Tango Suite (1984) Arrangement von Fraser Jackson
Werkverzeichnisnummer: 3557
1. Allegro, libero – Lento, molto cantabile – Tempo I
2. Andante rubato, melancolico – Adagio, molto rubato
3. Allegro – Più mosso, ma pesante
2005
ASTOR PIAZZOLLA
Tango Suite
Unter den vielen Geschichten, die der argentinische Altmeister des Tango aus seinem langen Leben zu erzählen wusste, ist vielleicht diejenige seiner Begegnung mit Nadia Boulanger in Paris die schönste. Piazzolla kam vom Tango her, sein Instrument war das Bandoneon, eine argentinische Harmonika, doch er war zugleich ein hoch begabter Komponist. Also wurde er vom größten argeninischen Komponisten Alberto Ginastera auf die Pfade der europäischen Klassik geleitet und begann, Sinfonien zu schreiben. Mit diesen großen Werken im Gepräck trat er die Reise nach Paris an, wo er wie zahllose andere Komponisten aus Nord- und Südamerika bei der legendären Nadia Boulanger studierte. Doch lassen wir den Rest der Geschichte ihn selbst erzählen:
„Als ich sie traf, zeigte ich ihr meine Tonnen voller Sinfonien und Sonaten. Sie schaute sie durch und fällte dann ein erschütterndes Urteil: „Sehr gut geschrieben!“ sprach sie, unterbrach mit einem Punkt so groß wie ein Fußball und fuhr nach einer langen Pause fort: „Hier klingt es wie Strawinsky, dort wie Bartók, da wie Ravel. Nur Piazzolla kann ich nirgendwo finden.“ Dann fragte sie mich über mein Privatleben aus, ob ich eine Frau oder eine Freundin hätte, sie war wie ein FBI Agent! Ich schämte mich, ihr zu erzählen, dass ich Tango-Musiker sei. Ich sagte ihr, ich spielte in einem Nachtclub, weil ich das Wort ‚cabaret‘ vermeiden wollte. Sie antwortete ‚Night club, mais oui, but that is a cabaret, isn’t it?‘ Ich musste es bejahen und dachte, ich erschlage diese Frau mit einem Radio – sie zu belügen, war nicht leicht! Sie fragte weiter: ‚Sie sind kein Pianist. Was ist ihr Instrument?‘ Ich wollte ihr nicht sagen, dass ich ein Bandoneon-Spieler war, weil ich dachte, dann wirft sie mich aus dem vierten Stock! Endlich gestand ich und sie bat mich, ein paar Stücke zu spielen. Plötzlich öffnete sie sie Augen und sagte: „Sie Idiot! Das ist Piazzolla!‘ Und ich nahm die ganze Musik, die ich die letzten zehn Jahre geschrieben hatte, und sandte sie zur Hölle. Ich studierte bei ihr 18 Monate, die mir halfen wie 18 Jahre, denn sie lehrte mich, an Astor Piazzolla zu glauben, und daran, dass meine Musik nicht so schlecht war wie ich gedacht hatte. Ich hatte geglaubt, ich sei ein Stück Dreck, weil ich in einem Cabaret Tangos spiele, doch gerade das war ja mein Stil. Es war die Befreiung vom verschämten Tangospieler zu einem selbstbewussten Komponisten.“
Als Piazzolla diese Geschichte kurz vor seinem Tod 1992 einem Journalisten in einem Interview erzählte, war er bereits längst zum Großmeister des Tango nuevo avanciert. Aus der einstmals belächeltenund verachteten Musik der Kabaretts hatte er eine große Form zeigenössischer Kunst gemacht, angereichert mit klassischer Harmonik und Instrumentation, mit Einflüssen des Jazz und der Neuen Musik.
In mehreren zyklischen Kammermusikwerken ist Piazzolla zu den Ursprüngen des Tango zurückgekehrt, zu jenen Instrumenten, auf denen er in den Bordellen von Buenos Aires zuerst erklang: Flöte und Gitarre. Neben der Histoire du Tango für Flöte und Gitarre ist es besonders die Tango Suite für zwei Gitarren. Auf die Originalfassung von 1984 folgten – wie bei vielen Piazzollastücken – Bearbeitungen, so auch Fraser Jacksons Fassung für vier Fagotte.
Der Abstand zwischen dem originalen Klang der beiden Gitarren und dem eines Quartetts aus tiefen Rohrblattinstrumenten könnte kaum größer sein; umso anspruchsvoller die Aufgabe an die Interpreten, im ungewohnten Medium echtes Tango-Gefühl aufkommen zu lassen. Gleich im ersten Satz müssen die Bläser Schlagzeugklänge mit Füßen und Händen produzieren, wie es Gitarristen normalerweise auf dem Corpus ihres Instruments tun. Später werden Glockenklänge und Imitationen des Rasguado auf der Gitarre verlangt. All dies trägt zur originalen Atmosphäre der drei langen, anspruchsvollen Sätze bei, in deren Verlauf jeweils mehrere Tangomelodien in freier Weise entwickelt werden. Der zweite Satz hat den Charakter eines langsamen Satzes zwischen schnellen Ecksätzen.