERNEST CHAUSSON
Concert für Violine
22 Jahre jünger als Brahms, gehörte der geborene Pariser Ernest Chausson zu jener Generation junger Komponisten, die nach dem Zusammenbruch von 1871 dem französischen Musikleben eine neue Richtung geben wollten, indem sie Instrumentalwerke komponierten und zur Aufführung brachten, auch und gerade Kammermusik. Camille Saint-Saëns hatte mit der Gründung der Société Nationale de Musique dieser Richtung ein anfangs belächeltes, später immer breiter akzeptiertes Forum verschafft, auf dem er und sein Antipode César Franck jungen Komponisten eine Chance gaben. Auf diese Weise wurden fast alle großen Namen des französischen Fin de siècle in der Société “entdeckt”, viele von ihnen mit Kammermusik.
Obwohl Chausson 1886 Sekretär der Société wurde, hatte er nicht von Beginn an zu diesem Kreis gehört. Sein Vater hatte den für Musik, Malerei und Dichtung gleichermaßen begabten Ernest zu einem Jura-Studium gezwungen, das dieser erst aufgab, nachdem er in den Bann von César Franck und Massenet geraten war.
Einen noch stärkeren Einfluss übte Wagner auf, dessen Musik er in Bayreuth zwischen 1880 und 1889 kennenlernte. Seitdem gehörte Chausson, wie sein Freund d’Indy, zum Kreis der Pariser Wagnerianer, was ihn freilich nicht daran hinderte, in seiner Kammermusik auch den zarteren Tönen eines Fauré Gehör zu schenken. Auch die Maler Monet und Puvis de Chavanne zählten zu seinem Freundeskreis, was auf eine ästhetische Verwandtschaft zum Impressionismus hindeuten mag.
Das Concert für Violine, Streichquartett und Klavier ist Chaussons bedeutendstes Kammermusikstück, uraufgeführt im März 1892 in Brüssel, doch erst bei der Pariser Premiere in der Société ein paar Monate später ein aufsehenerregender Erfolg. Die Kritik rühmte es als eine der bedeutendsten Kammermusik-Neuheiten der Epoche. Dies dürfte einerseits der originellen Besetzung, andererseits der Kunst des Geigers Eugène Ysaye zu danken gewesen sein, für den Chausson den Solopart geschrieben hatte. Für die Idee eines kammermusikalischen Violinkonzerts, in dem der Solopart nicht von einem Orchester, sondern von einem Klavierquintett begleitet wird, hatte Chausson letztlich zwei Vorbilder: die französischen “Concerts” des 18. Jahrhunderts, Kammermusikstücke, in denen die Instrumente in dezenter, nicht romantisch-virtuoser Weise solistisch hervortreten, sowie das Klavierquintett seines Lehrers Franck. Dieses ausladenste französische Kammermusikwerk der Epoche mit seiner Chromatik, der klanglichen Opulenz und der breiten Anlage stand vor allem für die Ecksätze von Chaussons Concert Pate. Im sehr umfangreichen ersten Satz wird das kraftvolle Hauptthema fast wie die Idée fixe bei Berlioz behandelt, im Finale herrschen tänzerische Bewegung und Wagner-nahe Chromatik.
Die Mittelsätze dagegen scheinen in ihrer Grazie eher dem 18. Jahrhundert verwandt zu sein. Der zweite Satz spielt durch seinen Titel Sicilienne auf den Siciliano-Rhythmus der Barockzeit an, der hier in ein schwebend-graziles Intermezzo umgedeutet ist. Der langsame Satz ist ein großer Klagegesang der Solovioline über einem unausgesetzt voranschreitenden chromatischen Motiv des Klaviers, das später auch die Quartettstreicher aufgreifen. (kb)
DIE DOZENTEN