Suite aus Balletti a 5 (1666)
Werkverzeichnisnummer: 3938
Der Fürstbischof von Olmütz, Karl von Liechtenstein-Kastelkorn, war ein Barockpotentat auf der Höhe seiner Zeit, wovon noch heute sein riesiges Residenzschloss in Kremsier lebhaftes Zeugnis ablegt. 1664 trat ein 25-jähriger Trompeter in die Dienste des Bischofs, der gerade seine Ausbildung am Wiener Kaiserhof abgeschlossen hatte: Pavel Vejvanovsky.
Das mährische Landeskind aus musikalischer Familie hatte sich ebenso konsequent zum soliden Compositeur wie zum virtuosen Trompeter entwickelt. Letzteres war zweifellos der beschwerlichere Weg. Denn damit die hohe Kunst des Blasens auf den hohen Trompeten, den Clarinen, nicht etwa in ungelernte Hände fiele, hatten die deutschen Trompeter vom Kaiser ein Privileg erwirkt. Er erklärte sie zu „gelernten Trompetern“ im Gegensatz zu den „ungelernten“. Zu den Aufnahme-Bedingungen in ihre zunftmäßige Einrichtung gehörte nicht nur eine Lehrzeit, sondern auch eine eigenwillige Meisterprüfung. Nach abgelegtem Probespiel wurde der neue Mitzünftige durch einen Backenstreich wehrhaft gemacht. „Dieses Aufdingen und Lossprechen“ durfte nur von „einem solchen gelernten Trompeter vorgenommen werden, der bey der Armee einige Feldzüge mitgemacht hatte“. Es herrschten raue Sitten in der alten Trompeterzunft.
Vejvanovsky ist dieser letzten harten Prüfung wohl ausgewichen und hat auch keineswegs „bey der Armee einige Feldzüge mitgemacht“. Dennoch nannte er sich zeitlebens (unberechtigterweise) „Feldtrompeter“ (tubicen campestris). Statt im Felde seine Kunst zu bewähren, tat er dies zu Kremsier in der Kirche und an der Tafel, „tam aris, quam aulis serviens“, wie es sein Kollege Biber später nannte: „ebenso an den Altären wie in den Hallen dienend“. Neben den schmetternden Kirchentönen zur Ehre Gottes war das „Auffwarten“ bei der Tafel die vornehmste Aufgabe der Hoftrompeter. Sonaten und Canzonen spielten sie zur Steigerung des Gaumenkitzels während des Essens oder zur Förderung der Peristaltik danach und kündeten damit vom fürstlichen Glanz. Der Charakter dieser Musik ist festlich, üppig, überraschend im schnellen Wechsel der kurzen Sätze – ganz so, wie die Speisen auf dem Tisch wechselten, und ebenso prachtvoll angerichtet. Mit seinen durchweg kurzatmigen, in der Harmonik noch den Kirchentönen verhafteten Sonaten erfüllte Vejvanovsky diese Aufgabe zur vollen Zufriedenheit seines Fürsten, der ihn unter den 89 Höflingen zu Kremsier an die vierte Stelle der Gehaltsliste setzte – dorthin, wo für gewöhnlich nur der Hofkapellmeister seinen Platz hatte.
Ein weitaus bekannterer Kollege des Mähren war für die Tanzmusik bei Hofe zuständig: HEINRICH IGNAZ FRANZ BIBER. Im Fasching füllten sich die Hallen des mährischen Versailles mit Tänzern, die sich die Musik zu ihrem Vergnügen aus Wien kommen ließen. Regelmäßig verlangte der Fürst nach Abschriften der Ballette aus den großen Wiener Hofopern und anderer Tanzmusik vom Kaiserhof, nach „allerhand schönen Arien zum Tanzen, deren man sich insonderheit in der Fasching gebraucht“. Nachdem sich aber die Verhandlungen mit dem eitlen Wiener Hofkomponisten Schmelzer allzu sehr in die Länge zogen, beauftragte der Fürstbischof kurzerhand einen Geiger und Kammerdiener in eigenen Diensten: Biber. Fortan bis ins Jahr 1671 erfreute er seinen Dienstherrn mit „schönen Arien zum Tanzen“, die er ins Gewand musikalischer Genremalerei kleidete. Bibers Erfindungsgabe dokumentiert sich bis heute am eindrucksvollsten in seinen Kremsierer Genrestücken „Battaglia“ und „Pauern-Kirchfahrth“. Darin fing der Sohn eines gräflich-liechtensteinischen Jägermeisters aus Wartenberg in Böhmen so Manches ein, was er in seiner Jugend dem einfachen Volk – den Bauern und der Soltadeska – hatte ablauschen können.
Mit Bibers zweiter Karriere an den Ufern der Salzach betreten wir die üppige Hofhaltung ZU SALZBURG. In Diensten der Salzburger Erzbischöfe stieg der böhmische Jägersohn und Olmützer Geiger selbst in Adelsränge auf und entfernte sich peu à peu von den Niederungen des einfachen Volks. Auch in Salzburg zunächst als Kammerdiener angestellt, wurde er nach sieben Jahren zum Vizekapellmeister, 1684 schließlich zum Hofkapellmeister ernannt. Fortan überschütteten ihn die hohen Herren der Zeit mit Gnadenbeweisen, bezahlten ihm höchste Gehälter und gewährten ihm seltene Ehren. Kaiser Leopold I. verlieh ihm 1690 das Adelspatent – mit Zuerkennung von vier fiktiven adligen Ahnen. Fortan wurde sein Name kompliziert – Heinrich Ignaz Franz Biber von Bibern -, und seine Musik immer kunstvoller und edler.
In den ersten Salzburger Jahren hat Biber seinen Rang als der „Corelli Österreichs“ in etlichen Zyklen von Instrumentalmusik untermauert, und zwar nicht nur solchen für Geigen und Bratschen wie „Mensa sonora“ oder „Harmonia artificioso-ariosa“, sondern auch solchen mit Trompeten: „Trombet- und musikalischer Taffeldienst“ nannte er das erste dieser Stücke, „Sonaten zum Dienst an Altar und Tafel„ („Sonatae, tam aris, quam aulis servientes“) einen ganzen Zyklus solcher Trompeten-strotzenden Tafelmusik, die beweist, wie zeremoniös es auch an der Tafel des Erzbischofs Max Gandolf von Kuenburg in der Salzburger Residenz zuging.
Wie schon erwähnt, gab es zwischen Kremsier, Salzburg und dem Wiener Kaiserhof einen regen Austausch von Musik und Musikern. Um Biber rissen sich viele, allen voran Kaiser Leopold I. der zweifellos musikalischste Habsburger. Als er 1658 noch blutjung den Kaiserthron bestieg, begann für die Hofmusik in Wien eine Glanzzeit, die alle früheren überstrahlte. Der Kaiser liebte die Musik – und er liebte seine Musiker. Mehr als einmal brach er aus dem Korsett des Hofmusik-Reglements, sozusagen aus den eigenen „Dienstvorschriften“, aus, um Musiker zu befördern, die er ganz persönlich schätzte. So war der musikalische Vertraute des jungen Kaisers ein Bäckersohn aus Niederösterreich: JOHANN HEINRICH SCHMELZER.
Der fraglos beste österreichische Geiger seiner Generation war der erste, der die herrlichen Violinen des Tiroler Geigenbauers Jacobus Stainer klanglich und technisch zu ihrer vollen Entfaltung brachte. Mit ihm beginnt die österreichische Schule des Violinspiels. Erst 1649 wurde Schmelzer offiziell zum Geiger an der Wiener Hofkapelle ernannt, nachdem er bei Hof bereits 15 Jahre gedient hatte. Eine beispiellose Karriere folgte: Ernennung zum Vizekapellmeister 1671, Erhebung in den Adelsstand 1673, Aufstieg zum Hofkapellmeister 1679. Die Pest, der Schmelzer 1680 eigentlich entfliehen wollte, indem er nach Prag flüchtete, setzte seiner Laufbahn dort ein allzu frühes Ende.
Leopold I. schätzte an seinem Hofkomponisten und Kapellmeister nicht nur den Verfasser praller Ballettmusiken und fantastisch-freier Violinsonaten. Er ließ sich von ihm auch seine eigenen Werke verbessern, was er ihm mit Goldketten und Sonderhonoraren vergütete. Schmelzer revanchierte sich auf seine Art: mit hinreißenden Porträts des standesgemäßen Lebens bei Hofe wie der „Fechtschul“, in der die Fecht- und Reitübungen junger Adliger durch den Kakao gezogen werden. Weniger klangmalerisch als allegorisch sind die Sonaten des „Sacro-Profanus Concentus musicus“ angelegt. In der Widmungsvorrede beschrieb Schmelzer den für den österreichischen Barock typischen geistlich-weltlichen Doppelsinn der Sonate: „Die Musik ist eine Lust für Götter und Menschen, eine Übung der Frömmigkeit und Sinnbild der menschlichen Tugenden, und ganz besonders ist dieses geistlich-weltliche Musikwerk so zusammengestellt, dass es ebenso frommer Verehrung der Himmlischen als ehrbarer Lust der Menschen, ebenso Übung der Frömmigkeit in der Kirche als Erholung des menschlichen Geistes außerhalb ihrer dienen kann.“
Am Wiener Hof kam Schmelzer auch mit der Musik seiner Venezianischen Zeitgenossen in Berührung. Unter den Werken der älteren Komponisten aus der Monteverdizeit blieben besonders die Werke von Tarquinio Merula noch lange populär. Die skandalträchtige Spur seines durchaus nicht sittenreinen Lebenswandels zieht sich von Bergamo nach Cremona nachverfolgen, zwei Städte, die heute in der Lombardei liegen, aber damals zur venezianischen Terraferma gehörten. An Santa Maria Maggiore in Bergamo, wo noch heute die großen Sängeremporen an die aufwendige Kirchenmusik jener Epoche erinnern, erklangen seine Sonaten, auf zwei Violinen und Basso continuo gespielt, hoch expressive Stücke im Stil der Monteverdizeit. Das populärste Stück dieser Serie ist die Ciaccona. Sie zeigt das berühmte Bassthema dieses aus Südamerika über Spanien nach Italien gelangten Tanzes noch in seiner ursprünglichen lebensfrohen Form.
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Als die Komponisten des österreichischen Barock ihre glanzvollen Festmusiken für Trompeten, Streicher und Basso continuo schrieben, war die Klarinette noch nicht erfunden, geschweige denn das Saxophon. Erstere wurde bekanntlich von dem Nürnberger Instrumentenbauer Jacob Denner in den ersten Jahren des 18. Jahrhunderts entwickelt (wobei ihr Name „Clarinette“ allerdings von der hohen Barocktrompete, der „Clarine“, abgeleitet war). Noch einmal 140 Jahre später, 1846, erwarb der Belgier Adolphe Sax für das nach ihm benannte Instrument ein erstes Patent. Unser Konzert beruht also auf einem reizvollen Anachronismus, indem es Naturtrompeten, Barockgeigen und Laute mit der Klappenmechanik auf den Lieblingsinstrumenten der Klezmorim zusammenführt.
Der Klezmer, einst die weltliche Musik der osteuropäischen Juden, hat sich im modernen Musikleben zu einer ähnlich ausdrucksstarken und vielgestaltigen Kunst entwickelt wie im 17. Jahrhundert die Sonaten und Canzonen der Hoftrompeter und Geiger, die ihre Musik ähnlich lustvoll und prall ausgeziert darboten wie ihre durchaus unhöfischen modernen Nachfahren.
Dem Gotteslob haben sich beide Musikergruppen verschrieben: Die „Pietas austriaca“, die sprichwörtliche Frömmigkeit der Herrscher im österreichischen Barock, legte der Kunst ihrer Hofmusiker von vornherein einen entweder tief religiösen oder hoch allegorischen Sinn bei. Klezmer ist – bei aller weltlichen Freude über eine Hochzeit und ähnliche familiäre Anlässe – immer eine Musik der Freude in und vor Gott gewesen. Insofern ist der Osterruf „Halleluja“ ein passendes Motto für dieses Konzert. Dies auch deshalb, weil sich am Ende des Programms beide Musikergruppen zu einer Improvisation über das berühmteste Halleluja zusammenfinden: den Chorsatz, mit dem Georg Friedrich Händel den zweiten Teil seines Oratoriums „Messiah“ enden lässt.