Quintett D-Dur, op. 91,3
Werkverzeichnisnummer: 3552
1. Lento – Allegro assai
2. Adagio
3. Menuetto
4. Finale
2005
ANTON REICHA
Quintett D-Dur, op. 91,3
Seinem Freunde Chevalier de la Combe, Oberst der Artillerie, widmete der Pariser Komponist Antoine Reicha 1818 sein Opus 91, sechs Quintette für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott. Es war die zweite Serie von sechs Reichaschen Bläserquintetten, die im damaligen Musikleben als absolute Neuheit empfunden wurden, obwohl neben Rosetti auch Giuseppe Cambini bereits früher Beispiele dieses Genres verfasst hatte. Es war jedoch erst der angesehene Kontrapunkt-Professor Reicha, der am Pariser Conservatoire das Bläserquintett aus dem Stadium des Experiments in das der Praxiserprobung überführt hatte. Mithilfe seiner Professorenkollegen an den fünf Bläserklassen des Konservatoriums testete er systematisch die Klangmöglichkeiten der Besetzung aus, um damit der Königsgattung der Kammermusik, dem Streichquartett, Konkurrenz zu machen. 1811 begann er mit den Erprobungen, 1814 waren sie so weit gediehen, dass er den Prototyp eines ersten viersätzigen Quintetts in einem Konzert im Conservatoire vom Stapel lassen konnte. 1817/18 legte er insgesamt 12 Quintette im Druck vor. Innerhalb weniger Jahre waren sie in Paris so beliebt, dass das Publikum eigens in Soiréen strömte, um Reichas Quintette zu hören.
Das Reizvolle dieser Stücke liegt darin, dass sie sich kompositorisch auf dem Niveau des klassischen Streichquartetts bewegen, vergleichbar etwa mit frühem Beethoven oder mittlerem Haydn, dafür aber die viel heikleren Bläserklangfarben benutzen. In unserem Beispiel, dem D-Dur-Quintett, op. 91,3, wandern die Themen von Stimme zu Stimme in sogenannter “durchbrochener Arbeit”, wie man sie auch bei Beethoven findet. Auch der Aufbau erinnert an die Kammermusik des Wiener Kollegen, mit dem sich Reicha als junger Flötist in der Bonner Hofkapelle angefreundet hatte. Eine feierliche langsame Einleitung eröffnet den ersten Satz. Die Kadenz, die zum Allegro überleitet, fällt Reichas eigenem Instrument, der Flöte, zu. Das Allegro assai im 6/8-Takt erreicht einen ähnlichen Elan wie Beethovens Sätze in dieser Taktart (Kopfsatz der 7. Sinfonie). Der harmonische Radius dieses fast 350 Takte langen Satzes ist weit gesteckt. In der Mediante F-Dur leuchtet in der Durchführung ein besonders eingängiges Thema auf.
In Paris war Reicha für seine harmonischen Experimente bekannt. Davon zeugt das Adagio in Es-Dur, der Tonart des Neapolitaners, mit seinem edel-pathetischen Hauptthema. Der dritte Satz ist nur seinem Titel nach ein Menuett, in Wirklichkeit ein Scherzo aus akzentuiertem Staccato und Synkopen.
Das Finale lebt vom Gegensatz zwischen dem im Piano verharrenden Hauptthema, einer Perlenschnur aus lauter trippelnden Sechzehnteln, und diversen Tanzthemen von mitreißendem Schwung. Die Sechzehntel sorgen für einen wirkungsvollen Schluss.
Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Reicha in einem früheren Leben natürlich nicht den Vornamen “Antoine” führte. Als “Antonin” war er 1770 in Prag geboren worden, seinen unmusikalischen Eltern alsbald davongelaufen und in der Obhut seines Onkels Joseph Reicha zum Musiker herangewachsen. 1785 übersiedelte die Familie nach Bonn, wo Antonin nun “Anton” hieß und Beethoven kennenlernte. Zwei Jahrzehnte später trafen sie sich in Wien wieder, wo auch Reicha sein Glück versuchte, bis er sich während der Napoleonischen Kriege endgültig in Paris niederließ.