Quartett A-Dur für Klavier, Violine, Viola und Violoncello, op. 26
Werkverzeichnisnummer: 364
1. Allegro non troppo
2. Poco Adagio
3. Scherzo. Poco Allegro
4. Finale. Allegro
DIE ERSTEN KAMMERMUSIKEN, mit denen der junge Brahms den Anspruch der “Neuen Bahnen” einlöste, waren sein H-Dur-Klaviertrios in der Urfassung und drei Klavierquartette, die er 1855, im Alter von 22 Jahren, begann. Die ersten beiden in g und A vollendete er 1861, das dritte in cis sogar erst 1875, um es schließlich doch noch – in einer revidierten Fassung in c – zu veröffentlichen. Auch für die beiden anderen ist von solchen grundlegenden Abweichungen zwischen den Frühfassungen und den heute bekannten gedruckten Versionen auszugehen. Der hyperkritische Brahms räumte offenbar, belehrt durch die Erfahrungen mit dem ersten Klaviertrio, den Klavierquartetten eine längere Reife- und Erprobungszeit ein, wie die Aufführungsgeschichte des A-Dur-Quartetts beweist. Während das Schwesterwerk Opus 25 bereits unmittelbar nach der Vollendung zur Uraufführung gelangte, ließ er sein Opus 26 noch ein weiteres Jahr liegen, bevor er im November 1862 an die Vorbereitung der Wiener Premiere ging. Im Zuge der Proben mit dem Hellmesberger-Quartett tauschte er ganze Passagen im Streichersatz aus, veränderte Lagen und Stimmführungen, ja sogar Motive. So hat er etwa für die verschwimmenden Klangkonturen zu Beginn des Adagios erst in den Proben die perfekte Balance gefunden. Die Fülle der Änderungen läßt sich noch heute am Autograph der Partitur ablesen, das zum Nachlaß des Pianisten Rudolf Serkin gehört.
Der erste Satz ist einer der bedeutendsten im Frühwerk von Brahms; er bezieht die Durchführungstechnik des Sonatensatzes nicht auf die Melodik und Harmonik, sondern auf den Rhythmus. Das Klavierthema des Anfangs besteht aus Achteltriolen und Dreiergruppen von einfachen Achteln, und genau um diesen Gegensatz kreist der gesamte Satz. Über diese strukturelle Ebene hinaus hat der junge Komponist hier mit verschwenderischer Hand gesangliche Themen ausgestreut, die teilweise stark an Schumann erinnern. Typisch für Brahms ist dagegen die radikale Umwandlung der Themencharaktere in der Durchführung: lyrische Gebilde werden in ihr dramatisches Gegenteil verkehrt, das spielerische Hauptthema in einen melancholischen Gesang verwandelt.
Das Poco Adagio hat durch seine “claire de lune”-Effekte, seine düsteren Klavierarpeggi und das schmerzliche Zwischenthema stets zur biographischen Interpretation herausgefordert, doch man sollte nicht vergessen, daß es auf einer einfachen Idee beruht: eine Klaviermelodie, von den Streichern con sordini umspielt, wandert in der Reprise in die hohe Streicherlage senza sordino. In der Mitte hat Brahms dem verehrten Vorbild Mozart mit einigen Streichtriotakten von himmlischer Schönheit seine Referenz erwiesen.
Das Scherzo sollte man wörtlich verstehen: als Scherz, denn es nichts anderes als eine Zitatensammlung. Sein Thema stammt aus Bachs 4. Cembalopartita, ein Überleitungsmotiv aus Schuberts B-Dur-Klaviertrio, das 2. Thema aus Schumanns A-Dur-Streichquartett. Auf dieses heitere, kontrapunktisch meisterhafte Spiel mit Versatzstücken folgt ein wildes, betont Brahms’schesTrio. Das Finale ist, wie der entsprechende Satz des g-Moll-Quartetts, im ungarischen Stil gehalten, was zunächst nichts mit der Übersiedlung des Komponisten nach Wien zu tun hat. Schon viel früher wetteiferte Brahms mit seinem Geigerfreund Joseph Joachim im magyarischen Genre, wobei der gebürtige Ungar Joachim dem Norddeutschen Brahms angesichts der Klavierquartette den Sieg zugestand. Im Milieu der K. und K. Metropole entpuppte sich dieser freundschaftliche Wettstreit für Brahms dann allerdings als eine Quelle sicheren Erfolgs.