Concerto a Quattro d-Moll für Oboe, Violine, Fagott und B.c., TWV 43: d3
Werkverzeichnisnummer: 3847
1. Adagio
2. Allegro
3. Largo
4. Allegro
2000
GEORG PHILIP TELEMANN
Concerto a quattro d-Moll
Telemann war der Primus inter pares der Gruppe. Ein paar Jahre älter als die anderen, war er ihnen organisatorisch und musikalisch um eine Nasenlänge voraus. Er war es, der mit 21 als Student in Leipzig jenes Collegium musicum gründete, in dem Heinichen und Fasch ihre ersten Auftritte hatten und das später Bach zu seinem berühmtesten Dirigenten wählen sollte. Mit 12 hatte Telemann seine erste Oper komponiert, mit 23 die deutsche Kirchenkantate reformiert und mit 25 ausländische Musikstile aus Frankreich, Italien und Polen so vollendet in seine Gewalt gebracht, dass seine Musik zum Inbegriff eines neuen Stils, des „vermischten deutschen Geschmacks“ wurde.
Zwei Formen liebte Telemann ganz besonders: die französische Ouvertüre und die italienische Triosonate, wobei er beide untereinander sowie mit anderen Formen, etwa dem Concerto, mischte („vermischter Geschmack“ eben). Ein typisches Beispiel dafür ist das Concerto a quattro, das unser Konzert eröffnet. (Der Zusatz a quattro, „zu viert“, zeigt an, dass hier das Fagott nicht im Basso continuo, sondern selbständig behandelt ist): Auf einen italienischen Konzertsatz, in dem die Oboe als Soloinstrument, Violine, Fagott und Continuo als „Orchester“ fungieren, folgt ein Fugato im Stil einer Triosonate, dann ein Largo mit solistischem Fagott und schließlich eine Gigue, wie sie auch eine Suite beschließen könnte. Der punktierte Rhythmus des Anfangs mag cum grano salis an eine französische Ouvertüre erinnern. Diese Stilanspielungen sind so elegant zur Einheit verwoben, dass man keinerlei Bruch spürt.
Darauf, dass man es hier mit einem frühen Telemannstück zu tun hat, scheint ein rätselhafter Umstand hinzudeuten: In einer der beiden Hauptquellen, einer Handschrift im Schönbornarchiv zu Wiesentheid, ist dieses Concerto in der Besetzung Flöte, Geige, Cello, Bass Händel zugeschrieben. Dies kann aber kaum zutreffen: Zum einen findet sich unter den verlässlichen Darmstädter Telemannquellen eine Abschrift unter Telemanns Namen, zum anderen weisen die Sätze II-IV Themen auf, die man auch in anderen Werken Telemanns finden kann. Alle diese Stücke sind früh anzusetzen, so dass auch das d-Moll-Concerto unter die Frühwerke zu datieren ist, vielleicht schon vor 1710 in seine Leipziger oder Eisenacher Zeit. Die Fehlzuschreibung an Händel könnte ihrerseits mit diese frühen Periode in Telemanns Leben zusammenhängen, denn die beiden Komponisten befreundeten sich 1703, als der eine noch Student in Leipzig, der andere Organist in Halle war. Es mag deshalb kein Zufall sein, dass der erste Satz unseres d-Moll-Concerto an Händels frühes g-Moll-Oboenkonzert anklingt. Die möglichen Erklärungen für die Ähnlichkeit zwischen den beiden Stücken sind einfach: Entweder Händel hat sich wie so oft bei Telemann melodisch bedient, indem er den Beginn seines Oboenkonzerts nach dessen Concerto a quattro formte, oder beide Komponisten haben das kleine d-Moll-Konzert gemeinsam geschrieben – als „Teamwork“ unter Freunden.
Wie dem auch sei, es steckt mehr Telemann als Händel in diesem charmanten Werk, das heute noch gemeinhin unter Händels Namen aufgeführt wird. Uns erscheint es als ein Zeugnis für Telemanns schon früh entwickelten, unorthodoxen Einfallsreichtum. Formellen Kompositionsunterricht hat Telemann in seinem Leben nur eine Stunde lang genossen – bei einem braven Organisten, dessen Schulbank er gleich wieder floh, „weil mir schon damals weit munterere Töne im Kopfe herumspukten“.