„Giunse alfin“ – „Deh vieni“ aus Le nozze di Figaro, Wien 1789
Werkverzeichnisnummer: 3625
2005 RheinVokal
Lilien, Rasierzeug und Pariser Heiterkeit – ein Streifzug durch die Opernwelt
„Susanna“ ist hebräisch und heißt übersetzt „die Lilie“. Die Dienerin Susanna in Lorenzo da Pontes Libretto zur Hochzeit des Figaro hat allerdings so gar nichts Lilienhaftes; weit eher träfe eine robuste Rosensorte ihren Charakter: viel Charme und genauso viele Dornen, die sie mit klarem Kopf, mit Witz und Würde zur Verteidigung ihrer Rechte einsetzt. Graf Almaviva, in dessen Haus Susanna angestellt ist, will an ihr das längst überholte „jus primae noctis“ wiederbeleben – jenes Recht, das dem adligen Herrn die Entjungferung seiner Untergebenen zugesteht. Mit List und Geschick inszeniert Susanna ein Verwirrspiel.
Schon in den ersten Takten der Ouvertüre zu Le nozze di Figaro hat Wolfgang Amadeus Mozart mit brodelnder Melodik angedeutet, dass es Turbulenzen geben wird. Im zweiten Akt gibt sich Susanna noch bedenkenlos einem erotischen Verkleidungsspaß mit Cherubino hin. Für diese Szene schrieb Mozart auf Verlangen der neuen Wiener Primadonna Ferrarese del Bene 1789 eine Ersatzarie, die hier gesungene „Un moto di gioia“ im Walzertakt. Die Ferrarese, im Jahr darauf seine Fiordiligi in Così fan tutte, inklinierte zum pathetischen Stil, weshalb Mozart an ihrer Interpretation der neckischen kleinen Arie von vornherein Zweifel anmeldete: „Das Ariettchen so ich für die Ferraresi gemacht habe, glaub‘ ich soll gefallen, wenn anders sie fähig ist es naiv vorzutragen, woran ich aber sehr zweifle.“
Als der Graf Susanna im Duett „Crudel! Perché finora“ zum Rendezvous bittet, gibt sie vor zu kommen. Statt dessen schickt sie aber die Gräfin – in Verkleidung. Der Graf bemerkt den Trick und rast vor Wut – das Orchester, das seine Arie „Vedrò mentre io sospiro“ mit aufgeregten Figuren begleitet, spiegelt seinen Seelenzustand wider.
Das genaue Gegenstück zu diesem Wutausbruch ist Susannas wunderbare „Rosenarie“: Mit ihrem wiegenden Siciliano-Rhythmus und der Holzbläserbegleitung entwirft sie das Bild einer friedlichen Natur, eines Paradieses – die musikalische Utopie einer Welt, in der die Menschen ohne Standesunterschiede leben. Am Ende siegen dank Susanna (gerade noch) Glück, Treue und beinahe-lilienhafte Reinheit.
Mozarts Zauberflöte steht ganz oben auf der Hitliste der Opernhäuser und beim Publikum. Wir sprechen heute ganz selbstverständlich von Mozarts Stück. Auf dem Theaterzettel der Uraufführung von 1791 ist Mozarts Name indessen verschwindend klein gedruckt; dagegen ist der Name des Librettisten Emanuel Schikaneder so groß geschrieben, als sei die Oper allein von ihm. Schikaneder war ein Multitalent – ein hervorragender Schauspieler, Sänger, Regisseur, Ausstattungskünstler, Dichter und Theaterleiter. In seinem Libretto vermischte er verschiedene Märchenstoffe, Passagen eines französischen Romans und Gedankengut der Freimaurer zu einer reizvollen und bühnenwirksamen Mixtur. Die Rolle des liebenswerten Aufschneiders Papageno schrieb er sich selbst auf den Leib.
Das Libretto zu Gioacchino Rossinis Barbier von Sevilla speist sich aus der selben Quelle wie dasjenige zu Mozarts Figaro, einer Schauspieltrilogie des französischen Dichters Pierre Augustin Caron de Beaumarchais aus dem späteren 18. Jahrhundert. Etliche Komponisten und Librettisten der Zeit entdeckten Beaumarchais-Dramen für sich. Rossini war noch jung, aber schon namhaft, als er seinen Barbier innerhalb weniger Tage komponierte – mit der Absicht, damit ein Konkurrenzwerk des Komponisten Giovanni Paisiello vom Spielplan zu verdrängen, dem ebenfalls der Barbier-Stoff zugrunde lag. Die Uraufführung am 10. Februar 1816 war ein grandioser Misserfolg: Die Anhänger Paisiellos füllten das Theater und machten keinen Hehl daraus, was sie von Rossinis Werk hielten: Sie buhten, pfiffen und zischten es aus. Dennoch: Das Publikum erkannte bald die Schönheit und den Witz der Musik. Und vielleicht hat der Skandal Rossini letztlich sogar genützt: Mit dem Barbier wurde er in ganz Europa berühmt. Im Wiener Kärntnertor-Theater etwa spielte man 1822 eine ganze Saison lang nichts als Rossini. Die Barbier-Ouvertüre hat der Pragmatiker Rossini kurzerhand aus einem älteren Werk übernommen: aus seiner Oper Aureliano in Palmira. In der Arie „Largo al factotum“ lässt der Friseur Figaro einen musikalischen Stoßseufzer los, dass er Mädchen für alles sei, und zwar für die ganze Stadt: Hier jemanden rasieren, dort jemandem die Haare schneiden, dort einen kleinen Liebesbrief überbringen – das alles von Rossini in jenem virtuos-witzigen Plauderton komponiert, der ihn unsterblich machen sollte.
Charles Gounod war von Hause aus Kirchenmusiker. Seit seiner Jugend faszinierte ihn Goethes Faust, und so bat er die beiden Theaterdichter Jules Barbier und Michel Carré, die Tragödie zu einem Opernlibretto umzuschmieden. Die Librettisten strichen beherzt die philosophischen Passagen des Faust heraus und stellten die Gretchen-Tragödie ins Zentrum. Der Operntext schildert, wie Faust sich in Margarethe verliebt, ihr näher kommt und sie wieder verlässt, als Margarethe ein Kind von ihm erwartet, das sie in ihrer Verzweiflung tötet, wie die Kindsmörderin dem Kerker entkommt und schließlich in verklärter Gestalt zum Himmel schwebt. Zwei verschiedene Fassungen existieren von dieser Oper: Die erste enthält gesprochene Dialoge, in der zweiten Fassung ist der komplette Text in Musik gesetzt. Erst in die zweite Fassung hat Gounod die Cavatine von Margarethes Bruder Valentin Avant de quitter ces lieux aufgenommen, ein demütiges Gebet um den Schutz seiner Schwester.
Ein Wechselbad der Gefühle spiegelt die Musik in der „Juwelenarie“ wider: Zunächst ist Margarethe misstrauisch und eher gleichgültig gegenüber dem Schmuckkästchen, das Faust als Geschenk vor ihrer Tür deponiert hat. Als sie dann aber die Ohrringe, Ketten und Armbänder anlegt und einen Blick in den Spiegel wirft, bricht sie in Entzücken aus und wünscht sich, Faust könne sie mit diesem Schmuck in all ihrer Pracht sehen.
Das Autorenduo Michel Carré und Jules Barbier lieferte auch den textlichen „Rohstoff“ für Jacques Offenbachs Hoffmanns Erzählungen: Ursprünglich ein Sprechtheater-Stück, verwandelte es Carré in ein Opernlibretto. Die Oper ist eines der bedeutendsten Werke Offenbachs und gleichzeitig sein letztes. Die Uraufführung in der Pariser Opéra comique am 10. Februar 1881 erlebte der Komponist nicht mehr; von einigen Teilen der Oper hinterließ er nur ein Klavierparticell, gleichsam eine Schwarz-Weiß-Version der Musik, die ein Kollege instrumentierte. In der Arie Les oiseaux dans la charmille singt die schöne Olympia von der Liebe; ihr Verehrer lauscht entzückt. Die Musik verrät mit ihren abgehackten Phrasen und Floskeln, was der gute Mann erst später bemerkt: Olympia ist eine Aufziehpuppe!
Gaîté Parisienne – „Pariser Heiterkeit“ – nannte der Komponist Manuel Rosenthal seine Ballettmusik für das Ballett von Monte Carlo, in der er Melodien von Offenbach verarbeitete. Alles ist hier lebendig und spritzig, heiter und graziös. Die Uraufführung 1938 versetzte das Publikum in schiere Freudentaumel, und bis heute hat die Begeisterung nicht nachgelassen. Doris Blaich
2005 RheinVokal
Akademie anno 1790
Manchmal stellt sich einer dramaturgischen Idee die Macht des Faktischen entgegen. Als die Sopranistin Heidrun Kordes vor zwei Tagen wegen einer Halsentzündung ihre Mitwirkung beim heutigen Konzert absagen musste, schien unser Versuch, eine höfische „Akademie“, sprich: ein Sinfoniekonzert aus dem Koblenz des Jahres 1790 zu rekonstruieren, zum Scheitern verurteilt. Zuvor hatte sich bereits die ursprünglich angekündigte Sopranistin Estelle Kruger wegen ihrer Schwangerschaft aus dem Projekt zurückziehen müssen.
Dankenswerterweise hat die junge Sopranistin Thora Einarsdottir vom Staatstheater Wiesbaden die Sopranpartie übernommen und sie sich innerhalb von zwei Tagen „draufgeschafft“ – eine bewundernswerte Leistung, singt sie doch u.a. eines der Glanzstücke aus den Koblenzer Programmen jener Jahre: Antonio Sacchinis Koloraturarie Ah, se in ciel benigne stelle. Das ein oder andere Stück des Programms, das wir ursprünglich vorgesehen hatten, um so originalgetreu wie möglich zu sein, musste im Zuge der Umbesetzungen zwar fortbleiben, doch die Idee war gerettet.
Ein weiteres Hindernis auf dem Weg zu unserer Konzert-Rekonstruktion war die Materialbeschaffung für viele Arien, etwa aus Domenico Cimarosas Olimpiade. Selbst wenn die Musikwissenschaft wie in diesem Fall von der Oper eine Partitur im Neudruck vorgelegt hat, bedeutet dies noch lange nicht, dass auch das zugehörige Orchestermaterial zur Verfügung steht. Die Herstellungskosten für ein exakt rekonstruiertes Koblenzer Konzertprogramm mit seinen acht bis zehn heute durchweg vergessenen Arien würde leicht in die Tausende gehen – vorausgesetzt, man fände überhaupt Sänger und ein Orchester, die bereit wären, sich für nur einen Abend diese Raritäten zu erarbeiten.
Wir sind glücklich, dass sich Thora Einarsdottir, Carsten Süß und die Rheinische Philharmonie unter Paul Goodwin auf dieses Wagnis eingelassen haben. Trotz mancher Kompromisse sind wir nahe an der Koblenzer Historie „anno 1790“. Die hier gesungenen Mozartstücke sind tatsächlich in Koblenz zwischen 1787 und 1794 aufgeführt worden. Aus dem reichen Katalog an Mozart-Zeitgenossen, den die Programme verzeichnen – Namen wie Monza, Myslivecek, Sarti, Sales, Cimarosa und Paisiello ?, sind zumindest drei vertreten: Rosetti, Sacchini und Traetta.
Dass wir überhaupt so gut über das Repertoire der höfischen Konzerte in den Schlössern zu Ehrenbreitstein, Koblenz, Kärlich und Kesselheim informiert sind, hat man einem glücklichen Umstand zu verdanken: Das Landeshauptarchiv Koblenz verwahrt die höfischen Konzertprogramme aus den Jahren 1783 und 1787-1792 nahezu lückenlos. Sie enthalten den Titel der Arien und den Namen des Komponisten, wodurch sich alle gesungenen Stücke genau bestimmen lassen. Die Sinfonien und Solokonzerte dagegen sind nur mit dem Komponistennamen bezeichnet, so dass man hier die Stücke frei wählen muss (bzw. kann).
Dieser dichte Bestand an Programmen ist für die Mozartzeit in Deutschland ein Unikum. Selbst aus bedeutenderen Residenzen wie Mannheim oder München haben sich nur spärliche Fragmente der Programme erhalten. Die höfische Verwaltung in Koblenz hat gewissenhaft gearbeitet und uns damit einen Schatz an historischen Programmen der Klassik beschert, der noch gehoben sein will. Er führt uns ans Konzertleben der Mozartzeit so nahe heran wie kaum eine andere vergleichbare Quelle aus jenen Jahrzehnten. Diesen Schatz einmal zu nutzen, haben wir uns für den heutigen Abend beim Festival RheinVokal vorgenommen.
Arien und Sinfonien
Der Grundaufbau der Koblenzer Akademien jener Jahre war stets gleich: Je eine Sinfonie zu Beginn und am Ende umrahmten eine Folge von Arien und vokalen Ensembles – so auch heute abend. Was fehlt, ist ein Solokonzert, das man immer dann einfügte, wenn ein reisender Virtuose sich bei Hofe hören lassen wollte. In unserem Konzert bleiben Sopran und Tenor die einzigen Solisten. Dem Koblenzer Publikum von damals wäre dies spartanisch vorgekommen. Die vom Kurfürsten Clemens Wenzeslaus fest bestallten Hofsänger hatten natürlich bei der wöchentlichen Akademie zu erscheinen. Konzerte mit bis zu sechs verschiedenen Sängerinnen und Sängern und entsprechend vielen Arien und Ensembles waren deshalb keine Seltenheit.
Da sie Arien oder ganze Szenen aus mehr oder weniger aktuellen Seria-Opern sangen, eignete einem solchen Abend auch ohne Kostüm und Bühne eine gewisse Theatralik – Ersatz für die italienische Hofoper, die es in Koblenz nicht gab. Auch diese Nähe zur italienischen Oper lässt unsere Akademie spüren. Wir erleben Mozarts Ilia und Susanna, Sacchinis chinesischen Prinzen Siveno und Traettas persischen König Cosroe in bewegten Situationen.
Rosetti-Sinfonie
Für gewöhnlich stand in Koblenz eine Sinfonie am Anfang. Kein Sinfoniker der Zeit wurde dafür häufiger herangezogen als Antonio Rosetti. Der Tscheche Anton Roesler, der sich in den Diensten des musikliebenden Fürsten Kraft Ernst von Oettingen-Wallerstein seinen italianisierten Namen gegeben hatte, galt als der vielseitigste und gewandteste Sinfoniker im Schatten Joseph Haydns. Kurfürst Clemens Wenzeslaus schätzte seine geistreichen, nicht zu komplexen, aber brillant instrumentierten Werke so sehr, dass er ihm nicht nur eine goldene Uhr nach Walllerstein sandte, sondern auch eigens neue Sinfonien für seine Hofkapelle bei ihm in Auftrag gab. Außerdem waren die beiden deutschen Passions-oratorien des Komponisten – Der sterbende Jesus und Jesus in Gethsemane – fester Bestandteil der aufwendigen Oratorienkonzerte, die man in Koblenz während der Fastenzeit durchführte.
Die hier gespielte Sinfonie, die ihrem Beinamen La chasse (Die Jagd) im weidmännischen Finale alle Ehre macht, schrieb Rosetti bei seinem Paris-Besuch 1782 für das Orchester des Concert spirituel – dasselbe, dem Mozart vier Jahre zuvor seine Pariser Sinfonie gewidmet hatte. Wie sein Vorgänger aus Salzburg bemühte sich auch Rosetti um Überraschungseffekte, mit denen er das träge Pariser Publikum aus den Sitzen heben konnte. Gleich zu Beginn wird der Ton D von Halben bis zum Tremolo beschleunigt – von Null auf Hundert in zehn Sekunden gewissermaßen – bei gleichzeitigem Crescendo ein Knalleffekt. Ganz ähnlich wie in Mozarts Pariser Sinfonie hören wir in Rosettis Orchester bewegte Bässe, schmachtende Geigenfiguren, einen Holzbäsersatz mit Klarinetten und auftrumpfende Trompeten und Hörner plus Pauke. Dem „brausenden und rauschenden“ Pariser Orchester war diese Musik ebenso angemessen wie der Koblenzer Hofkapelle, die das Stück aus der Pariser Druckausgabe von 1787 sicher gespielt hat. Der langsame Satz ist eine ganz Pariserische Romance, von den Holzbläsern angestimmt und von den Streichern im Pizzicato beantwortet, mit einem Moll-Mittelteil der Streicher coll’arco. Das Menuett ergeht sich in pompösen punktierten Rhythmen alla française, während das Finale den typischen Sechsachtel-Galopp und die Hornsignale einer „Jagd“ mit einem Haydnesken Thema verbindet.
Arien von Traetta und Sacchini
Solcherart eingestimmt auf einen effektvollen Abend wandten sich die Koblenzer Zuhörer ihrem eigentlichen Vergnügen zu: den Arien ihrer Hofsänger. Carsten Süß tritt heute abend in die Fußstapfen des großen Tenors Jakob Lindpaintner (dessen Sohn später in München als Komponist Karriere machte). Er singt eines seiner Paradestücke: die Arie Gelido in ogni vena aus dem Siroe von Tommaso Traetta (als Vorabdruck aus der Gesamtausgabe in den Denkmälern der Tonkunst in Bayern). Das Libretto des Wiener Hofdichters Metastasio war in der Vertonung von Traetta 1767 im Münchner Cuvilliéstheater in Szene gegangen und erschütterte noch 1784 das Koblenzer Publikum. Der Perserkönig Cosroe hat seinen Sohn Siroe unschuldig ans Messer geliefert (so glaubt er zumindest). Das Blut erstarrt ihm in den Adern ob seiner Schuld, und er sieht den Schatten des verbluteten Sohnes vor sich. Bei Traetta lassen der dunkle Orchesterklang, wandernde Basslinien und Tremolo Cosroes Schuld und den Geist des Sohnes erahnen. Der in Wien, Petersburg und Parma gefeierte Süditaliener wird in dieser Arie seinem Ruf als Konkurrent Glucks gerecht.
Thora Einarsdottir schlüpft in unserem Konzert in die Rollen verschiedener Hofsängerinnen. 1783 sang die Sopranistin Maria Katharina Reisinger die Arie Ah, se in ciel benigne stelle von Antonio Sacchini zu Ehrenbreitstein im Hofkonzert. Der Text stammt aus Metastasios Operngeschichte vom „Chinesischen Helden“ (L’eroe cinese) und ist dem Prinzen Siveno in den Mund gelegt. Als Sacchinis Oper anno 1770 zu München ihre Premiere feierte, war es ein Soprankastrat, der diese Arie sang: Venanzio Rauzzini, besser bekannt als der Solist, für den Mozart sein Exsultate, jubilate komponiert hat. Zu den Zuhörern der damaligen Münchner Aufführung gehörte Marie Antoinette, die sich gerade anschickte, französische Königin zu werden. Sacchinis Arie hat sie nie vergessen, sondern holte den Florentiner später nach Paris, wo er in den 1780er Jahren Triumphe feierte.
Kaum ein Komponist der Zeit hat so schöne, Mozart nahe stehende Melodien geschrieben wie Sacchini. Dies hat auch Mozart selbst gespürt, als er dieses wunderschöne, prachtvoll dahinfließende Koloraturstück zur Vorlage nahm, um seine eigene Fassung von Ah, se in ciel (KV 538) zu schreiben – eine Verneigung vor Sacchini.
Mozart-Arien
Der Name „Mozart“ taucht in den Koblenzer Programmen zuerst 1787 mit einer Sinfonie und einem Klavierkonzert auf, danach immer häufiger auch mit Arien. Dies hatte zwei Gründe: In Koblenz war man für Instrumentalwerke auf gedruckte Materialien angewiesen (schon damals!), und erst 1785 begannen die Wiener Verlage, erste Sinfonien und Klavierkonzerte von Mozart zu drucken. Was den Opern- und Arienkomponisten Mozart anbelangt, war es in Koblenz wie andernorts seine Entführung aus dem Serail, die ihm den Weg in die Ohren und Herzen des Publikums bahnte. Nachdem man mit der Türkenoper 1787 das Koblenzer Theater eröffnet hatte, begann man, sich auch für seine italienischen Opern und Arien zu interessieren.
Dass man dabei ausgerechnet auf Idomeneo stieß, jene Münchner Opera seria von 1781, die ihr Schöpfer vergeblich an andere Bühnen zu übertragen versucht hatte, hing mit Verbindungen nach Mannheim zusammen. Die Sopranistin Katharina Carnoli, die für eine Akademie im November 1790 die große Szene der Ilia vom Beginn des Idomeneo auswählte, war in Mannheim Schülerin der Primadonna Dorothee Wendling gewesen. Für diese wiederum, seine enge Freundin, hatte Mozart in München die Partie der Ilia geschrieben.
Es ist eine große, dramatische Szene, die Mozarts tragisch-mythologische Oper eröffnet: Ilia, Tochter des Königs Priamos, ist nach dem Fall ihrer Heimat Troja einem der griechischen Sieger, dem Kreterkönig Idomeneos, zugesprochen worden. Er hat sie mit dem Schiff vorausgesandt – als Sklavin, die sich dennoch sofort in den Sohn des Königs, Idamantes, verliebt. Zu Beginn der Oper ist sie hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Neigung, wie das große Accompagnato-Rezitativ offenbart. Doch schon hier wie auch später in ihrer düster-bewegten g-Moll-Arie setzt sich die frisch aufkeimende Liebe gegen die Schatten der Vergangenheit durch.
Eine weitere Arie aus dem Bereich der Opera seria, des römischen Kaisers Titus Gebet Se all’impero, amici Dei, erklingt in unserem Konzert in Mozarts Vertonung. In Koblenz gab man sie im Februar 1791 mit Musik des Hofkapellmeisters Pompeo Sales, doch ist diese Arie leider verloren. Solist war natürlich wieder Lindpaintner, der in die Rolle des milden und erhabenen Imperators gerne hineingeschlüpft ist.
Auch die späteren Wiener und Prager Opern Mozarts hat man in Koblenz geliebt und aufgeführt. Dafür sorgte schon die „Böhmsche Theatertruppe“, die ab 1787 das neu erbaute Theater bespielte. Der Impresario Böhm war ein Freund Mozarts und sorgte dafür, dass seine Opern am Rhein bald mehr Anklang fanden als an der Donau. Im Zuge dieser „Mozartpflege“ auf dem kurtrierischen Theater ist auch so manche Opernarie in die höfischen Konzertprogramme eingeflossen.
Die Arien des Belmonte konnten die Koblenzer in ihrem Theater allenthalben hören, blieb Die Entführung aus dem Serail doch ab 1787 für Jahre eine Zugnummer auf dem Spielplan. Arien aus Figaros Hochzeit waren im Hofkonzert auf Italienisch früher zu hören als in deutscher Übersetzung auf dem Theater. Dazu gehörte auch Susannas Szene Giunse alfin il momento aus dem 4. Akt. Anstelle der heute so beliebten „Rosenarie“ sang die Sopranistin Carnoli im November 1790 die zweite Wiener Fassung dieser Szene, in der Mozart das liebliche Deh vieni durch ein virtuoses Rondò ersetzt hatte (Al desio di chi t’adora). Thora Einarsdottir griff in der Kürze der Zeit doch wieder auf die Rosenarie zurück.
Mozart-Sinfonie
Mit der Aufführung mehrerer Mozart-Sinfonien in den Jahren 1787-1790 betrat die Koblenzer Hofkapelle ausgesprochenes Neuland. Als Sinfoniker stand Mozart damals noch völlig im Schatten Joseph Haydns – nicht so in Koblenz, wo man Haydn nur ganz selten spielte. Mozarts Sinfonik dagegen fand großen Anklang bei dem Orchester, das mit vielen jungen Musikern aus Mannheim besetzt war, wo man Mozarts Musik kannte und liebte.
Für die Sinfonien in den Akademie-Programmen gibt es wie gesagt außer dem Komponistennamen keine näheren Hinweise. Wir entschieden uns für die große Es-Dur-Sinfonie, die erste der drei letzten Mozart-Sinfonien aus dem Jahre 1788. Sie gehört zu den wenigen Sinfonien des Komponisten, die Klarinetten enthalten, und auf seine Klarinettisten war Kurfürst Clemens Wenzeslaus besonders stolz. Er hat sie gelegentlich an andere Höfe ausgeliehen, wo man noch nicht über Klarinetten verfügte. Über die Musik dieses allseits bekannten sinfonischen Meisterwerks erübrigen sich weitere Worte.
Karl Böhmer