Trio Nr.3 c-Moll für Klavier, Violine und Violoncello, op. 101
Werkverzeichnisnummer: 394
Violine
Violoncello
Klavier
1. Allegro energico
2. Presto assai
3. Andante grazioso
4. Finale. Allegro molto
2019
JOHANNES BRAHMS ließ sich 1866 endgültig in Wien nieder und eröffnete damit das entscheidende Kapitel der Spätromantik in der K. und K. Metropole. Eingefleischter Junggeselle, „Zugereister“ und ein durch und durch eigenwilliger Charakter wie vor ihm Beethoven blieb auch der Hanseate Brahms in Wien zeitlebens ein „dezidiert Fremder“, wie der Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer die Norddeutschen nannte, die es an die Donau verschlagen hatte. Dennoch oder gerade deshalb wurden seine Werke im Laufe der Jahre immer tiefer vom Wiener Ton durchtränkt.
In dem Mitte der 1880er-Jahre einsetzenden Spätwerk nehmen die Hommagen an seine Wahlheimat zu: die Intermezzi im Dreivierteltakt, die mal unverhohlene Huldigungen an den Walzerkönig, mal alpin-urwüchsige Ländler sind; die vitalen Csárdas-Rhythmen und die Sehnsuchtsthemen „all’hongroise“, aber auch die betont gemütlichen, bürgerlich-grundeinfachen Volkslieder. Sich so volkstümlich und jovial zu geben, war die Kehrseite jener immer subtiler werdenden Kunst der motivischen Verarbeitung, der Brahms in seiner späten Wiener Kammermusik fröhnte.
In keinem Werk wird dieses Paradox aus Volkstümlichkeit und gedanklicher Verdichtung deutlicher als im c-Moll-Klaviertrio, op. 101. Komponiert in dem „Kammermusiksommer“ 1886 am Thuner See in der Schweiz, ist es dennoch eines seiner österreichischsten Werke, zugleich eines seiner radikalsten. Der knappste Allegro-Kopfsatz, den Brahms geschrieben hat, trifft hier auf das unschuldigste Andante – eine Explosion ungestümen Affekts, die vor schierer Motivkonzentration zu bersten droht, auf einen „Zwiefachen“ aus dem Alpenvorland.
Schon in jenem unerbittlichen Allegro energico hat Brahms Wienerisches durchscheinen lassen: Nach dem wie ein Katarakt hereinbrechenden Hauptthema mit seiner den Satz beherrschenden Triolenfigur und den heroischen punktierten Rhythmen geriert sich das Seitenthema als sentimentaler Walzer. Mitten in der kantigen Durchführung verwandelt sich sogar das strenge Triolenmotiv unversehens in eine zarte ungarische Episode. Im Sturm des Affekts, der in einer nachgerade cholerischen Coda gipfelt, bleibt das zarte Sentiment eine wienerische Möglichkeit.
Die Clara Schumann-Schülerin Fanny Davies hat übrigens sehr anschaulich ihre Erinnerungen an eine Probe dieses Satzes mit Brahms am Klavier, Joseph Joachim an der Geige und Robert Hausmann am Cello festgehalten. Ihrer Erinnerung zufolge „hob Brahms zu Beginn seine energischen kurzen Arme und ließ sie, plumps, auf den ersten c-Moll-Akkord niedersausen, als wollte er sagen: „Das habe ich gemeint!‘“ Die Arpeggi des Satzes habe Brahms „wild“ gespielt, den Übergang in die zarte ungarische cis-Moll-Stelle „geheimnisvoll in stetigem Decrescendo“. Am Ende der Coda „wurden Brahms, seine Kollegen und seine Zuhörer restlos mitgerissen von der Größe des Einfalls.“
Der zweite Satz, ein gespenstisch dahinhuschendes Presto non assai , deutet das Pathos des Kopfsatzes in zarte Resignation um. Schon dem Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick fiel auf, wie unendlich fein der späte Brahms solche Übergänge zwischen den Sätzen gestaltete. Laut Fanny Davies verwandelte der Pianist Brahms diese aus Unisonoläufen und Arpeggi durchsichtig gewobene Klangstudie in „schattenhaftes Flattern“, wobei er statt des Presto mehr das „Non assai“, das „Nicht allzu schnell“ betont habe. Wichtig waren ihm die streng zweitaktigen Phrasen und das begleitende Pizzicato der Streicher, das er mit Joachim und Hausmann umständlich diskutierte. Der rhythmisch vergrößerten Wiederkehr des Themas am Ende habe Brahms die Farbe eines Requiems verliehen, während er durch zartes Rubato an den Phrasenenden den Effekt des Ganzen noch erhöhte.
Der dritte Satz, Andante grazioso , ist jener „Zwiefache“, der zwischen Zweier- und Dreiertakt in unbekümmerter C-Dur-Freundlichkeit dahintändelt. Die Klavierarpeggi gemahnen an Wiener Salonmusik und alles ist so holdselig-süß wie in einem Trivialroman der Zeit. Natürlich hat Brahms hinter dieser volkstümlichen Fassade die feinsten Schattierungen motivischer Arbeit verborgen, nur eben – im Gegensatz zum Kopfsatz – ganz unangestrengt und heiter.
Dass nach den fein abschattierten Mittelsätzen das Finale nicht ungebrochen zum Ernst des Kopfsatzes zurückführen kann, versteht sich fast von selbst. Es verharrt in Dur-Moll-Zwielicht, ungarisch angehaucht und in der Motivik disparat zwischen stürmischen Triolenbeginn und verdämmerndem Seitenthema. Erst ganz am Ende wird C-Dur erreicht – aus einer schumannisch anmutenden innigen Geste heraus geht es direkt in einen ungarischen Tanz hinein. Die Uraufführung des Trios fand deshalb vielleicht nicht zufällig in Budapest statt, bevor es im Februar 1887 seine Wiener Premiere feierte.
2007:
Johannes Brahms
Klaviertrio c-Moll, op. 101
Am Pfingstsonntag 1886 ertrank in den Fluten des Starnberger Sees der Bayernkönig Ludwig II. Die mysteriösen Umstände dieses Todes wurden in jenen Tagen heftig debattiert, auch in einem Schweizer Freundeskreis, zu dem sich für wenige Monate Johannes Brahms gesellt hatte. Der berühmte Komponist war aus Wien angereist, um wie gewöhnlich den Sommer in idyllischer Seenlandschaft zum ungestörten Komponieren zu nutzen. In Hofstetten bei Thun (heute zur Stadt selbst gehörig) hatte er ein ganzes Stockwerk im Hause eines Tischlermeisters gemietet, eine geräumige Drei-Zimmer-Wohnung, deren Fenster und große Veranda einen traumhaften Ausblick boten: Eiger, Mönch und Jungfrau erhoben sich über dem spektakulären Alpenpanorama, das Brahms ganz ungestört genießen konnte. Seinem Verleger Fritz Simrock berichtete er höchst zufrieden: „Da sitze ich heute früh in einer ganz reizenden Wohnung … Ich glaube es ist die schönste Wohnung, die ich noch hatte, und ich bin sehr froh, mich zur Reise hierher entschlossen zu haben.“
Freuen durfte sich alsbald auch der Verleger selbst, denn Brahms sandte ihm am Ende jenes ersten Sommers am Thuner See gleich drei neue Kammermusikwerke zu: die 2. Cellosonate, die 2. Violinsonate und das 3. Klaviertrio, Opus 99 bis 101. Anderes wurde in dieser Zeit begonnen, das in den nächsten beiden Jahren zur Vollendung reifen sollte, wie etwa die 3. Violinsonate Opus 108 oder die Chöre Opus 104. Der Sommer 1886 gehörte zu den fruchtbarsten im Leben des „Sommerkomponisten“ Brahms, wie ihn Johannes Forner einmal genannt hat.
Die drei Opera 99 bis 101 könnten unterschiedlicher nicht sein: Kraftvoll und frühlingshaft zupackend wirkt die Cellosonate, sommerlich verträumt und liedhaft singend die Violinsonate, herbstlich düster das Klaviertrio. In der „Schicksalstonart“ c-Moll geschrieben, zeugt es als einziges der drei Werke von den Schatten, die durchaus über jenem Sommer lagen. Es waren nicht nur der tragische Tod des Bayernkönigs oder die Ärgernisse der aktuellen Wiener Politik, die Brahms für diesen Sommer aus der geliebten Wahlheimat Österreich vertrieben hatten. Es war vor allem das wachsende Gefühl von Vereinsamung, das sich dem alternden Junggesellen Brahms jenseits der 50 immer stärker aufzudrängen begann. Mit dem Wahlspruch „Keine Oper und keine Heirat mehr!“ hatte er sich von den beiden gescheiterten Projekten seines Lebens endgültig verabschiedet. Sein Berner Freund Joseph Viktor Widmann, Brahms‘ Fremdenführer auf den gemeinsamen Italienreisen jener Jahre, bedrängte ihn zwar immer noch mit dem Projekt einer gemeinsamen Oper, doch hatte Brahms dieses Vorhaben ebenso ad acta gelegt wie den Wunschtraum vom familiären Glück. Noch eine weitere große Aufgabe hat er in jenem so idyllischen Sommer 1886 innerlich zu Grabe getragen: die Fünfte Sinfonie, auf die seine Freunde nach der Vollendung der Vierten 1885 warteten. Statt erneut ein sinfonisches Werk zu schreiben, zog er sich ganz in die Innerlichkeit der Kammermusik zurück und vertraute ihr Bekenntnisse an, die umso persönlicher waren, je mehr sie sich hinter einem stilisiert alpenländischen oder ungarischen Tonfall verbargen.
Von diesem „Volkston“ finden sich auch im scheinbar so strengen c-Moll-Trio etliche Spuren. Das Seitenthema des ersten Satzes ist ein Wiener Walzer, der langsame Satz ein „Zwiefacher“ aus dem Alpenland, das Finale gipfelt in einem ungarischen Csárdás. Trotz dieser volkstümlichen Themen aber ist das Werk ein getreues Selbstporträt des alternden Brahms. Seine Freundin Elisabeth von Herzogenberg, die seine neuen Stücke stets als eine der Ersten studieren durfte, hat dies sofort erkannt. Sie meinte vom c-Moll-Trio: „Es ist besser als alle Photographien und so das eigentliche Bild von Ihnen.“
Ebenso auffällig wie der Ernst des Stückes ist sein kompakter Klang. Der Klaviersatz mutet so vollgriffig an wie im 2. Klavierkonzert, das Brahms drei Jahre zuvor vollendet hatte. Die häufigen Unisoni zwischen den Instrumenten erzeugen einen fast orchestralen Klang: „Wollte man nur die Ecksätze betrachten, würde sich mit Übermacht der Eindruck einer ins Kammermusikalische gedrängten Sinfonie ergeben“, meinte Johannes Forner.
Anders die Mittelsätze. In der Tat handelt es sich beim zweiten und dritten Satz um zwei der intimsten, feinsten Kammermusiksätze von Brahms. Die Stimmungswechsel zwischen düster-verhangen und unbekümmert-heiter, die das Trio durchziehen, verweisen vielleicht auch auf die Lektüre des Komponisten in jenen Sommermonaten. Hin- und hergerissen zwischen Nietzsches Jenseits von Gut und Böse und einem italienischen Novellenbuch, schrieb er an Widmann, er werde es sich zweimal überlegen, „ob er unter blauem oder grauem Himmel spazieren“ wolle. Der Wechsel zwischen grauer Herbststimmung und strahlend blauem Sommerlicht prägt auch das Trio.
Beim ersten Satz, Allegro energico überschrieben, handelt es sich um den knappsten Kopfsatz, den Brahms in seiner Kammermusik geschrieben hat, eine Explosion ungestümen Affekts, die vor schierer Verdichtung der Motive zu bersten droht. Wie ein Katarakt bricht das Hauptthema über den Hörer herein – mit seiner den Satz beherrschenden Triolenfigur und den heroischen punktierten Rhythmen. Doch schon kurz nach diesem Ausbruch lässt Brahms eine Idylle heraufziehen: Das Seitenthema kommt als unschuldiger Walzer daher. Es wird von den Streichern im Oktavklang angestimmt, wie ein Wienerisches Duett, immer noch zügig, ma cantando, „aber singend“, wie Brahms vermerkt hat. Mitten in der kantigen Durchführung verwandelt sich sogar das strenge Triolenmotiv unversehens in eine zarte ungarische Episode. Im Sturm des Affekts, der in einer nachgerade cholerischen Coda gipfelt, bleibt das zarte Sentiment eine wienerische Möglichkeit.
Die Clara Schumann-Schülerin Fanny Davies hat sehr anschaulich ihre Erinnerungen an eine Probe des Trios mit Brahms am Klavier, Joseph Joachim an der Geige und Robert Hausmann am Cello festgehalten. Ihrer Erinnerung zufolge „hob Brahms zu Beginn seine energischen kurzen Arme und ließ sie, plumps, auf den ersten c-Moll-Akkord niedersausen, als wollte er sagen: ‚Das habe ich gemeint!‘“ Die Arpeggi des Satzes habe Brahms „wild“ gespielt, den Übergang in die zarte ungarische cis-Moll-Stelle „geheimnisvoll in stetigem Decrescendo“. Am Ende der Coda „wurden Brahms, seine Kollegen und seine Zuhörer restlos mitgerissen von der Größe des Einfalls.“
Der zweite Satz, ein gespenstisch dahinhuschendes Presto non assai, deutet das Pathos des Kopfsatzes in zarte Resignation um. Laut Fanny Davies verwandelte der Pianist Brahms diese aus Läufen und Arpeggi durchsichtig gewobene Klangstudie in „schattenhaftes Flattern“, wobei er statt des Presto mehr das „Non assai“, das „Nicht allzu schnell“ betonte. Wichtig waren ihm die streng zweitaktigen Phrasen und das begleitende Pizzicato der Streicher, das er mit Joachim und Hausmann umständlich diskutierte. Der rhythmisch vergrößerten Wiederkehr des Themas am Ende habe Brahms die Farbe eines Requiems verliehen, während er durch zartes Rubato am Ende der melodischen Phrasen den Effekt des Ganzen noch erhöhte. Alfred von Ehrmann bemerkte einmal in einer schönen Metapher, diesen Satz müsse der Pianist quasi „mit dunklen Samthandschuhen“ spielen.
Der dritte Satz, Andante grazioso, beginnt mit dem schon erwähnten „Zwiefachen“, einem alpenländischen Tanz, der zwischen Zweier- und Dreiertakt in unbekümmerter Freundlichkeit dahintändelt. Die Streicher spielen die beiden Hälften des Themas dem Klavier vor, das sie aufgreift und in süßliche gebrochene Akkorde im Stil der Wiener Salonmusik einkleidet. Alles wirkt so holdselig wie in einem Trivialroman der Zeit. Brahms verschlang damals gerade die sentimentale Volks- erzählung Sonnenwirt von Hermann Kurz, was auf diesen Satz abgefärbt haben mag. Ein zartes Mollintermezzo lässt leichte Schatten über die Idylle huschen, doch spätestens die Wiederkehr des Zwiefachen vertreibt diesen leisen Anflug von Melancholie. Nun übernimmt das Klavier die Führung und die Streicher singen ihm nach. Am Ende klingt die Moll-episode noch einmal kurz an, und schon ist der Satz vorüber.
Im Finale, Allegro molto, ist Brahms mit Vehemenz zum drängenden Affekt des ersten Satzes zurück gekehrt, nun mit einem ungarischen Tonfall unterlegt. Die Triolen des Hauptthemas werden in eine Art Dur-Moll-Zwielicht getaucht, aus dem dann auch das Seiten- thema entsteht. Eine Schumannsche Wendung und ein widerborstiges Tanzthema bringen keine eigentliche Aufhellung. Erst ganz am Ende ringt sich der Satz allmählich zum erlösenden C-Dur durch – und bleibt dabei doch kantig und kämpferisch.
Angesichts des ungarischen Finales setzte Brahms die Uraufführung des Trios vielleicht nicht zufällig in Budapest an. Dort hob er es am 20. Dezember 1886 mit zwei ausgesprochenen Virtuosen aus der Taufe: dem Geiger Jenö Hubay und dem Cellisten David Popper. Die beiden berühmten Solisten dürften über ihren eigenwilligen Part in diesem Trio nicht wenig gestaunt haben. Überhaupt blieb die Freude über das neue Werk unter den Musikern des Brahms-Kreises zunächst eher gedämpft. Geradezu Missfallen erregte es bei Tschaikowsky, mit dem Brahms im Januar 1888 im Leipziger Haus des Geigers Adolf Brodsky zusammentraf. Nachdem Brahms sein c-Moll-Trio gespielt hatte, steuerte der Abend auf eine peinliche Situation zu, da Tschaikowsky sich nun hätte äußern müssen, das Trio aber ganz und gar nicht mochte. Die plötzliche Ankunft von Edvard Grieg vereitelte den Zusammenstoß der beiden Genies und verwandelte die trübe Stimmung in einen ausgelassenen Abend. „Es wirkte eher wie ein Kinderfest als wie die Zusammenkunft großer Komponisten“, meinte die Ehefrau von Brodsky später.