„Ave Maria“
Werkverzeichnisnummer: 3682
2005 RheinVokal
PROPRIUM MISSAE
Zusätzlich zu den fünf Messteilen des Ordinarium Missae – Kyrie und Gloria zu Beginn, Credo vor der Pause, Sanctus im zweiten Teil und Agnus Dei am Ende – enthält unser Konzert noch acht weitere Vokalsätze: fünf Motetten von Dufays großem Nachfolger Josquin des Prez und drei Sätze aus den sogenannten Saint-Martial Manuskripten. Bei letzteren handelt es sich um 214 mittelalterliche Handschriften aus Aquitanien, die in der Abtei Saint-Martial in Limoges geschrieben oder zusammengetragen wurden. Sie dokumentieren die gregorianische Ein- und Mehrstimmigkeit in einem Teil Frankreichs zwischen ca. 1000 und 1150.
Die Saint-Martial-Gesänge und die Josquin-Motetten vertreten in unserem Programm das sogenannte Proprium Missae, die jahreszeitlich wechselnden Messgesänge wie Offertorium, Graduale, Hymnus und Psalm, die zwischen die unveränderlichen Messteile eingelegt werden. Alles in allem ergibt sich aus den drei Elementen des Programms eine Messe, wie man sie um 1500 an einer französischen Kathedrale durchaus hätte hören können.
DER NOTEN MEISTER
„Josquin ist der noten meister; die habens müssen machen, wie er wolt.“ Martin Luthers bewundernde Worte über Josquin des Prez sind die meist zitierten der vielen anerkennenden Sätze über den größten Komponisten der Hochrenaissance. Man treibt die Analogien zur Kunstgeschichte nicht zu weit, wenn man ihn den „Leonardo der Musik“ nennt. Seine Auftraggeber waren die selben wie die Leonardos: die Sforza in Mailand, der Papst in Rom, der französische König, die Este in Ferrara. Josquins Schaffen reicht weit ins Quattrocento zurück wie das Leonardos und bringt doch den entscheidenden Durchbruch zum „Sfumato“ des weichen Klangs, zu einer neuen Klarheit der Form und Plastizität der Stimmführung.
Revolutionär ist der neue Wortausdruck in seiner Musik, der direkt ans Gefühl des Menschen appelliert. Wenn bei Josquin die Sänger zum De Profundis oder Ave Maria anheben, sind die Phrasen einfach, ganz aus dem Wort heraus erfunden und unmittelbar ausdrucksvoll – das Gegenteil von Dufays spätgotischem „Knitterfaltenstil“. Rund, plastisch und in der Form vollendet treten uns seine Motetten entgegen.
Unsere fünf Beispiele führen gleichsam prototypisch zu den wichtigsten Wirkungsstätten und Schaffensphasen seines Lebens. Es muss vielleicht vorausgeschickt werden, dass Josquin im Gegensatz zu dem „Burgunder“ Dufay Franzose war. Er war jenseits der burgundisch-französischen Grenze geboren worden, vielleicht in dem Ort Prez unweit der Quellen des Flusses Schelde – daher sein Herkunftsname „des Prez“, der seinen bürgerlichen Namen Lebloitte alsbald verdrängte. Als Franzose hat er engste Beziehungen zum Königshaus unterhalten, insbesondere als junger Komponist um 1480 und nach seiner Rückkehr in die Heimat 1504.
Das De Profundis, Josquins Vertonung des Bußpsalms Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir, stammt aus der späten Zeit. Es enthält einen dreifachen Kanon – Symbol der Trauer dreier Staaten über einen verstorbenen Monarchen, wie eine Anmerkung auf einer römischen Abschrift verrät. Ob das Stück 1515 bei der Beerdigung von Ludwig XII. von Frankreich oder gar zur Beisetzung Kaiser Maximilians 1519 aufgeführt wurde, wissen wir nicht. Es bleibt ein monumentales Stück der Trauer, eine königliche Beisetzungsmusik.
40 Jahre früher hatte Josquin für den französischen Königshof seine Fassung der Ostersequenz Victimae paschali laudes geschaffen (protestantischen Gläubigen besser bekannt als Vorlage für Luthers Christ lag in Todesbanden). Hier hat er im Sopran vollständig die Chanson D’ung aultre amer seine Kollegen und Freundes Johannes Ockeghem zitiert, der damals in Paris wirkte. In den Unterstimmen setzte er dazu zeilenweise die Melodie der Ostersequenz – eine Kombination von zwei Melodien in unterschiedlichen Kirchentonarten, wie die Zeitgenossen bewundernd feststellten.
In die frühe französische Zeit um 1480 fällt auch die Motette O bone et dulcissime Jesu, ein rührendes Gebet an den Erlöser. Der Satz erinnert in seinen Duetten noch an die komplizierten Melismen und altertümlichen Kadenzen bei Dufay. Doch die Spätgotik des Nordens wandelt sich bereits allmählich in den Schönklang des Südens.
In Italien hat Josquin dann nur wenige Jahre später den neuen, schlichten Stil in Vollendung vorgeführt: in seiner Motette Tu solus qui facis mirabilia und im berühmten Ave Maria. Die einfachste aller Akkordfolgen steht am Beginn von Tu solus. Glasklarer Kontrapunkt aus schlichtesten Melodielinien, in vollkommener Einheit mit den Worten, eröffnet das Ave Maria. Im Dreiertakt des zweiten Teils leuchtet der Klang in neuer Fülle und Schönheit auf. Der Anruf des Schlusses O Mater Dei, memento mei ist in seiner schlichten Schönheit von entwaffnender Wirkung. Beide Werke schrieb Josquin um 1485 in Mailand für Kardinal Ascanio Sforza und Leonardos Gönner Ludovico il Moro. Hält man die Musik des Ave Maria gegen Leonardos frühe Verkündigung, so hat man die vollkommene Einheit aus Kunst und Musik im Mailand der anbrechenden Hochrenaissance.
Höhepunkt der hier versammelten Josquin-Werke ist die berühmte Motette Planxit autem David, die Vertonung der Klage des Königs David. 1504 gedruckt, entstammt sie wohl Josquins einzigem Jahr im Dienst des Herzogs Ercole d’Este in Ferrara 1503. Wie das große Miserere und die Missa Hercules Dux Ferrariae ist es von monumentaler Gliederung und eindringlicher Wortvertonung der biblischen Klage geprägt. Als „Krone unserer Kapelle“ pries ein Musiker aus Ferrara damals den Komponisten. Hier ist zu hören, warum. Karl Böhmer
2002
hier: kompletter Programmhefttext (wegen Zusammenhang)
MUSIK DER HABSBURGER
„Er schätzte alle schönen Künste sehr, die Musik aber liebte er ganz besonders. Es ist allgemein bekannt, dass in unserer Zeit alle Meister der Musik in jeder Art Musik und mit allen Instrumenten an seinem Hof aufwuchsen, gleichsam wie in einem fruchtbaren Ackerfeld die Schwämme nach einem Regen. „ Diese Sätze des Chronisten Johannes Cuspinianus über Kaiser Maximilian I. könnten leicht auf alle anderen Kaiser aus dem Hause Habsburg bezogen werden. Musikliebhaber zu sein, war für sie mehr als eine Selbstverständlichkeit höfischer Etikette, es war Passion. Sie konnte leidenschaftlich bis zum Exzess betrieben werden wie von den komponierenden Kaisern Ferdinand III. und Leopold I., sie konnte Aushängeschild des Erzhauses und einer ins Hypertrophe gesteigerten Propaganda sein wie unter Karl VI., oder sie war schlicht Spiegelbild eines tugendhaften Hofes und seiner kunstsinnigen Majestäten, wie es Maria Theresia und ihre Kinder sahen.
All dies war in nuce schon in der Epoche des „letzten Ritters“ Maximilian angelegt, ohne dass der ständig in Geldnöten schwebende Kaiser hätte ahnen können, welche verschwenderischen Summen seine Nachfolger einmal für die Musik ausgeben würden. Die Voraussetzungen für diesen Aufstieg waren zu Maximilians Zeit um 15 00 noch nicht gegeben. Erst musste sich der Hof in Wien fest ansiedeln, erst musste die Gegenreformation das grenzenlose Vertrauen in die verführerische Kraft von Musik schüren, die vom Barock ins Monumentale gesteigert wurde. Erst musste ein Leopold I. den Stamm der Hofmusiker auf 104 erweitern, während sich Maximilian noch mit ganzen 20 bis 30 begnügen konnte.
Was sie auszustehen hatten, die Männer der ersten Stunde, war alles andere als rosig: Der Hoforganist Paul Hofhaimer beklagte sich nicht als einziger, dass man „wie ein Zigeuner durchs Land habe ziehen müssen“. Zwischen dem Wormser Reichstag von 1495 und dem Augsburger Reichstag von 1518 fanden sich die Musiker fast in jedem Jahr an einem anderen Ort wieder: Freiburg, Linz, Augsburg, Hagenau, Köln, Konstanz, Koblenz, Trier und immer wieder Innsbruck. Wien kommt auf den Reiserouten noch kaum vor. Dabei waren Aufenthalte im Gefolge des Monarchen noch mit anderen Risiken behaftet: Als ihm während des Wormser Reichstags wieder einmal das Geld ausging, lies Maximilian seine Musiker ohne Honorar. Die aber hatten bei Wormser Bürgern Schulden gemacht, und so blieben sie am Rhein vorerst „liegen“ (eine dezente Formulierung für Schuldhaft).
Keine einfachen Zeiten also, jene Anfänge der nachmals so glänzenden habsburgischen Hofmusik. Dass man dennoch auch unter solchen Bedingungen zauberhafte Musik machen konnte, lehrt unser Konzert. Der erste Teil ist der Epoche Maximilians und seines Enkels Karl V. vorbehalten. In der zweiten finden wir uns im Barock wieder, zwischen Oper, Sonate und gegenreformatorischer Kirchenmusik, in einer Zeit, als die Kaiser selbst komponierend zur Feder griffen.
LIEDER FÜR MAXIMILIAN I.
Im Weisskunig, jenem Tugendspiegel aus der Feder des Marx Treitsauerwein, in dem sich die Herrschergestalt Maximilians abzeichnet, ist auch von der Musik die Rede: „Als er zu seiner gewaltigen Regierung kam, ist er zuerst im Lob Gottes König David nachgefolgt. Er hat eine Kantorei errichtet mit lieblichem Gesang von Menschenstimmen, wunderlich zu hören, und mit süßem Saitenspiel.. Sie unterhielt er für und für, wie es einem großen Fürstenhof geziemt. „ (Weisskunig, Teil 11, 32. Kapitel)
Auf „lieblichem Gesang und süßem Saitenspiel“ ruht auch unser Konzert: Ein Gambenquartett, verstärkt durch eine Laute, spielt teils alleine, teils zur Begleitung eines Tenors, Die Musiker, die Maximilian mit solchen Klängen erfreuten, waren handverlesene Restbestände zweier berühmter Ensembles der Epoche. Der Kaiser „beerbte“ seinen Schwiegervater Karl den Kühnen von Burgund und seinen Innsbrucker Onkel Herzog Sigismund von Tirol.
Innsbruck war das eigentliche Zentrum dieser neu gegründeten habsburgischen Hofmusikkapelle. Dort stellten sich in den 1480er Jahren jene Musiker vor, durch die die Stadt im Herzen Tirols wenig später Weltgeltung erlangte: Heinrich Isaac, Paul Hofhaimer und Arnold Schlick. . Ersterer, von 1497 bis um 1510 Maximilians Hofkomponist, verlieh mit seinem Lied Innsbruck, ich muss dich lassen der Epoche ihren berühmtesten musikalischen Ausdruck. Tenorlieder in deutscher Sprache waren nur eine Facette in Isaacs überreichem Schaffen. Er beherrschte alle Genres von der französischen Chanson über das italienische Madrigal bis zur Frottola, von der Messe bis zu den kleinen Formen lateinischer Kirchenmusik. Isaac gehörte zu jenen internationalen Berühmtheiten der Renaissance um 1500, die wie da Vinci oder Josquin Desprez von Hof zu Hof herumgereicht wurden. Im Gegensatz zu seinem Konkurrenten Josquin, von dem wir eines der beiden berühmten Ave Maria hören, galt Isaac als fleißiger und pünktlicher Arbeiter, der zudem billiger war als der berühmte Franko-Flame. Diese Auskünfte verdanken wir einem italienischen Beamten, der für den Herzog von Ferrara potentielle Kapellmeister-Kandidaten prüfen sollte.
In den Liedern unseres Programms wird etwas vom internationalen Flair jener Zeit um 1500 spürbar: eine französische Chanson Ces facheux sotz, ein lateinisches Ave Maria, die deutschen Lieder Maria zart und das berühmte Elslein, ach Elselein vermitteln einen guten Eindruck von jenem Repertoire, das man nicht nur in Insbruck, sondern auch in Florenz, Mainz, Paris oder Brügge aufführte. Selbst die protestantische Seite mischte sich ein, wie unser kleiner Block von Bearbeitungen des Elsleins zeigt. Die Gambenfassung stammt aus einem Druck von Georg Rhai, der als Propagandist der Reformation in Wittenberg agierte. Auch Organisten wie Paul Hofhaimer, der immerhin auf dem berühmten Triumphzug Kaiser Maximilians porträtiert ist, beteiligen sich am internationalen „Liedermarkt“.
INSTRUMENTALSTÜCKE
Der Notendruck war der wichtigste Motor für die Instrumentalmusik nach 1500. Der venezianische Verleger Petrucci warf in atemberaubendem Tempo immer neue Bände mit Lautenstücken und Consortmusik auf den Markt. Das vierte Lautenbuch, das er herausbrachte, stammte von dem Mailänder Joan Ambrosio Dalza, einem „excellente musico e sonator de lauto“, der seine Tänze zu dreisätzigen Suiten @ der Satzfolge Pavane-Saltarello-Piva zusammenstellte. Wir hören eine Piva für Laute, gestützt von einem Bordun der Gamben.
Das Stück von Franciscus Bossinensis heißt Ostinato nicht nur deshalb, weil die Musik auf einem Ostinato beruht, sondern weil der Anfang des gesungenen Textes Ostinato vo seguire lautet. Der Name des Komponisten verweist auf seine Herkunft aus einem Land, das erst viel später habsburgisch wurde: Bosnien.
Neben Dalza waren die wichtigsten Lautenisten vor 1550 Francesco Canova da Milano in Rom, Hans Judenkünig in Wien und Hans Neusiedler in Nürnberg. Der in Monza bei Mailand geborene Francesco Canova wirkte als Lautenist an den Höfen zweier großer Renaissancepäpste: unter Clemens VII. Medici und Paul 111. Farnese. Durch letzteren lernte er auch Kaiser Karl V. kennen, der sein Spiel in Nizza bewunderte. Die Stücke Canovas wurden über ganz Europa verbreitet. Kein Zeitgenosse wurde in mehr Ländern auf der Laute gespielt, keiner höher gespriesen als er.
Der Schwabe Judeakünig war der erste, der Lautenstücke der Italiener nach Wien brachte, wo er 1523 eine Unterweisung im Lautenspiel veröffentlichte. Er begründete damit die goße Tradition des Lautenspiels in Wien, die bis ins späte 18. Jahrhundert reichen sollte. Der wesentlich jüngere Nürnberger Neusiedler gehört schon in die Epoche der Habsburger-Kaiser Karl V, und Ferdinand 1. Er setze die Tradition der Lautentänze seiner italienischen Kollegen auf deutschem Terrain fort, indem er sie als Welsche Tänze publizierte und Einheimisches wie den Hupf auff hinzugab.
Im instrumentalen Ensemble der Renaissance regierten ebenso feste Genres wie in der Lautenmusik. Eines der wichtigsten war die Diminution, die instrumentale Übertragung uns auszierende Bearbeitung eines (im Original gesungenen) Madrigals O felici occhi miei.
KOMPONIERENDE KAISER
Mit der zweiten Hälfte des Programms vollziehen wir, wie bereits angedeutet, den Schritt von der Renaissance ins Barock. An den Klangmitteln ändert sich wenig, wohl aber am Geist der Musik: Nun regieren die Sonate, die Oper und die Kirchenmusik der Gegenreformation, verbunden mit neuen Inhalten und einem neuen Ausdrucksideal. Während der Tenor in den Liedern der Renaissance, eingebettet in einen Satz gleichberechtigter Stimmen, schlichte Weisen singt, wird er hier – bei Monteverdi – zum Herrscher über die Opernbühne. Sein Hofstaat ist das Opernorchester, das ihm zu dienen hat, sein Standesabzeichen die Koloratur, die aus dem schlichten Liedsänger von einst den Virtuosen der Singstimme macht. Francesco Rasi, der erste Orfeo in Monteverdis Oper von 1607, war nur einer der Protagonisten dieses Wandels. Etwas vom Glanz seiner Opernauftritte strahlte auch auf die Kirchenmusik der Epoche aus.
Die Instrumente suchten sich ebenfalls andere Rollen. Über dem neu erfundenen Basso continuo begann sie, sich vom Kontrapunkt zu lösen. Aus dem kompakten Consort der Renaissance wurde der Concentus musicus konzertierender Einzelstimmen des Barock.
Nicht alles von diesen Sensationen eines bewegten Jahrhunderts haben die vier Komponisten unseres Programms mitgemacht, denn zwei von ihnen waren selbst regierende Kaiser und als solche eher dem konservativen Geschmack zugeneigt. Wie so oft waren es die Frauen in ihrem Leben, die Ferdinand 111. und seinen Sohn Leopold 1. auf den Geschmack an der Musik brachten. Ferdinands Stiefmutter war Eleonora Gonzaga, eine Tochter jenes Vincenzo Gonzaga, Herzog von Mantua, der Monteverdis Orfeo 1607 in Auftrag gegeben hatte. Eleonora hatte die Uraufführung als Neunjährige in Mantua miterlebt und in den folgenden Jahrzehnten bis zu ihrer Heirat mit Kaiser Ferdinand 11. auch die weiteren Taten Monteverdis im Dienst der Gonzaga. Diesen allerneuesten italienischen Musikgeschmack brachte sie mit nach Wien und übertrug ihn besonders auf den kleinen Ferdinand, ihren Stiefsohn, der ihr gelehriger Schüler war. Als Ferdinand selbst Kaiser war, heiratete auch er eine Gonzaga-Prinzessin mit dem Namen Eleonora, und auch sie wurde für ihren Stiefsohn Leopold zur Muse seiner musikalischen Neigungen. Soweit zur italienischen Vorgeschichte der beiden kaiserlichen Werke in unserem Programm.
Wir hören zuerst eine Sonata für vier Gamben und Basso continuo von Leopold I. Der junge Erzherzog, damals bereits designierter Thronfolger, hat sie im Alter von 16 Jahren 1656 geschrieben. Es war einer der frühesten Versuche eines Musikers, der es bis zum Ende seiner Komponistenlaufbahn 1686 auf mehr als 80 Werke bringen sollte. Einige davon, wie etwa die drei Trauerlektionen auf seine 1676 verstorbene zweite Frau oder seine 11 Oratorien, gehören zum besten, was die Epoche hervorgebracht hat. Die große Begabung wird schon in der frühen Quintettsonate deutlich. Leopold hat sie wie alle seine frühen Stücke unter der Anleitung des damaligen Wiener Hofkapellmeisters Antonio Bertali komponiert, dessen Musik wir im letzten Konzert dieser Serie kennen lernen werden. Bereits damals neigte der junge Erzherzog zu Ernst und Feierlichkeit, die auch seine späteren Werke auszeichnen. Aufbewahrt wurden seine Stücke in der so genannten „Schlafkammerbibliothek“ der Wiener Hofburg.
Seinem Vater Ferdinand 111. bescheinigen die Experten ein weniger originäres Kompositionstalent. Seine Werke scheinen schematischer, weniger auffallend genial als die seines Sohnes.
Dies änderte nichts am Elan des komponierenden Kaisers. Wie seine Briefe verraten, trat er sogar mit seinen eigenen Hofkomponisten, besonders Giovanni Valentini, in Konkurrenz: „Gestern habe ich etwas componiert, a 2 tenori. Zu Regenspurg wills Gott wollen wirs hören. vielleicht inzwischen mache ich noch was mehrerß“, schrieb er 163 0 aus Regensburg. 1640 heißt es aus Wien: „Ich hab auch dise Fasten ein Miserere gemacht durch und durch Componirta 12… Ich mein, es kann mit allen des Valentini miserere competiren, sonderlich in ripienis ist universaliter gelobt wurden. „ Unser Beispiel aus Ferdinands Werken ist ebenfalls ein Stück geistlicher Musik, ein Hymnus zu Ehren des Heilands, den der Kaiser im November 1649 komponierte. Er zeigt, wie untrennbar die kaiserliche Idee von der Musik mit der päpstlichen Idee von der Verehrung der göttlichen Personen verknüpft war. Die Pietas austriaca, die sprichwörtliche Frömmigkeit des Erzhauses, bedeutete auch für die komponierenden Kaiser ihre wichtigste Inspirationsquelle.
Die beiden kaiserlichen Musiken werden ergänzt um zwei Werke italienischer Komponisten, die bedeutende Drucksammlungen dem Hause Habsburg dedizierten.
Der aus der Nähe von Bergamo stammende Geiger und Opernkomponist Giovanni Legrenzi widmete sein Opus 10 La Cetra Kaiser Leopold 1. Das 1673 in Venedig publizierte Werk war schon sein viertes Buch mit Sonaten für zwei bis vier Streicher. In unserer c-Moll-Sonate sind es realiter sogar Inf Stimmen vier Gamben und der Bass -, die sich in den hochbarocken Dissonanzen einer faszinierenden Affektmusik ergehen,
Fast siebzig Jahre früher erlebte Norditalien die Premiere von Claudio Monteverdis Orfeo, der ersten voll gültigen Oper der Musikgeschichte. Der aus Cremona stammende Monteverdi sollte im Laufe seines Lebens den Habsburgern gleich mehrere bedeutende Werke widmen. Seine Oper Il ritorno di Ulisse in Patria wurde in Wien aufgeführt. Urheber dieser Verbindungen waren die beiden Kaiserinnen aus dem Hause Gonzaga.
In unserem Programm eröffnet Monteverdis Musik einen kurzen Seitenblick auf die Barocke Oper, die in Wien noch prunkvoller inszeniert wurde als in Mantua, Rom oder Paris. Eine Ahnung von den Reizen dieses Genres gibt uns die Szene, in der Orpheus seinen Vater Apoll um Einlass in die Unterwelt anfleht, Die Tenorstimme zieht hier alle Register des modernen monodischen Gesangs: schnelle passaggi, das recitar cantando, flehentliche Gebärden, Der Text dieser Stelle mutet wie ein Credo der Habsburger in ihrem Verhältnis zur Musik an: „Auf meiner goldnen Leier bewaffne ich meine Finger mit nichts als sanftem Klang, gegen den ein hartes Herz umsonst sich wappne.“ (Karl Böhmer)