Sextett | Kammermusikführer - Villa Musica Rheinland-Pfalz

Krzysztof Penderecki

Sextett

Sextett für Klarinette, Horn, Streichtrio und Klavier (2000)

Besetzung:

Werkverzeichnisnummer: 3734

Satzbezeichnungen

1. Allegro moderato

2. Larghetto

Erläuterungen

2001
KRZYSZTOF PENDERECKI
Sextett (2000)

“In der Kammermusik erkennt man die eigentliche Größe eines Komponisten; sie ist wie eine Entblößung: Wenn einer nichts zu sagen hat, hört man es sofort.” Diesen Satz Krzysztof Pendereckis, entnommen einem Interview in der Österreichischen Musikzeitschrift aus Anlass der Komposition seines Sextetts, hätten auch Mozart und Brahms unterschrieben. Kammermusik, verstanden als höchste Verdichtung musikalischer Kunst, ist für Penderecki eine relativ junge Seite seines Schaffens. Der einstige Vorkämpfer neuer Klänge und neuer Besetzungen in der Avantgarde hat sich erst seit Mitte der 80er-Jahre, insbesondere aber in den 90ern der Kammermusik zugewendet.

Pendereckis Besinnung auf das intime Genre fand ihren Niederschlag in Besetzungen, die dem 19. Jahrhundert nahe zu stehen scheinen: Streichtrio, Klarinettenquartett und zuletzt das Sextett für Klarinette, Horn und Streichtrio. Es wurde am 7. Juni 2000 im Wiener Musikverein uraufgeführt. Das Ensemble bestand damals aus Paul Meyer, Klarinette, Radovan Vlatkovic, Horn, und einem russischen Klavierquartett in der Besetzung Vengerov, Bashmet, Rostropowitsch und Alexejev! Die französische Erstaufführung folgte im August 2000 beim Casals-Festival, die deutsche Erstaufführung wurde im November 2000 in München von den Interpreten unseres heutigen Abends bestritten.

Anders, als man vermuten könnte, ist die Besetzung des Sextetts keine Erfindung von Penderecki: Sie hat einen prominenten Vorläufer in dem Sextett, op. 37, von Ernö von Dohnányi aus den 1930er-Jahren, in dem der ungarische Komponist die gesamte Musik seiner Epoche von Brahms über Strauss bis zum Jazz Revue passieren ließ. In ähnlicher Weise hat auch Penderecki sein Sextett von 1999/2000 als Synthese verstanden, wie er in dem ÖMZ-Interview sagte: “Das Sextett ist ein typisches Werk des Jahrhundertendes, indem es sich auf die Erfahrungen des ganzen 20. Jahrhunderts bezieht, in welchem verschiedene Stile entstanden sind. Die Meilensteine, die geblieben sind, sind Strawinsky, Bartók und Schostakowitsch in seiner Kammermusik. Diese Musik ist mir näher als z. B. Messiaen oder der Zwölftonkreis; diese sind mir zu fremd, ich bin doch ein slawischer Komponist, dem es um die Übermittlung des eigenen Gefühls, des Ausdrucks geht; die Claritas in der Konstruktion ist sehr wichtig, aber ich habe keine Angst vor der persönlichen Note.” Angesichts solcher Aussagen musste in besagtem Interview natürlich das Schlagwort von der “Neoromantik” fallen. Der Komponist wehrte heftig ab: “Man kann jeden langsamen Satz als romantisch ansehen; auch in meiner Dritten Symhonie ist das Adagio romantisch, aber das ist die Romantik, die es immer gibt, in langsamen Sätzen von Beethoven oder Mozart oder auch bei Bach. Die Bezeichnung Romantik weist eher auf den Charakter des Werkes, nicht den Stil selbst.”

Zum Stil des Sextetts meinte er dagegen, dass es auch die Härten seiner früheren Musik mit einbeziehe: “Ich glaube, es gibt alles in diesem Werk, auch meine sechziger Jahre, aber es gibt auch die durchleuchtete Harmonik, wie ich sie nennen möchte, das ist aber nicht Tonalität. Selbstverständlich erscheint manchmal irgendein Akkord oder sogar Akkordverbindungen, die an die Tonalität erinnern, aber das ist bei mir immer strukturelle Durchleuchtung, um z. B. ein Instrument hervorzuheben, das eine melodische Linie führt. Ein großes Werk wie dieses Sextett muss Momente der Erholung haben, es kann doch nicht alles so angespannt sein.” In der Tat ist das Sextett ein monumentales Werk, sowohl in der Anlage der Einzelsätze wie des Ganzen. Paul Meyer, der Klarinettist der Uraufführung, meinte, Penderecki habe es “in denkbar weiten Dimensionen entworfen: ein schneller Satz, gefolgt von einem langsamen, alles in allem von ca. 40 Minuten Spieldauer.”

Der erste Satz wird durch ein leise vom Klavier angeschlagenes, dann vom Cello gezupftes As eingeleitet, über dem die Klarinette in hoher Lage ein bizarres Scherzothema anstimmt (As-Dur, 3/8-Takt). Diesen Scherzoton greift zunächst die Violine, dann das Streichtrio auf. Dabei offenbart das Hauptthema sogleich sein Potential an grotesker Überzeichnung und rhythmischer Akzentverschiebung. Das Horn meldet sich mit einer kraftvollen Solokadenz zu Wort, bis schließlich auch das Klavier über dem stets repetierten As seine Walzervariante anstimmt. Damit sind alle Protagonisten eingeführt, und es beginnt ein rhyhthmisch mitreißendes Spiel mit den Möglichkeiten des Dreiertakts im Wechsel mit Allegro molto-Laufkaskaden im 2/4-Takt.

Von den Klangmöglichkeiten der sechs Instrumente hat Penderecki kongenial, wenn auch ohne avantgardistische Verfremdungen Gebrauch gemacht. Die Streicher beleuchten die Bläsersoli beinahe im Sinne einer Lichtregie durch schnelle Wechsel zwischen pizzicato und coll’arco, durch perkussive Doppelgriffe, durch pesante-Passagen und Flageoletts. Das Klavier bleibt meist Klanggrund und dezent agierender Partner. In dieser Weise entsteht eine Art theatralischer Dialog unter sechs energiegeladenen, niemals nachgebenden Protagonisten. Es verwundert nicht, dass Penderecki mit dem Ensemble der Uraufführung zwei Wochen lang in Wien probte und dabei die Stimmen Schritt für Schritt den Qualitäten der einzelnen Spieler anpasste. Für eine Aufführung beim Rheingau-Festival nahm er es mit unseren Interpreten im August 2001 in Mainz noch einmal durch.

Im Larghetto, dem breit angelegten zweiten Satz, wird die Bewegung ruhiger. Zunächst bestimmen die Saiteninstrumente das Klangbild; fast könnte man an die suggestiven Klangräume im Adagio von Bartóks Musik für 7 Saiteninstrumente denken. Doch mit einem Tutti im Forte und einer Klarinettenkadenz greifen die Bläser in den Satz ein. Darauf folgt ein ruhiges Zwischenthema im Dreiertakt (Tranquillo), das im Satzverlauf mehrmals wiederkehrt. Klanglicher Höhepunkt ist eine lange Passage, in der der Hornist da lontano, hinter der Bühne, spielt. Für Penderecki ist diese Stelle zentral, denn in ihr “bringt der Dialog zwischen den fünf Instrumenten und dem Horn hinter der Szene eine neue Dimension”. Die “gegenseitige Durchdringung der Instrumente”, die dem Komponisten oberstes Gebot war, findet hier auch über die räumliche Distanz hinweg statt. Nach mehrfachen Steigerungen klingen Satz und Werk in ätherischen Non-vibrato-Akkorden mit Streichern con sordino ruhig aus.