Sonate Nr. 3 a-Moll, op. 25 "im rumänischen Volkscharakter" | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

George Enescu

Sonate Nr. 3 a-Moll, op. 25 "im rumänischen Volkscharakter"

Sonate Nr. 3 a-Moll, op. 25 „im rumänischen Volkscharakter“

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3745

Satzbezeichnungen

1. Moderato malinconico

2. Andante sostenuto e misterioso

3. Allegro con brio, ma non troppo mosso

Erläuterungen

2002
GEORGE ENESCU
Violinsonate Nr. 3, op. 25

Wenn Yehudi Menuhin auf seinen Geigenlehrer und Mentor George Enescu zu sprechen kam, schwärmte er vor allem von einem: von den zahllosen Varianten des Portamento, die der rumänische Virtuose wie kein anderer Geiger hervorzubringen verstand. Hört man heute Aufnahmen von Enescu wie etwa seine legendäre Einspielung der Bach-Solosonaten, wird dieses Farbenspiel ebenso hörbar wie die außerordentliche Wärme des Tons, den Enescu in unendlich vielen Schattierungen dynamisch abstufte.

Mit beiden Eigenarten des Virtuosen George Enescu werden Geigerinnen und Geiger automatisch dann konfrontiert, wenn sie die dritte Violinsonate des Komponisten Enescu zur Hand nehmen. Das 1926 in Paris komponierte Stück, das 1933 als Enescus Opus 25 erschien, sieht zusätzlich zu den bekannten dynamischen Zeichen (pp, p, mf, f, ff usw.) noch acht weitere Symbole vor, um zwischen poco sforzando und ben sforzando, poco forte und ben forte etc. zu differenzieren. Ferner gab Enescu genaue Anweisungen zum Portamento, führte zusätzlich zu den Halbtonschritten Zeichen für Vierteltöne ein und verwies auf feinste Temposchwankungen. Hinzu kommt ein fast unbegrenzter Reichtum an Varianten der Artikulation und des Vibratos (louré, porté, staccato al talone, vibrato appassionato sostenuto, piangendo etc.), die fast von Takt zu Takt verändert werden. Mit einem Wort: diese Sonate ist ein authentisches Dokument für den Violinstil ihres Komponisten. Enescu wollte mit dem Stück jedoch mehr: er wollte die Volksmusik seiner Heimat in die Kunstmusik übertragen.

Die a-Moll-Sonate wird im Untertitel dans le caractère populaire roumain genannt – im Charakter rumänischer Volksmusik. Was man sich darunter vorzustellen hat, machen die Charaktere der drei Sätze deutlich. Der erste ist ein „melancholisches Moderato“, das sich aus Fragmenten ungarisch-rumänischer Folklore zusammensetzt. Übermäßige Sekunden, daktylische Rhythmen, chromatisch verschliffene Lamentofloskeln lassen einen rhapsodischen Trauergesang der rumänischen Bauern entstehen.

Im zweiten Satz, einem Andante sostenuto e misterioso, hat Enescu den mystischen Seiten seines Stils und der rumänischen Volksseele Ausdruck verliehen: eine weiträumige Choralmelodie im Flageolett zu Beginn, Klangfarbenspiele mit Bariolage im Mittelteil, schließlich ein sehr ruhiger Schlussteil mit Dämpfer, der sich bis zum Tremolohöhepunkt steigert. Dieses Lento pensieroso hat Enescu mit dem maximalen Ausdrucksspektrum belegt: estatico legatissimo tranquillo poco vibrato – nostalgico.

Auf Rhapsodie und mystischen Gesang folgt im Finale der Tanz: ein Allecro con brio, dessen rustikaler Charakter sich in Tanzrhythmen und heftigen Akkordballungen manifestiert.
Einige biographische Notizen zu Enescu seien angefügt, um dem Eindruck vorzubeugen, es handele sich um einen nebenher komponierenden, primär rumänisch geprägten Virtuosen. Anders als in der westlichen Welt gilt Enescu in seinem Heimatland Rumänien vor allem als Komponist. Die Rumänen verehren in ihm ihren musikalischen Nationalheros. Dabei hat seine Musiksprache neben Volksmelodien seiner Heimat und Einflüssen der orthodoxen Kirchenmusik vor allem wienerische und französische Wurzeln. Als Geigenschüler des Wiener Primarius Hellmesberger hat Enescu seine ersten Schritte im Wien der Brahmszeit unternommen. Ab 1895 lebte er in Paris, wo er bei Fauré und Massenet studierte. Nicht zufällig baut Enescus Stil deshalb eine Brücke vom Wiener Formverständnis der Brahmsschule zu den Farbvaleurs des französischen Impressionismus. Verbunden mit seinen rumänischen Wurzeln und seiner Neigung zu archaischen Satzmustern und Klängen macht ihn dies zu einem der originellsten Musiker des frühen 20. Jahrhunderts. In Werken wie dem Dixtuor für Bläser, das Anfang Januar in Villa Musica-Konzerten erklang, und dem Streicheroktett, op. 7 (Mitte April bei Villa Musica zu hören) werden diese internationalen Elemente seines Stils eher deutlich als in der „rumänischen Sonate“.