Streichquintett E-Dur, op. 11, 5 | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Luigi Boccherini

Streichquintett E-Dur, op. 11, 5

Quintett E-Dur für zwei Violinen, Viola und zwei Violoncelli, op. 11,5

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3836

Satzbezeichnungen

1. Amoroso

2. Allegro spiritoso

3. Menuett – Trio

4. Rondo

Erläuterungen

Fünf Gangster quartieren sich bei einer harmlosen alten Lady in London ein, um einen Coup zu planen: den Überfall auf einen Geldtransport an King’s Cross Station. Damit die nette Mrs Wilberforce nichts mitbekommt vom üblen Treiben, geben sich der genialische Professor Marcus und seine Spießgesellen als Musiker eines Streichquintetts aus, das auch fleißig zu üben scheint. Zumindest tönt aus dem Zimmer tagaus, tagein dieselbe süßliche Melodie: ein Menuett des Italieners Luigi Boccherini, das natürlich vom Grammophon gespielt wird, nicht von den angeblichen Musikern. Der Coup gelingt, doch in letzter Sekunde kommt Mrs Wilberforce den Gangstern auf die Schliche, als beim Abschied ein Cellokasten in ihrer Eingangstür hängen bleibt und plötzlich Geldscheine über die Straße flattern. Freilich bringen es die Räuber nicht übers Herz, sie zu beseitigen, stattdessen bringen sie sich auf groteske Weise selbst zur Strecke. So steht die alte Lady am Ende alleine da mit den geraubten 60.000 Pfund. Die Polizei nimmt ihr weder ihre fantastische Geschichte noch das Geld ab.

Kenner des viel gerühmten „black humour“ britischer Provenienz werden den Kinofilm längst erkannt haben, dessen Handlung hier spärlich genug zusammengefasst wurde: Ladykillers. Jene klassische „schwarze Komödie“ machte 1955 Alec Guinness und Peter Sellers zu Stars, doch nicht nur Schauspielerkarrieren hat sie begründet. Der Film verhalf auch einem bis dato wenig bekannten italienischen Mozartzeitgenossen zur Weltgeltung: Luigi Boccherini. Seit Ladykillers ist „das“ Menuett von Boccherini ein Welthit der Klassik – wie „das“ Adagio von Albinoni (das eine Fälschung ist) oder „das“ Adagio von Barber. Mit diesen Kollegen und manch anderem Komponisten teilt Boccherini das Schicksal, dass man ihn bis heute fast nur mit einem einzigen Stück identifiziert: mit „dem“ Menuett. Obwohl in den letzten Jahrzehnten immer mehr seiner Sinfonien, Cellokonzerte, Quartette und Quintette aufgeführt wurden, hat sich daran wenig geändert.

Wir nutzen die Gelegenheit, „das“ Menuett einmal im Zusammenhang mit jenem E-Dur-Quintett vorzustellen, aus dem es stammt. Es handelt sich um ein relativ frühes Stück von Boccherini, gedruckt 1776 in Paris als fünftes der sechs Streichquintette Opus 11. Als virtuoser Cellist bevorzugte Boccherini die Quintettbesetzung mit zwei Celli anstelle der Wiener Besetzung mit zwei Bratschen, die man bei Mozart findet.

Hört man das ganze Stück, so kann man verstehen, warum die anderen Sätze keine Hits geworden sind. Sie sind erlesene Kammermusik voller überraschender Wendungen, Klangspielereien, die virtuos, aber filigran mit den Farben von zwei Celli, zwei Geigen und Bratsche jonglieren, keine Musik für das breite Publikum.

Das Werk beginnt mit einem Amoroso, einem lieblichen Andantesatz aus lauter schmeichelnden Triolen in Terz- und Sext-Parallelen, die zwischen den Streicherpaaren hin- und herwandern. Eine Art Vogelstimmenduett sorgt im Mittelteil für klangliche Überraschungen. Das eigentlich zu Beginn erwartete Allegro wird im zweiten Satz nachgeholt, und zwar con spirito, mit italienischem Geist und Feuer. Hier konzertieren alle Instrumente, besonders aber die beiden Celli, die Boccherini oft in gefährlich hohe Lagen führt. Die Wirkung des Menuetts erklären zu wollen, wäre müßig: Seine Melodie ist schlicht ein Ohrwurm, getragen von einem raffinierten Klang aus gedämpften und gezupften Streichersaiten. Ein kapriziöses Rondo beschließt das Werk standesgemäß.

Biographisches zum Komponisten sei an dieser Stelle nachgetragen, da Boccherini in seiner wahren Bedeutung als dritter Großmeister der klassischen Kammermusik neben Haydn und Mozart bislang noch nicht voll gewürdigt wird, besonders nicht in Deutschland. Dabei hat er als Cellist im Quartetto toscano das erste stehende Streichquartett der Musikgeschichte mitbegründet und alle Gattungen der Streicherkammermusik in wohl einmaliger Vielfalt ausgeprägt.

Boccherini wurde 1743 in eine Musikerfamilie im toskanischen Lucca hineingeboren. Der Vater spielte lediglich als „überzähliger Kontrabassist“ in der Kirchenmusik und war folglich arm, die Kinder waren gezwungen, sich anderswo Lohn und Brot zu suchen. Luigis ältester Bruder Giangastone wurde Librettist in Wien (für Salieri und Haydn), die Schwester Maria Ester Primaballerina (in Gluck-Balletten), eine zweite Schwester Riccarda Sängerin in Florenz. Luigi wählte als Jüngster das Cello und die Laufbahn des reisenden Virtuosen. Mit 13 Jahren gab er sein Konzert-Debüt, wobei seine Brillanz ebenso bewundert wurde wie seine Cellokonzerte, die er „in einem völlig neuen Stil” geschrieben hatte. Aus dem Wien Glucks, wo er sich um 1760 für längere Zeit aufhielt, drängte ihn die Cellisten-Konkurrenz heraus, in den italienischen Metropolen wie Rom oder Genua war ebenso wenig Staat zu machen. Also zog er sich auf die Kammermusik zurück: in besagtes Quartetto toscano, mit dem er Musikgeschichte schrieb.

Um 1770 machte er sich auf nach Paris, wo er freilich nie ankommen sollte: Mit seinem Geigerfreund Manfredi bog er von Südfrankreich nach Spanien ab. Dort fanden sie am Hof des Infanten Don Luis Lohn und Brot. Wie für Schillers Don Carlos begannen nun „die schönen Tage von Aranjuez“, in denen Boccherini allmählich zu einer europäischen Berühmtheit heranreifte.

Mit 23 komponierte er sein erstes Streichquartett, mit 26 seine erste Sinfonie. Er wurde zum ersten europäischen Komponisten, dem man Unsummen für Kammermusik bezahlte. So flossen 12.000 spanische Realos pro Jahr aus Madrid für ganze 18 Streichquintette, die er zu komponieren hatte, 1.000 Taler aus Berlin vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. für zwölf Kammermusiken jährlich. Ein Mozart hätte von solchen Summen nur träumen können. Boccherini musizierte mit Casanova und stand mit Haydn im Briefverkehr. Virtuosen wie Viotti und Rode liebten seine Werke, und die Verleger verkauften sie in Rekord-
auflagen.

All dies änderte sich schlagartig nach seinem Tod, als die heroische Epoche Napoleons über seine spielerischen Klangexperimente hinwegging. Was übrig blieb, waren minimale Ausschnitte von zweifelhafter Berühmtheit: jenes Menuett aus dem E-Dur-Streichquintett, op. 11,5, das ein Verleger schon 1874 aufs Schild der „Klassikhits“ hob; eine Sinfonia divina, die 1934 aus seinen besten Sinfoniesätzen zusammengestellt wurde, schließlich ein ebenso beliebtes Quintett-Pasticcio in C und ein Cellokonzert im Grützmacher-Arrangement. Erst moderne Editionen und historisch genauere Interpreten haben diese rudimentäre Sicht auf Boccherini einer neuen Entdeckerfreude weichen lassen.

Boccherinis Musik ist ein Laboratorium des Klangs, in dem sich Fenster zum Spanien seiner Zeit auftun. Er hat die folkloristischen Anregungen seiner Wahlheimat durchaus aufgegriffen. ohne sie jedoch zu einer spanischen Nationalmusik weiterzuentwickeln. Boccherini blieb mit seinen in Paris verlegten und in ganz Europa nachgedruckten Werken jenem gesamteuropäischen Stil treu, den wir einschränkend die „Wiener Klassik“ zu nennen pflegen. Seine Musik vertritt jedoch gegenüber der motivisch-thematischen Arbeit Haydns und Mozarts oder, wie die Zeitgenossen gesagt hätten, der „deutschen Gründlichkeit” eher die Gesanglichkeit und die Klangfantasie des Südens.