Thema mit Variationen Es-Dur (“Geistervariationen”)
Werkverzeichnisnummer: 3950
Thema. Moderato
Var. I (ohne Bezeichnung)
Var. II In Cononform
Var. III Pocp più mosso
Var IV (ohne Bezeichnung)
Var V (ohne Bezeichnung)
2000
ROBERT SCHUMANN
Thema und Variationen Es-Dur
Im Falle von Schumanns sog. “Geistervariationen” kann strenggenommen von “Alters-” oder “Spätwerk” kaum die Rede sein, hat der Komponist sie doch im Alter von 43 komponiert. Es war jedoch sein letztes Werk vor der Einweisung in die Nervenklinik Endenich bei Bonn, sozusagen die letzte Blüte einer Werkgruppe aus den Jahren 1853/54, die man “Spätwerke” genannt hat, weil sie einen deutlich anderen Stil zeigen als seine früheren Stücke. Noch Jahrzehnte nach Schumanns Tod glaubte man in diesem Stilwandel ein Nachlassen der schöpferischen Kräfte diagnostizieren zu können. Dieser “Befund” führte teilweise sogar zu einem bewussten Unterdrücken der Musik.
So galt auch Schumanns letztes Klavierwerk, eben das Es-Dur-Thema mit Variationen, als seiner nicht würdig. Johannes Brahms, der die Herausgabe für die Gesamtausgabe zu besorgen hatte, veröffentlichte nur das Thema, während er die Variationen unterdrückte. Brahms selbst schrieb über jenen “letzten musikalischen Gedanken Schumanns” Variationen für Klavier zu vier Händen, Opus 23, die sehr wohl gedruckt und verbreitet wurden, während Schumanns eigene Verarbeitungen lange Zeit so gut wie unbekannt blieben.
Den Beinamen “Geistervariationen” verdankt der Zyklus seiner Entstehungsgeschichte. In den letzten Wochen vor seinem Selbstmordversuch am Rosenmontag 1854 litt Schumann zunehmend unter Gehörhalluzinationen. Sie steigerten sich zwischen dem 10. und 17. Februar 1854 bis zum Hören ganzer Musikstücke, was seine Tagebuchaufzeichnungen widerspiegeln: “Abends sehr starke und peinliche Gehöraffektion” (10.2.), “Noch schlimmer, aber auch wunderbar” (12.2.), “wunderbare Leiden” (13.2.), “Gegen Abend sehr stark (wunderschöne Musik)” (14.2.). In der Nacht vom 17. Februar verdichtete sich diese “wunderschöne Musik” zu einem Thema, von dem Robert behauptete, die Engel hätten es ihm vorgesungen; nach den Aufzeichnungen Ruppert Beckers sei es sogar Franz Schubert selbst gewesen, der ihm das Thema aus dem Jenseits diktiert habe: das Thema der “Geistervariationen”.
Es zeigt auffallende Ähnlichkeit mit dem Thema des zweiten Satzes von Schumanns Violinkonzert, ist also nicht eine “von Geisterhand” erhaltene Eingebung. Die Variationen sind mit Schumanns Wort “wunderbare Leiden” am treffendsten umschrieben. Der Ton still-duldender Resignation, den man aus dem Thema heraushören kann, wird hier Stufe um Stufe verdichtet: erst durch eine sanfte Triolenbewegung in der Mittelstimme, dann durch einen Oktavkanon zwischen Oberstimme und Bass, in der “etwas bewegteren” dritten Variation schließlich durch einen Choral in der linken Hand, den ein arabesker Kontrapunkt in der rechten auflockert. Die vorletzte Variation steht in g-Moll, die letzte scheint in ihren ätherischen Dreiklangsbrechungen jene Engelsmusik zu beschwören, die Schumann zu hören glaubte.