Balladen für Klavier, op. 10 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Johannes Brahms

Balladen für Klavier, op. 10

Balladen für Klavier, op. 10

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3861

Satzbezeichnungen

1. Nach der schottischen Ballade Edward in Herders Stimmen der Völker.
Andante d-Moll

2. Andante D-Dur

3. Intermezzo. Allegro h-Moll

4. Andante con moto H-Dur

Erläuterungen

Die vier Balladen, komponiert im Sommer 1854, bilden einen Einschnitt in Brahms‘ Schaffen. Mit ihnen schließen die Frühwerke aus den Jahren 1851-54 und damit zugleich die Serie der ersten zehn gedruckten Opera, deren erste neun im Laufe von nur 11 Monaten zwischen Dezember 1853 und November 1854 erschienen waren. Dass sich die Veröffentlichung des Opus 10 bis Februar 1856 hinzog, lag nur daran, dass der Verlag Senff die schon geplante Veröffentlichung 1855 zurückzog. Das nächste gedruckte Opus von Brahms, die 1. Serenade, op. 11, erschien erst 1860.

In den Balladen, op. 10, finden wir die vertrauten Eigenarten des frühen Brahms vereint: die Anlehnung an eine Gattung der Dichtung bzw. der Vokalmusik, den „Volkston“ in seiner nordischen Ausprägung, hoffmaneske Dämonie und hochromantische Formensprache. Bekanntlich hat Chopin die Dichtungsform der Ballade in die Klaviermusik eingeführt, doch sind seine vier Balladen unter jeweils eigenen Opusnummern erschienen, weil sie stärker zur mehrfach gegliederten Form tendieren als die brahmsschen. Letztere haben ihr Vorbild eher in der gesungenen Ballade, wie sie Carl Loewe zur Meisterschaft geführt hatte.

In Nr. 1 wird dieser Bezug zu Loewe am Sujet deutlich. Brahms hat hier die schottische Ballade Edward, die Herder in seiner Sammlung Stimmen der Völker bekannt gemacht hatte, in die textlose Form des Klavierstücks gebracht. Die blutrünstige Geschichte vom Sohn, der seinen Vater ermordete und dem die Mutter das Geständnis der Tat durch immer bohrendere Fragen entlockt, hat die Fantasie der Romantiker mächtig beflügelt. „Loewe hat diese Ballade in einer Weise vertont, die keine Steigerung im Ausdruck des Schaurigen mehr zuzulassen scheint. Und doch stürzt uns Brahms noch tiefer hinein in die blutige Wirrnis dieser Familientragödie. Die dialogische Form des Gedichtes hat Brahms auch in der Komposition aufgenommen. Deutlich heben sich die Stimmen des Sohnes und der Mutter voneinander ab. Nicht so, als habe Brahms nun Strophe für Strophe zur Vorlage genommen. Er gibt vielmehr nur das Prinzip des Dialoges, er komponiert sozusagen ein zweiteiliges Strophenlied, das die Stimmungen des ganzen Gedichtes in sich fasst. Eine Veränderung gibt es nur im Mittelteil, der in ein trügerisches Dur gewendet wird, aber das aufpeitschende, entsetzenerregende Geständnis des Vatermordes enthält. Meisterlich, wie dann Brahms wieder die Thematik des Anfangs aufnimmt, über einen fast majestätischen Trauermarsch zurückschreitend…“ (Karl Laux) Der erste, der die Originalität dieses Satzes erkannte, war Schumann. Brahms hatte ihm das Manuskript der Balladen nach Endenich in die Klinik geschickt. Begeistert schrieb er am 6. Januar 1855: „Und die Balladen – die erste wunderbar, ganz neu.“

Obwohl es keinen Zusammenhang im Sinne einer vierteiligen Form zwischen den Stücken gibt, erschienen Schumann die beiden mittleren Balladen doch wie Andante und Scherzo einer Klaviersonate. Dem entspricht, dass nach dem D-Dur-Hauptteil der zweiten Ballade im Mittelteil „wieder die Stimmung der ersten Ballade aufbricht … Um so ruhevoller die Aufnahme des Anfangsteiles, ein Abendlied, sanft und schwärmerisch, mit einer Coda in … arpeggierten Akkorden.“ (Laux)

Das fis im Bass des letzten Akkords dieser Ballade verstand Schumann als „Überleitung“ zur dritten „Ballade“, einem Intermezzo in h-Moll. „Dämonisch – ganz herrlich“ fand Schumann diesen Satz und spielte damit wohl zu Recht auf die romantische Dämonie eines E. T. A. Hoffmann an, die 1854 für Brahms so entscheidend war.
Die vierte Ballade in H-Dur ist ein ruhiger Ausklang über zarten Arpeggien, die an Schumanns Klaviermusik erinnern.